Polanski und Manson im Dialogduell
Fiktives Aufeinandertreffen im Gefängnis: Regisseur Roman Polanski und Musiker Charles Manson, Mitglied des massenmordenden Manson-Clans, treffen sich beim Putzdienst. Ein Rededuell über einen der spektakulärsten Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts beginnt.
Im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses in Kalifornien, 1977: Zwei Männer sind dort auf demselben Zellentrakt untergebracht und zum Putzdienst abkommandiert. Scott Maddox und Remo Woodehouse heißen sie, aber das sind nur Tarnnamen. Dahinter verbergen sich Charles Manson, der Kopf der massenmordenden Manson Family, und Roman Polanski, der berühmte Filmregisseur, dessen schwangere Frau Sharon Tate Opfer des Manson-Massakers 1969 wurde und der selbst wegen Verführung einer Minderjährigen zum Geschlechtsverkehr einsitzt.
Ein fiktives Aufeinandertreffen. Natürlich haben Polanski und Manson nie im selben Knast gesessen. Im Roman A.F. Th. van der Heijdens aber begegnen sie einander, merken bald, wen sie da jeweils vor sich haben und reden in einem Dialogduell der Spitzenklasse miteinander: über ihr Leben und vor allem über einen der spektakulärsten Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 im Haus Roman Polanskis am 10050 Cielo Drive, Los Angeles.
Es ist ein seltsamer Tanz der Annäherung, den die beiden fast gleich alten und ähnlich kleinen Gestalten da aufführen beim Bodenschrubben. "Wir sind einander ausgeliefert", sagt der eine, "wir sind zueinander verurteilt", der andere. Maddox-Manson, der "durchgedrehte Giftzwerg", ergeht sich in wirren Monologen über Sinn und Zweck seines tödlichen Unternehmens "Helter Skelter". "Cosy Horror" zu verbreiten nennt er sein Bestreben und meint dafür aus dem Knast heraus noch Jünger rekrutieren zu können. Die aber campieren vor dem Gefängnis, ohne das ersehnte Zeichen ihres Erlösers zu empfangen. Woodehouse-Polanski will nur eines von ihm wissen: Welches Motiv er und seine Gang hatten für die kaltblütige Ermordung so vieler Menschen.
Es war ein brillanter Gedanke, zwei moderne Mythen, deren Schicksale durch eine Tragödie derart aneinandergekettet sind, aufeinandertreffen zu lassen. Dass diese Konfrontation nicht ohne Folgen bleibt, ist nur allzu logisch. Van der Heijden vermag den sich verkannt fühlenden Musiker Manson in seiner vielgesichtigen Dämonie kunstvoll zu entzaubern und den von Justiz und Paparazzi gnadenlos gejagten Polanski zu rehabilitieren. Wurde über den polnisch-französischen Regisseur doch seinerzeit 1977 in den USA tatsächlich ein öffentliches Tribunal, eine Art Scherbengericht abgehalten und nach Art der alten Griechen ein Bann ausgesprochen, auf dass er die Polis der Vereinigten Staaten für immer verlassen musste. Vertrieben aus seinem "künstlerischen Vaterland", den Vereinigten Staaten, war er gezwungen, zurück in die europäische Heimat zu gehen.
Dass die beiden so gegensätzlichen Charaktere überhaupt aufeinanderstoßen, verdankt sich höherer Macht: Der Gott Apoll, hier auf die Erde herabgestiegen in Gestalt des Gefängniswärters Spiros Agraphiotis, hat diese Begegnung Polanski- Manson veranlasst. Unvergesslich, wie van der Heijden Polanski aus der Perspektive seines ungeborenen Kindes jede Minute jener sein Leben ändernden Mordnacht von Los Angeles imaginieren lässt – er selbst hielt sich in London auf, während die Mordbrigaden Mansons in sein Haus einbrachen und Sharon Tate samt Freunden bestialisch abschlachteten. Grandios die Sinnlichkeit, mit der A. F. Th. van der Heijden ein Panorama des Schreckens zu entwerfen vermag, und zwar weitestgehend faktengetreu.
Dies kann überprüfen, wer Vincent Bugliosis und Curt Gentrys gerade bei Riva erschienene Chronik des Grauens "Helter Skelter. Der Mordrausch des Charles Manson" (Riva, 747 Seiten, 24,90 Euro) liest. Eine sinnvolle ergänzende Lektüre zu einem Roman, der uns hoffen lässt auf eine ebenso wunderbare Fortsetzung von van der Heijdens "Homo duplex"-Zyklus.
Besprochen von Knut Cordsen
A. F. Th. van der Heijden: Das Scherbengericht. Eine transatlantische Tragödie
Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga von Beuningen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
1168 Seiten, 39,90 Euro
Ein fiktives Aufeinandertreffen. Natürlich haben Polanski und Manson nie im selben Knast gesessen. Im Roman A.F. Th. van der Heijdens aber begegnen sie einander, merken bald, wen sie da jeweils vor sich haben und reden in einem Dialogduell der Spitzenklasse miteinander: über ihr Leben und vor allem über einen der spektakulärsten Kriminalfälle des 20. Jahrhunderts in der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 im Haus Roman Polanskis am 10050 Cielo Drive, Los Angeles.
Es ist ein seltsamer Tanz der Annäherung, den die beiden fast gleich alten und ähnlich kleinen Gestalten da aufführen beim Bodenschrubben. "Wir sind einander ausgeliefert", sagt der eine, "wir sind zueinander verurteilt", der andere. Maddox-Manson, der "durchgedrehte Giftzwerg", ergeht sich in wirren Monologen über Sinn und Zweck seines tödlichen Unternehmens "Helter Skelter". "Cosy Horror" zu verbreiten nennt er sein Bestreben und meint dafür aus dem Knast heraus noch Jünger rekrutieren zu können. Die aber campieren vor dem Gefängnis, ohne das ersehnte Zeichen ihres Erlösers zu empfangen. Woodehouse-Polanski will nur eines von ihm wissen: Welches Motiv er und seine Gang hatten für die kaltblütige Ermordung so vieler Menschen.
Es war ein brillanter Gedanke, zwei moderne Mythen, deren Schicksale durch eine Tragödie derart aneinandergekettet sind, aufeinandertreffen zu lassen. Dass diese Konfrontation nicht ohne Folgen bleibt, ist nur allzu logisch. Van der Heijden vermag den sich verkannt fühlenden Musiker Manson in seiner vielgesichtigen Dämonie kunstvoll zu entzaubern und den von Justiz und Paparazzi gnadenlos gejagten Polanski zu rehabilitieren. Wurde über den polnisch-französischen Regisseur doch seinerzeit 1977 in den USA tatsächlich ein öffentliches Tribunal, eine Art Scherbengericht abgehalten und nach Art der alten Griechen ein Bann ausgesprochen, auf dass er die Polis der Vereinigten Staaten für immer verlassen musste. Vertrieben aus seinem "künstlerischen Vaterland", den Vereinigten Staaten, war er gezwungen, zurück in die europäische Heimat zu gehen.
Dass die beiden so gegensätzlichen Charaktere überhaupt aufeinanderstoßen, verdankt sich höherer Macht: Der Gott Apoll, hier auf die Erde herabgestiegen in Gestalt des Gefängniswärters Spiros Agraphiotis, hat diese Begegnung Polanski- Manson veranlasst. Unvergesslich, wie van der Heijden Polanski aus der Perspektive seines ungeborenen Kindes jede Minute jener sein Leben ändernden Mordnacht von Los Angeles imaginieren lässt – er selbst hielt sich in London auf, während die Mordbrigaden Mansons in sein Haus einbrachen und Sharon Tate samt Freunden bestialisch abschlachteten. Grandios die Sinnlichkeit, mit der A. F. Th. van der Heijden ein Panorama des Schreckens zu entwerfen vermag, und zwar weitestgehend faktengetreu.
Dies kann überprüfen, wer Vincent Bugliosis und Curt Gentrys gerade bei Riva erschienene Chronik des Grauens "Helter Skelter. Der Mordrausch des Charles Manson" (Riva, 747 Seiten, 24,90 Euro) liest. Eine sinnvolle ergänzende Lektüre zu einem Roman, der uns hoffen lässt auf eine ebenso wunderbare Fortsetzung von van der Heijdens "Homo duplex"-Zyklus.
Besprochen von Knut Cordsen
A. F. Th. van der Heijden: Das Scherbengericht. Eine transatlantische Tragödie
Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga von Beuningen
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
1168 Seiten, 39,90 Euro