"Polemik ersetzt nicht Kompetenz"

Michel Friedman im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, hat die angekündigte Kandidatur des Publizisten Henryk M. Broder für das Amt des Verbandspräsidenten kritisiert.
Liane von Billerbeck: Telefonisch haben wir vor unserer Sendung mit Michel Friedman gesprochen. Der Rechtsanwalt und Fernsehmoderator war bis zu seinem Rücktritt 2003 Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Herr Friedman, ich grüße Sie.

Michel Friedman: Guten Morgen!

Von Billerbeck: Broder sei eine fulminante Fehlbesetzung für dieses Amt, sagte Dieter Graumann, der heutige Vizepräsident des Zentralrates. Wie finden Sie das?

Friedman: Lassen Sie mich erst mal sagen, ich freue mich ja über jeden, der heute überhaupt noch ein Ehrenamt anstrebt, sich engagieren möchte fürs Gemeinwohl. Und auch in der jüdischen Gemeinde gibt es leider nicht zu viele Menschen, die sich für die Gemeinschaft einsetzen wollen. Jeder ist herzlich willkommen, warum nicht auch Henryk Broder.

Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass er, bevor er dieses Spitzenamt anstrebt, er erst mal die Ochsentour macht in einer täglichen Gemeindearbeit. Er hat von Gemeindearbeit nicht die geringste Ahnung – werfe ich ihm nicht vor, muss man nicht haben, aber bevor man nicht weiß, wie es im Alltag der jüdischen Gemeinschaft aussieht, wie jüdische Gemeinden organisiert sind, sollte man sich erst einmal diese Arbeit antun, bevor man das Spitzenamt will.

Denn eins muss man noch dazu sehr deutlich sagen: Der Präsident des Zentralrats oder die Präsidentin ist nicht nur eine Aufgabe nach außen, ist nicht nur die politische Repräsentanz, sondern vor allen Dingen und hauptsächlich die Arbeit nach innen. Sollte sich rausstellen, dass das Ganze nichts anderes war als eine narzisstische, egomanische Tripgeschichte, um sich in die Öffentlichkeit zu bringen, dann hat er sich, in meinen Augen jedenfalls, von jeder Ernsthaftigkeit und Seriosität verabschiedet. Dazu ist das Amt zu ernst. Und wer damit spielt, verabschiedet sich letztendlich von seinem eigenen Anspruch.

Von Billerbeck: Eine lustige Fantasie sei das, so lautete eine weitere Antwort auf Broders Bewerbung, und darauf hat er in der heutigen Tageszeitung "Die Welt" geantwortet, derlei hätten die Juden vor 100 Jahren auch Theodor Herzl entgegnet, dem Begründer des Zionismus, der Ende des 19. Jahrhunderts als Erster die Forderung nach einem jüdischen Staat erhoben hatte.

Friedman: Respekt vor ?

Von Billerbeck: Ist das Hybris?

Friedman: Na ja, also bei allem Respekt vor Henryk M. Broder, der sich gerne selbst hoch- und überschätzt, ein Theodor Herzl ist er nicht und wird er auch nicht werden, dazu fehlt ihm denn doch die Vision und das Genie. Also mal gemach, gemach. Er bewirbt sich um das Amt des Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, und dazu muss man nun nicht gerade ein Theodor Herzl sein.

Man muss natürlich allerdings teamfähig sein, man muss anders, als er es ist, aus einer narzistischen Egomanie heraustreten, und vor allen Dingen muss man teamfähig sein, denn man arbeitet ja nun in einer hohen Verantwortung in diesem Amt. Über 100.000 Menschen repräsentiert man, wenn man es dann wird. Und so gesehen, glaube ich, hat er noch sehr viel Arbeit vor sich, an sich selbst übrigens auch.

Noch einmal: Ich hoffe, nicht nur er bewirbt sich für dieses Amt, sondern viele bewerben sich. Pluralismus, Streitkultur ist etwas, was im Judentum hoch angesehen ist, sehr beliebt ist. Der Vorteil eines Präsidenten oder einer Präsidentin des Zentralrats der Juden ist, dass er 100.000 Kopräsidenten hat, jeder weiß es besser – das macht die Sache manchmal sehr schwer, aber letztendlich ist das auch die Melodie und das Schöne an diesem Amt. Einer von diesen 100.000 ist Henryk M. Broder. Jetzt will er Präsident werden, viel Spaß auf dem Weg.

Von Billerbeck: Broder einen Freund des ausgleichenden differenzierten Wortes zu nennen, wäre wohl übertrieben bei seiner Kritik am Zentralrat, da hat er es ja an Deutlichkeit nicht fehlen lassen. Charlotte Knobloch, die Präsidentin, nannte er "Tante Charly" und das Präsidium eine "Reue-Entgegennahme-Instanz". Dem Generalsekretär Stefan Kramer warf er blinden Aktionismus vor. Auch Ihnen, Herr Friedman, ist Polemik nicht fremd. Wie klang denn dieser Ton in Ihren Ohren?

Friedman: Ja, Polemik ist einerseits richtig und wichtig, die Pointierung gehört nicht nur zum politischen Geschäft, sondern auch zum klugen Kopf. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen einer Polemik und einer Pointierung und einer Diffamierung.

Ich finde, hier hat er bereits bewiesen, dass er nicht einer der Geeignetsten sein wird für dieses Amt, sehr persönlich diffamiert, hat oft keine Argumente. Man kann zu Frau Knobloch sehr kritisch stehen, auch ich habe hier und da Kritik geübt, nichtsdestotrotz glaube ich, dass Frau Knobloch etwas hat – und dafür habe ich immer gekämpft, auch dass sie Präsidentin wird, – das in gerade diesen Jahren etwas Einmaliges ist: Sie hat die Authentizität ihrer Biografie, sie gehört zu den letzten Überlebenden, die sich engagieren können qua Alter. Und ich glaube, dass wir Jüngeren gut beraten sind, diese Authentizität zu nutzen. Es mag ja sein, dass Herr Broder das eine oder das andere klüger, pointierter sagt als sie, aber wenn ein Mensch mit seiner gesamten Biografie wie Frau Knobloch in einer Schulklasse ist und mit den Kindern und Jugendlichen über die Vergangenheit spricht, dann hat sie etwas, was wir alle nicht haben, nämlich die Authentizität, die Wahrhaftigkeit in ihrer Biografie. Das ist unbezahlbar und wird es auch nicht mehr lange geben.

Und deswegen glaube ich, dass wir gut beraten waren – und ich habe immer dafür gekämpft, ob das Ignatz Bubis seligen Angedenkens war, Paul Spiegel oder jetzt Frau Knobloch –, dies noch zu nutzen für uns selbst und auch für die nicht-jüdische Umwelt. Und so gesehen ist die Kritik hier und da zwar richtig, aber letztendlich geht sie ins Leere.

Stefan Kramer übrigens, der Generalsekretär, den ich bereits mit Ignatz Bubis eingestellt habe, ist ein Mann, der sich einbringt, der sich einmischt, dabei ab und zu auch übers Ziel schießt, aber mir ist das immer noch lieber, dass einer sich einbringt und übers Ziel schießt als einer, der opportunistisch und still in der Ecke sitzt und deswegen nichts falsch machen kann. Und es bleibt dabei: Polemik ersetzt nicht Kompetenz und Argument.

Von Billerbeck: Henryk M. Broder hat auch gesagt, er würde sich als Chef des Zentralrates dafür einsetzen, dass die Leugnung des Holocaust, der Schoah, nicht mehr strafbar sei, denn das habe sich als kontraproduktiv erwiesen, weil sich die Leugner einer historischen Tatsache als Märtyrer stilisieren konnten. Was halten Sie davon?

Friedman: Das sind wieder Gründe, warum ich zum Beispiel seine Bewerbung inhaltlich nicht unterstützen würde. Nicht nur, weil ich mich genau dafür eingesetzt habe, sondern weil mittlerweile auch in vielen europäischen Ländern, nicht nur in Deutschland, die Leugnung des Holocaust unter Strafrecht gestellt wird. Ehrlich gesagt, ist mir das völlig egal, ob ein Neonazi und ein Holocaust-Leugner in seiner eh kranken und gefährlichen Szene als Märtyrer gehandelt wird oder nicht.

Dieser Straftatbestand ist eingeführt worden, übrigens nicht für die jüdische Gemeinschaft, sondern weil es darum ging, die jungen und nächsten Generationen zu schützen vor den Relativierern und den Leugnern der Geschichte. Der Holocaust ist ja eine Menschheitserfahrung, und diese Einmaligkeit in der Geschichte müssen junge Menschen erfahren, nicht um rückwärts gewandt zu denken, sondern weil es einmal passiert ist, kann es immer wieder passieren.

Und junge Menschen lernen in ihrer jeweiligen Generation und Gegenwart, damit sie so etwas verhindern können. Die Relativierer, die Leugner und die Bestreiter des Holocaust nehmen damit jungen Menschen die Chance, für ihre Zeit und Generation zu lernen. Und dass das unter Strafe gestellt wird, halte ich nach wie vor richtig. Mir ist lieber, dass Leute wie Horst Mahler im Gefängnis sitzen und nicht mehr junge Menschen mit ihrem Gift infizieren können, als dass sie frei unterwegs sind und junge Menschen mit ihrem antisemitischen und Nazigeschwätz beeinflussen.

Von Billerbeck: Bleiben wir mal beim Relativieren: Antisemitische Gefahren, die sieht der Zentralrat vor allem auf rechtsextremistischer Seite, Broder hingegen verortet sie vor allem bei den Islamisten. Wie sehen Sie das?

Friedman: Eindeutig sind die Islamisten mittlerweile zu einer großen Gefahr geworden, übrigens eine terroristische, nicht nur, was Juden angeht, sondern die ganze westliche Welt, aber Broder setzt bereits beim Islam ein. Und da auch hier ein deutlich inhaltlich anderer Standpunkt von mir: Die Religionsgemeinschaften aus dem Monotheistischen und gerade dann auch ihre Repräsentanten, damit also auch der Zentralrat der Juden in Deutschland, müssen Brückenbauer sein, müssen Friedenstifter sein. Wir sind Religionsvertreter und machen keine Staatenpolitik.

Und die Mehrzahl der Moslems in Deutschland – und dafür sind wir zuständig – leben friedlich, leben wie alle anderen Menschen in unserem Land. Und mit diesen friedlichen Muslimen müssen wir, der Zentralrat, Brücken bauen, um die Radikalen, auch die Islamisten, die es in Deutschland gibt, gemeinsam zu bekämpfen. Feindbildungen und Stereotypen sind jedenfalls mit mir nicht zu haben, und ich hoffe, mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland auch nicht.

Von Billerbeck: Michel Friedman, bis zu seinem Rücktritt 2003 Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, über Henryk M. Broders Kritik und Bewerbung für das Präsidentenamt. Herzlichen Dank für das Gespräch!

Friedman: Danke Ihnen!