Polemik gegen die Nachrichtenwelt
Die 20.00-Uhr Tagesschau der ARD erreicht täglich viele Millionen Zuschauer, sie ist die erfolgreichste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen. Und diese Tatsache ist dem Publizisten und Journalisten Walter van Rossum ein großer Gräuel. In "Die Tageshow" unterstellt er jeder Art von TV-Nachrichtensendung, sich allein auf die Kunst zu verstehen, "binnen 15 Minuten die Welt mit feiner Unbegreiflichkeit zu verhüllen". Van Rossum seziert einzelne Sendungen und Beiträge, spielt O-Töne von Redaktionsbesuchen und Gesprächen mit Verantwortlichen ein, verbindet alle Elemente mit aggressiven Überschüssen an Weltanschaulichkeit und resümiert: "Die Tagesschau irrt sich nicht bloß, sondern sie erfindet Informationen, damit Vorgänge in ein bestimmtes bereitliegendes politisches Deutungsschema passen"
Es ist immer verdächtig, wenn einer alles besser zu wissen glaubt. Und van Rossum will genau diesen Verdacht auf sich ziehen. Er will viel Feind um viel Ehr' - die Ehre des Nestbeschmutzers inbegriffen. Er will das große Porzellan-Zerschlagungsgetöse. Weshalb der Autor in der Analyse der heute-journal-Moderation von Klaus-Peter Siegloch zu Beschlüssen der UN-Menschenrechtskommission im März 2006 sofort auf den Punkt kommt: "Infame Demagogie." Und überhaupt, die Journalisten:
"Die große Mehrheit der Journalisten sieht ihre Aufgabe darin, die Gesellschaft vor den finsteren und komplexen Realitäten zu schützen."
Es geht Schlag auf Schlag. In der Tagesschau vom 1. November 2006 mit Nachrichten zum Tod des südafrikanischen Apartheidpolitikers Pieter Willem Botha sieht van Rossum eine Reinwaschung des "'humanitären Gangsters'". Den türkischen Nobelpreisträger Orhan Pamuk installiert die Tagesschau aus seiner Warte unter Verdrehung zahlloser Tatsachen als "unseren Mann in Ankara". Moderatorin Anne Will wird mit verschrifteten O-Tönen von van Rossums Redaktionsbesuch süffisant niedergestreckt, der Feuilletonist Benjamin Henrichs, der in der "Süddeutschen Zeitung" die Tagesschau lobte, an den Rand der Debilität gerückt, ARD-Kommentatoren reihenweise der Lächerlichkeit preisgeben und die Institution des Fernseh-Kommentars überhaupt als "Irrsinn" abgetan.
Muss alles blanker Unsinn sein, wenn einer solche Ozeane von Wutschaum produziert? Nein, muss es nicht. Der Gewinn von "Tagesshow" jenseits des Lustgewinns für alle Freunde inzestuöser Medien-Hetze liegt darin, die eingeschliffenen Rituale der Nachrichtensendungen sichtbar zu machen, ihre - angesichts von Minutenbeiträgen - naturgesetzliche Oberflächlichkeit zu zeigen, die (weniger naturgesetzliche) Fehlerhaftigkeit zu dokumentieren, subtile und weniger subtile Vorentscheidungen weltanschaulicher Art offen zu legen und den Nachrichtenbetrieb etwas durchschaubarer zu machen.
Natürlich sitzt van Rossum selbst in der Falle, die er so charakterisiert:
"Journalisten beobachten nicht die Welt, sondern fast ausschließlich andere Medien."
Was nicht sein einziger Selbstwiderspruch bleibt. Einerseits nölt van Rossum über das notorische Quote-Heischen - keiner wisse ja, "ob vor dem laufenden Gerät überhaupt jemand sitzt." Andererseits unterstellt er, dass die täglich rund 10 Millionen Zuschauer (inklusive Phoenix und 3. Programme) die "Tageschau" tatsächlich als das Manna vom Himmel sehen, glauben und verehren. Er suggeriert, dass man schon ein van Rossum sein müsste, um den partiell verblödenden Ritual-Charakter der immer gleichen Shakeshands zu kapieren.
Aber klar, Gelassenheit hätte "Die Tagesshow" ziemlich sinnlos gemacht. Deshalb produziert van Rossum Anti-Amerikanismus auf einem Niveau, das ihn auf der nächsten Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Hauptredner qualifiziert. Und dann, ganz zuletzt, ein rücksichtsloser Tritt in die Tränendrüsen: ein Augenzeugenbericht vom Sterben der Kinder in Morava unter den Bomben der Nato-Flugzeuge, übernommen aus "DIE ZEIT". Mein Gott Walter, möchte man sagen, vollkommen Recht haben Sie:
"Der Apparat wird gefüttert."
Rezensiert von Arno Orzessek
Walter van Rossum: Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, Oktober 2007
198 Seiten. 8,95 Euro
"Die große Mehrheit der Journalisten sieht ihre Aufgabe darin, die Gesellschaft vor den finsteren und komplexen Realitäten zu schützen."
Es geht Schlag auf Schlag. In der Tagesschau vom 1. November 2006 mit Nachrichten zum Tod des südafrikanischen Apartheidpolitikers Pieter Willem Botha sieht van Rossum eine Reinwaschung des "'humanitären Gangsters'". Den türkischen Nobelpreisträger Orhan Pamuk installiert die Tagesschau aus seiner Warte unter Verdrehung zahlloser Tatsachen als "unseren Mann in Ankara". Moderatorin Anne Will wird mit verschrifteten O-Tönen von van Rossums Redaktionsbesuch süffisant niedergestreckt, der Feuilletonist Benjamin Henrichs, der in der "Süddeutschen Zeitung" die Tagesschau lobte, an den Rand der Debilität gerückt, ARD-Kommentatoren reihenweise der Lächerlichkeit preisgeben und die Institution des Fernseh-Kommentars überhaupt als "Irrsinn" abgetan.
Muss alles blanker Unsinn sein, wenn einer solche Ozeane von Wutschaum produziert? Nein, muss es nicht. Der Gewinn von "Tagesshow" jenseits des Lustgewinns für alle Freunde inzestuöser Medien-Hetze liegt darin, die eingeschliffenen Rituale der Nachrichtensendungen sichtbar zu machen, ihre - angesichts von Minutenbeiträgen - naturgesetzliche Oberflächlichkeit zu zeigen, die (weniger naturgesetzliche) Fehlerhaftigkeit zu dokumentieren, subtile und weniger subtile Vorentscheidungen weltanschaulicher Art offen zu legen und den Nachrichtenbetrieb etwas durchschaubarer zu machen.
Natürlich sitzt van Rossum selbst in der Falle, die er so charakterisiert:
"Journalisten beobachten nicht die Welt, sondern fast ausschließlich andere Medien."
Was nicht sein einziger Selbstwiderspruch bleibt. Einerseits nölt van Rossum über das notorische Quote-Heischen - keiner wisse ja, "ob vor dem laufenden Gerät überhaupt jemand sitzt." Andererseits unterstellt er, dass die täglich rund 10 Millionen Zuschauer (inklusive Phoenix und 3. Programme) die "Tageschau" tatsächlich als das Manna vom Himmel sehen, glauben und verehren. Er suggeriert, dass man schon ein van Rossum sein müsste, um den partiell verblödenden Ritual-Charakter der immer gleichen Shakeshands zu kapieren.
Aber klar, Gelassenheit hätte "Die Tagesshow" ziemlich sinnlos gemacht. Deshalb produziert van Rossum Anti-Amerikanismus auf einem Niveau, das ihn auf der nächsten Rosa-Luxemburg-Konferenz zum Hauptredner qualifiziert. Und dann, ganz zuletzt, ein rücksichtsloser Tritt in die Tränendrüsen: ein Augenzeugenbericht vom Sterben der Kinder in Morava unter den Bomben der Nato-Flugzeuge, übernommen aus "DIE ZEIT". Mein Gott Walter, möchte man sagen, vollkommen Recht haben Sie:
"Der Apparat wird gefüttert."
Rezensiert von Arno Orzessek
Walter van Rossum: Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, Oktober 2007
198 Seiten. 8,95 Euro