Polen, Deutsche und die Geduld
Der polnische Botschafter, Dr. Marek Prawda, ließ sich kürzlich in Berlin in illustrer Runde auf ein längeres Gespräch über Polen, Deutsche und ihre Beziehungen ein. Erst nach einer Stunde und 20 Minuten fiel das Wort "Vertreibung". Erstaunlich, viele in der Runde waren Vertriebene, ich auch, mit zwölf Jahren aus Schlesien zwangsausgesiedelt wie so viele Millionen. Auch mir war das Wort "Vertreibung" bis zu dieser Minute nicht in den Sinn gekommen. Vielleicht qualifiziere ich mich damit bei manchen als vaterlandsloser Geselle.
Aber ist es nicht ein gutes Zeichen, dass so ein Kreis das Faktum der Vertreibung, immerhin der Verlust der Heimat und mehr, mit einer gewissen Gelassenheit betrachtet? Das steht im Widerspruch zu Propaganda und Hetze, auf die sich verstärkt Presseprodukte in Polen, aber auch die, im Augenblick an der Spitze des Staates stehenden Kaczyński-Zwillinge, verstehen. Zum Glück gibt es auch Polen, die die gegenwärtige Aufarbeitung von Flucht, Vertreibung und Heimatverlust, kurz die Leiden der Deutschen als Folge des Krieges, richtig einzuordnen wissen, eines Krieges, den die Deutschen begonnen hatten.
Schuldzuweisungen in Richtung Polen mit der Unterstellung einer ethnischen Säuberung von allem Deutschen, bringen uns nicht weiter. Und auch für Talkshows à la Christiansen, moderiert mit Techniken des Smalltalks, ist das Beziehungsgeflecht von Polen und Deutschen zu kompliziert. Hätte das deutsch-polnische Verhältnis eine Nachkriegsnormalität erreicht wie etwa das deutsch-französische, das gerade Airbus-Querelen aushalten muss, wäre vieles einfacher. Dann würden von polnischer Seite auch die Bemühungen von Erika Steinbach für eine Gedenkstätte oder ein Museum der Vertreibung, ja sogar die Immobilienklagen der so genannten "Preußischen Treuhand" angemessen eingeordnet.
Wir in Deutschland müssen die Traumata der Polen verstehen lernen, nach wie vor mit viel Geduld. Deutschland hat Polen 1939 überfallen, von Hitler befohlen, aber vom Volk bejubelt. Dann, 14 Tage später, wie vereinbart im Hitler-Stalin-Geheimpakt, haben sich die Sowjets Polens Osten einverleibt. Polen war als Staat ausradiert. Millionen von Polen, Juden und Nichtjuden, bekamen den Naziterror und seine stalinistische Variante zu spüren. Beim Warschauer Aufstand 1944 gegen das deutsche Regime, nicht zu verwechseln mit dem zeitlich früheren Aufstand im Warschauer Juden-Ghetto, sind allein 200 000 Polen im Kampf gegen SS und Wehrmacht ums Leben gekommen.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hätte sich Polen fast befreit fühlen können, wieder auferstanden, hätten nicht die Sowjets weitergemacht und Polen als ihr Souterrain betrachtet. An ihrer Westgrenze das damalige DDR-Regime zu wissen, wirkte auf die Polen obendrein wie Zynismus der Geschichte. Diesem Regime in Ostberlin war auch später die polnische Solidarność höchst suspekt mit ihren Versuchen, Freiheit zurück zu gewinnen.
Erst mit der großen Wende in Europa 1989 wurde Polen frei in den von den Kriegsalliierten in den Konferenzen von Jalta und Potsdam zugewiesenen neuen Grenzen einschließlich der ehemaligen deutschen Ostgebiete. In den folgenden Jahren entspannte sich das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen, vor allem unter Jugendlichen. So hätte es weitergehen können, hätten nicht politisch rechte Kreise in Polen die Erinnerungspolitik gegen die Deutschen aktiviert, um Wähler zu ködern bis hin zur Wahl der Kaczyńskis in die Ämter von Staats- und Ministerpräsident. Die bedingungslose Unterstützung Polens für den Irak-Krieg der USA sorgte nicht nur in Frankreich und Deutschland zusätzlich für Verstimmung.
Es gibt Hoffnung, dass es nicht bei dieser schlechten Stimmung bleibt. Die künftige Kommission deutscher und polnischer Parlamentarier, Aktivitäten im akademischen Bereich sowie im Rahmen von Patenschaften auf kommunaler Ebene, dazu private Begegnungen und Treffen im neuen Kreisauer Kreis, aber auch der Oppelner Bischof Nossol mit seiner Fürsorge für die deutsche Minderheit, sichern ab gegen Brunnenvergifter. In Deutschland müssen wir geduldig bleiben, solange die Polen unter der Erinnerung an den Würgegriff von Nazis und Stalinisten leiden und bereits eine geplante Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland nervös macht, sowie Forderungen aus Deutschland, mit denen einige noch ein Stück Zweiten Weltkrieg auf dem Immobilienmarkt nachträglich gewinnen wollen.
Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.
Schuldzuweisungen in Richtung Polen mit der Unterstellung einer ethnischen Säuberung von allem Deutschen, bringen uns nicht weiter. Und auch für Talkshows à la Christiansen, moderiert mit Techniken des Smalltalks, ist das Beziehungsgeflecht von Polen und Deutschen zu kompliziert. Hätte das deutsch-polnische Verhältnis eine Nachkriegsnormalität erreicht wie etwa das deutsch-französische, das gerade Airbus-Querelen aushalten muss, wäre vieles einfacher. Dann würden von polnischer Seite auch die Bemühungen von Erika Steinbach für eine Gedenkstätte oder ein Museum der Vertreibung, ja sogar die Immobilienklagen der so genannten "Preußischen Treuhand" angemessen eingeordnet.
Wir in Deutschland müssen die Traumata der Polen verstehen lernen, nach wie vor mit viel Geduld. Deutschland hat Polen 1939 überfallen, von Hitler befohlen, aber vom Volk bejubelt. Dann, 14 Tage später, wie vereinbart im Hitler-Stalin-Geheimpakt, haben sich die Sowjets Polens Osten einverleibt. Polen war als Staat ausradiert. Millionen von Polen, Juden und Nichtjuden, bekamen den Naziterror und seine stalinistische Variante zu spüren. Beim Warschauer Aufstand 1944 gegen das deutsche Regime, nicht zu verwechseln mit dem zeitlich früheren Aufstand im Warschauer Juden-Ghetto, sind allein 200 000 Polen im Kampf gegen SS und Wehrmacht ums Leben gekommen.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hätte sich Polen fast befreit fühlen können, wieder auferstanden, hätten nicht die Sowjets weitergemacht und Polen als ihr Souterrain betrachtet. An ihrer Westgrenze das damalige DDR-Regime zu wissen, wirkte auf die Polen obendrein wie Zynismus der Geschichte. Diesem Regime in Ostberlin war auch später die polnische Solidarność höchst suspekt mit ihren Versuchen, Freiheit zurück zu gewinnen.
Erst mit der großen Wende in Europa 1989 wurde Polen frei in den von den Kriegsalliierten in den Konferenzen von Jalta und Potsdam zugewiesenen neuen Grenzen einschließlich der ehemaligen deutschen Ostgebiete. In den folgenden Jahren entspannte sich das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen, vor allem unter Jugendlichen. So hätte es weitergehen können, hätten nicht politisch rechte Kreise in Polen die Erinnerungspolitik gegen die Deutschen aktiviert, um Wähler zu ködern bis hin zur Wahl der Kaczyńskis in die Ämter von Staats- und Ministerpräsident. Die bedingungslose Unterstützung Polens für den Irak-Krieg der USA sorgte nicht nur in Frankreich und Deutschland zusätzlich für Verstimmung.
Es gibt Hoffnung, dass es nicht bei dieser schlechten Stimmung bleibt. Die künftige Kommission deutscher und polnischer Parlamentarier, Aktivitäten im akademischen Bereich sowie im Rahmen von Patenschaften auf kommunaler Ebene, dazu private Begegnungen und Treffen im neuen Kreisauer Kreis, aber auch der Oppelner Bischof Nossol mit seiner Fürsorge für die deutsche Minderheit, sichern ab gegen Brunnenvergifter. In Deutschland müssen wir geduldig bleiben, solange die Polen unter der Erinnerung an den Würgegriff von Nazis und Stalinisten leiden und bereits eine geplante Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland nervös macht, sowie Forderungen aus Deutschland, mit denen einige noch ein Stück Zweiten Weltkrieg auf dem Immobilienmarkt nachträglich gewinnen wollen.
Peter Frei, Jahrgang 1934, war zunächst Redakteur bei der NRZ. 1962 ging er zum Deutschlandfunk und 1967 nach Baden-Baden zum SWF. Er war zehn Jahre lang Korrespondent in London, danach in Bonn, von 1991 an Chefredakteur des SWF und von 1993 bis 1998 sein Hörfunkdirektor.