Film "Grüne Grenze"

Die Wahrheit über Polens Flüchtlingskrise

Drei frierende Männer sitzen in einem Waldgebiet, im Hintergrund sind Sicherheitskräfte an einem Zaun zu sehen.
Geflüchtete im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen im November 2021, im Hintergrund sind polnische Sicherheitskräfte am Grenzzaun zu sehen. © picture alliance / Associated Press / Oksana Manchuk
Ein Kommentar von Beata Bielecka · 15.09.2023
Der Film "Grüne Grenze" von Agnieszka Holland schildert das Elend an der polnisch-belarussischen Grenze und den rüden Umgang der Grenzbeamten mit Geflüchteten. Gut, dass das Thema endlich auf den Tisch kommt, findet die Journalistin Beata Bielecka.
Wie oft werde ich mich noch für die polnische Regierung schämen müssen? Das war mein erster Gedanke, nachdem ich die ungeheuerliche Aussage des Justizministers Zbigniew Ziobro gelesen habe über den neuesten Film der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland mit dem Titel „Grüne Grenze”.
In den sozialen Netzwerken schrieb der Minister dazu: „Während des Dritten Reichs produzierten die Deutschen Propagandafilme, in denen Polen als Banditen und Mörder dargestellt wurden. Heute haben sie Agnieszka Holland, die das für sie tut.” Die Regisseurin, so der Politiker, verleumde die polnischen Grenzbeamten, die an der Grenze zu Belarus einfach nur ihren Dienst tun, indem sie sie in dem Film als rücksichtslos und brutal darstellt.

Lukaschenko verursachte das Drama

Tatsächlich ist die Situation an der Grenze zwischen Polen und Belarus seit 2021 sehr angespannt. Damals begann das Flüchtlingsdrama, verursacht durch das Regime von Lukaschenko, der Flüchtlinge ins Land holte – mit dem Versprechen, von Belarus aus könnten sie in die EU. Die Geflüchteten, die bis hierher gekommen sind, wollen das um jeden Preis. Sie kommen aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan und sind vor Krieg, Verfolgung und Hunger geflohen.
Doch die Geflüchteten, so die Meinung des Justizministers Zbigniew Ziobro, haben kein Recht, die Grenze zu überqueren, und die Pushbacks seien gerechtfertigt. Er gehört zum radikalen Flügel der rechtskonservativen Regierung und ist jemand, der sehr gern niederkniet vor der Schwarzen Madonna von Tschenstochau, einem für die polnischen Katholiken heiligen Ort.

Eine hohe Mauer zur Abschreckung

Niemand in Polen hat Agnieszka Hollands Film bisher gesehen. Aber schon der Trailer offenbart die Wahrheit über die unmenschliche Behandlung der Flüchtlinge: Menschen, die in den polnischen Wäldern sterben, zum Tod verurteilt wegen ihrer Hautfarbe und ihres Glaubens. Eine hohe Stacheldraht-Mauer, die die polnische Regierung entlang der Grenze bauen ließ, um die Geflüchteten abzuschrecken.
Ich wusste, dass dieser Film den Regierenden weh tun wird. Bis jetzt haben in Polen darüber hauptsächlich Aktivisten geredet, die den Geflüchteten helfen. Andere interessiert die Flüchtlingskrise, die Lukaschenko ausgelöst hat, nicht. Nach dem Film wird sie nicht mehr so leicht zu ignorieren sein. Deshalb finde ich diesen Film sehr wichtig und sehr notwendig.
Doch auch das gehört zur Wahrheit: Er könnte für die polnische Regierung Wahlkampfmunition sein. Denn Flüchtlinge von außerhalb Europas sind ein beliebtes Schreckgespenst, das Politiker an die Wand malen, um die Bevölkerung hinter sich zu bringen.
So wird es am 15. Oktober neben der Parlamentswahl ein Referendum geben, bei dem die Bürger über die Aufnahme "von Tausenden illegaler Einwanderer" aus dem Nahen Osten und aus Afrika abstimmen sollen. Und darüber, ob sie der im Juni vereinbarten Reform der EU-Asylpolitik zustimmen. Das Ergebnis ist vorhersehbar, denn sogar viele, die nicht die Regierungspartei PiS wählen, wollen keine Muslime in Polen.

Europas Apartheid im Umgang mit Flüchtlingen

In Polen trennt man die Geflüchteten in die, die vor dem Krieg fliehen, und in die, die nur aus ökonomischen Gründen ein besseres Leben suchen. Die ersten sind die Ukrainer und ihnen helfen die Polen gern, weil sie vor ihnen keine Angst haben. Die anderen sind nicht-europäische Flüchtlinge, „Islamisten“ – sie gefährden die christliche Tradition und die Sicherheit nach Meinung der Polen.
Der französische Philosoph Étienne Balibar nennt das die „europäische Apartheid im Umgang mit Flüchtlingen” – und auch wenn das schockierend klingt, beschreibt es doch die Wahrheit über Polen. Viele Fans wird der Film von Agnieszka Holland in Polen wohl nicht finden.
Hinweis: Margarete Wohlan übersetzte und sprach den Beitrag von Beata Bielecka.
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