Verständnis für Camerons Kürzungsprobleme
Etwa 300.000 polnische Zuwanderer leben momentan in London. Ein Großteil davon hat sich im westlichen Stadtteil Ealing angesiedelt. Für David Camerons Vorhaben, Sozialleistungen für EU-Migranten zu begrenzen, haben viele von ihnen Verständnis.
"Dzien dobry - Guten Tag". Ein junger Mann, Anfang 30, polnischer Herkunft, betritt die Apotheke in der South Ealing Road. Sie ist eine nicht allzu belebte Geschäftsstraße, 200 m weiter vorne hält die Piccadilly Line, die U-Bahn-Linie, die zum Flughafen Heathrow führt. Außen am Backstein-Reihenhaus steht in großen grünen Lettern "Richard's Pharmacy". Darunter etwas kleiner der Name der polnisch-stämmigen Inhaberin der Apotheke: Dudzinska.
"Ealing ist eine Gemeinde mit sehr vielen Polen. Einige davon sprechen noch kaum englisch. Denen fällt es dann leichter, hier zu mir kommen als zu einer Apotheke an der Hauptstraße mit viel Betrieb. Hier können sie sich besser verständigen und mir sagen, was sie brauchen."
Der Kunde, der gerade hereingekommen ist, heißt Grzegorz und arbeitet seit 14 Jahren schon auf dem Bau in London. Dann meint er etwas überraschend und unter dem Applaus von Frau Dudzinska, dass er mit dem, was David Cameron von der EU will, völlig einverstanden ist.
Dem neuen Land "erst einmal etwas geben"
"Wenn du in ein anderes Land kommst, dann musst du selbst dem Land erst einmal etwas geben. Natürlich kann etwas passieren, man verliert seinen Job, hat Probleme mit der Gesundheit oder in der Familie. Aber erst einmal musst du ein, zwei oder drei Jahre Steuern bezahlen. Und danach kann man Unterstützung erwarten, denn dann hast du ja selbst vorher Geld eingezahlt."
Der Bahnhof Ealing Broadway, vielleicht gut einen Kilometer weiter. Hier gleich nebenan hat der Historiker Piotr Stolarski sein Büro. Er arbeitet im Local History Center und betreut das Stadtteilarchiv. Der Mitdreißiger trägt einen modischen Vollbart und Brille und erklärt, dass die polnische Gemeinde in Ealing heterogen sei. Kurz gesagt: Die Etablierten betrachten die Neuankömmlinge etwas kritisch.
"In den letzten 15 Jahren ist das Stereotyp vom polnischen Bauarbeiter und Handwerker entstanden. Die Polen werden geschätzt, weil sie gut und für wenig Geld arbeiten. Aber wenn Sie das Stereotyp immer und immer wieder benutzen, dann entsteht der Eindruck, dass die gesamte polnische Community nur aus Wanderarbeitern besteht. Und von denen nähmen einige den Briten den Job weg."
Die geringschätzenden Blicke im Bus
Piotr Stolarski ist selbst promovierter Historiker, sein Vater arbeitete als Professor für Maschinenbau an einer Hochschule in London. Diskriminierung gebe es in London schon, an den Blicken im Bus spüre er manchmal die Geringschätzung. Deswegen verursacht ihm die Debatte über EU-Migranten und ihre Sozialansprüche einiges Unbehagen.
"Wenn die Zuschüsse denn wirklich der britischen Wirtschaft schaden, dann ist halt solch eine Lösung nötig. Grundsätzlich ist es richtig, wenn Polen in Großbritannien oder das Land Polen von der EU Unterstützung erhalten. Wenn wir in Europa Solidarität anstreben, dann müssen wir an die Geschichte Europas denken – und nicht nur oberflächlich an das, was jetzt gerade geschieht."