Polen

Konservative setzten Krakauer Nationaltheater unter Druck

Von Martin Sander |
Mit der Neubearbeitung eines Klassikers wollte ein Theater in Krakau eine Diskussion über polnischen Antisemitismus auslösen. Doch national-konservativen Kräfte machten dagegen mobil. Nun wurde die Premiere gestrichen.
Den Auftakt zum Skandal bildete ein scheinbar spontaner Zuschauerprotest im Krakauer Teatr Stary Mitte November. „Schande, Schmach, Schande“ - mit diesen Rufen unterbrach ein gutes Dutzend Zuschauer August Strindbergs Klassiker „Nach Damaskus“ während eines auf der Bühne angedeuteten Geschechtsakts. Jan Klata, Regisseur des Stücks und seit Anfang dieses Jahres Direktor des Teatr Stary, einem von zwei hochdotierten polnischen Nationaltheatern, warf die Protestler hinaus.
Das Problem schien gelöst, war es aber nicht. Denn der Zuschauerprotest kam nicht spontan, eine Tageszeitung hatte ihn sogar angekündigt. Seither breiten sich die Angriffe auf das Teatr Stary immer weiter aus. Letzte Woche erklärte Direktor Klata:
„Das ist eine kranke Situation. Das ist absolute Schizophrenie. Einerseits gibt es unsere anstrengende Arbeit, die unseren Schauspielern am Abend gleichwohl große Genugtuung verschafft. Auf der anderen Seite entsteht ein ganz und gar kurioses Bild in den Medien, komponiert aus Klatsch und Denunziation. Eine Dame flüstert einer anderen Dame, ein Herr einem anderen Herrn etwas über ein entstehendes Stück zu. Dazu kommen Bewertungen, Wochen bevor das Stück fertig ist.“
Problematische Schullektüre
Neuer Stein des Anstoßes ist die Neubearbeitung eines polnischen Klassikers, Zygmunt Krasińskis „Un-göttlicher Komödie“ von 1833. Dieses Stück, das bis heute jeder Schüler zur Kenntnis nehmen muss, ist nicht frei von damals fast üblichen antijüdischen Ressentiments. Theaterdirektor Klata hatte die Regie einer neuen „Un-göttlichen Komödie“ dem jungen kroatischen Regisseur Oliver Frljić anvertraut.
Frljić versteht seine Arbeit als Diagnose aktuellen gesellschaftlichen Bewusstseins. So hat er in Serbien das serbische Massaker an Muslimen in Srebrenica inszeniert. In Kroatien ist er mit einer Bühnenarbeit über kroatische Kriegsverbrechen an der serbischen Minderheit angeeckt. Mit Krasińskis „Un-göttlicher Komödie“ wollte er eine Diskussion über den polnischen Antisemitismus, über Mitwirkungen polnischer Bürger am Holocaust oder über die Vertreibung der Juden aus Polen 1968 in Gang bringen, zunächst unter seinen Schauspielern.
„Für mich war die antisemitische Schicht dieses Textes interessant. Denn die Kinder lesen das in der Schule, aber es wird nirgends problematisiert. Ich hatte eine Gruppe von 18 Schauspielern. Charakteristisch für meine Arbeit ist es, dass die ideologischen Differenzen zwischen den Schauspielern, die mitmachen, nicht verdeckt, sondern herausgestellt werden. Hier gab es ältere Schauspieler, die es für unzulässig hielten, über einen der größten Nationaldichter so zu sprechen. Die jüngere Gruppe war der Ansicht, das, was wir machen, sei gerade das, was sie brauchen, was heute ein modernes Nationaltheater verkörpern sollte.“
Die rechtsnationale Szene macht Druck
Sieben Schauspieler kündigten ihre Mitarbeit am Frljić-Projekt auf. In der Öffentlichkeit kursierten Gerüchte, zum Beispiel: Man habe die polnische Nationalhymne nach der Melodie von „Deutschland, Deutschland über alles“ geprobt. Elżbieta Morawiec, einst selbst eine Protagonistin des Avantgardetheaters der antikommunistischen Opposition, schreibt heute für die rechtsnationale Tageszeitung „Nasz Dziennik“:
„Das sind politische Provokationen in sensu stricto. War es denn wirklich nötig, dass uns ein Regisseur dieses Typs solche Anklagen ins Gesicht schleudert? Das verstehe ich wirklich nicht. Wer hat Herrn Frljić gerade für so ein Stück engagiert und weshalb? Haben wir denn wirklich keine Regisseure in Polen mehr? Müssen wir ein Genie vom Balkan einführen?“
Dem Druck der rechtsnationalen Szene auf das Teatr Stary zeigt sich in diesen Tagen vor allem einer nicht gewachsen. Der sonst politischen Provokationen zugeneigte Direktor Jan Klata hat die für Dezember geplante Premiere der „Un-göttlichen Komödie“ kurzerhand abgesagt. Frljić musste in Krakau seine Koffer packen und ist nach Zagreb zurückgereist.
„Der Produktionsstopp ist für mich Zensur. Die Theaterdirektion hat mit dieser Entscheidung Gewalt in der Gesellschaft legitimiert. Sie hat kapituliert. Sie hat erkennen lassen, dass sie nicht glaubt, dass es in ihrem Land Institutionen und Rechtsmittel gibt, die solche Menschen aufhalten können. Das ist furchtbar, gerade in Europa heute. Sehen sie sich die Rechte in Ungarn an, in Kroatien, in Serbien oder Griechenland.“
In Polen zielt die nationale Rechte mit ihrer Empörung über das Krakauer Nationaltheater keineswegs auf Jan Klata. Ihr Sprachrohr, die Kritikerin Elżbieta Morawiec, macht es deutlich:
„Das Teatr Stary vereinigt nur all das, was an Schlechtem passiert. Und dafür ist nicht Jan Klata verantwortlich, sondern derjenige, welcher solche Phänomene fördert, also Polens Minister für Kultur und Kunst.“
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