Nicht von dieser Welt
Jubeljahr für die polnischen Katholiken: Johannes Paul II. wird 2014 heilig gesprochen. Derzeit erlebt die tridentinische Messe in seinem Heimatland einen Boom - ausgerechnet bei der jungen Bevölkerung.
Sonntagabend in der Heilig Kreuz-Kirche in Krakau. In dem Gotteshaus aus dem XIV. Jahrhundert haben sich etwa ein hundert Gläubige versammelt – darunter mehrere Ehepaare mit Kindern.
Schon die ersten Orgeltöne und der darauf folgende Chor-Gesang verraten, dass hier etwas Besonderes zelebriert wird - die tridentinische Messe. In Latein gehalten, war sie seit dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert die Messe der römisch-katholischen Kirche. Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sie durch die modernen Messen in den Volkssprachen der Gläubigen abgelöst.
Die Stimmung ist wie bei einem klassischen Konzert – die langen Musikeinlagen verleihen der Messe einen feierlichen Charakter. Mehrmals wird der Altar vom zelebrierenden Priester beweihräuchert. Er selbst mit dem Blick zum Altar gewandt, trägt ganze Textpassagen aus dem Messbuch singend vor.
Ab und zu durchbricht die Stille ein Rascheln – es sind die Hefte mit dem Messablauf, ausgelegt auf den Bänken. Zum besseren Verständnis zweisprachig verfasst– auf Latein und Polnisch.
Auch wenn es für viele eine Fremdsprache ist, keiner scheut sich hier, die Gebete nachzusprechen. Ein Marienlied rundet die fast zweistündige Messfeier ab. Der Hauptzelebrant Wojciech Grygiel weiß, dass die Musik einen hohen Stellenwert in der Liturgie hat.
"Normalerweise kann die tridentinische Messe auf verschiedene Art und Weise zelebriert werden. Man kann die stille Messe haben, man kann gesungene Messe haben. Für den tridentinischen Ritus ist der Gesang sehr wichtig. Wie der heilige Augustinus sagte, wer singt, der betet zwei Mal. In der Geschichte der Liturgie war Kunst immer wichtig, denn es ist eine Vergrößerung der Ehre Gottes."
Der Priester schaut zum Altar - mit dem Rücken zur Gemeinde
Seit drei Jahren zelebriert der polnische Priester Messen nach dem tridentinischen Ritus in der Heilig Kreuz Kirche - sonntags gibt es gleich zwei davon. 400 Menschen kommen regelmäßig dazu. In Krakau, einer Stadt mit rund 750 tausend Einwohnern, haben innerhalb der letzten fünf Jahre insgesamt vier Kirchengemeinden eine solche Messe in das Programm aufgenommen – manche auch wochentags. Wojciech Grygiel kam vor elf Jahren auf den Geschmack. Damals im Priesterseminar lernte er in Fleißarbeit die streng festgelegten Formeln und Gesten kennen. Dass die Bänke in seiner Kirche von überwiegend jungen Menschen bevölkert sind, überrascht ihn aber.
"Die Leute, die die Messe vor dem Konzil kennen, sind kaum da. Es ist eine Entdeckung für junge Leute. Ich denke, dass die Menschen heute etwas in der Kirche suchen, was heilig ist. Man könnte sagen "nicht von dieser Welt". Etwas, was ganz besonders ist. Das Sacrum, die Heiligkeit ist deutlich ausgedrückt."
Eine der Besonderheiten der Liturgie ist die Tatsache, dass bei der Tridentinischen Messe der Priester fast alle Kulthandlungen mit Blick auf den Altar vollzieht. Eine andere ist der Gebrauch des Lateins anstelle von Landessprachen. Gerade weil der Gläubige nicht alles versteht, konzentriert er sich nicht auf das Wort, sondern auf den Höhepunkt einer Messe – die Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi, meint Grygiel. Dass er der Gemeinde fast die gesamte Zeit den Rücken zukehrt, hält er keineswegs für die Schwachstelle der tridentinischen Liturgie.
"In der Liturgie, es geht nicht um das Verständnis. Die Leute, die in die tridentinische Messe kommen, sagen, sie wollen ein Geheimnis erfahren. Wir stehen vor Gott, er kann nicht von unserer Vernunft erfasst werden. Praktisch ist mir lieber zu zelebrieren, wenn ich die Leute nicht sehe. Da kann ich mich besser konzentrieren. Diese Leute, die sagen, es ist schlecht wenn man den Rücken des Priesters sieht, haben keine Ahnung von der Geschichte der Liturgie. Es gab in der Liturgie ein Prinzip, dass wir uns alle gegen Osten wenden. Christus wird vom Osten kommen."
Der 30-jährige Piotr besucht tridentinische Messen seit acht Jahren. Obwohl er die lateinischen Formeln mit einiger Mühe ausspricht, fühlt er sich von dem Geschehen nicht ausgeschlossen.
"Bei der Messe spüre ich die Anwesenheit von Jesus, die Symbolik ist sehr tief. Ich und meine Frau sprechen kein Latein, aber die Hauptgebete haben wir auswendig gelernt. Die Texte und Kommentare dazu kann man problemlos im Internet finden. Außerdem werden die Lesungen, das Evangelium und die Predigt auch auf Polnisch vorgetragen, deshalb kann ich problemlos folgen."
Auch Elzbieta scheint an dieser Liturgie-Form einen Gefallen zu finden. Denn für sie ist sie ein Ausdruck der Universalität der Kirche.
"Diese traditionelle Art Liturgie gibt es in der Kirche seit Ewigkeit. Damit ist die Kirche weltweit groß geworden, und das ist ihre Stärke. Das Moderne, der Fortschritt ist zwar gut, aber alles muss wie bei einem Baum feste Wurzeln haben, damit es nicht umstürzt und Früchte trägt. Dass ich etwa Latein nicht verstehe, ist kein Manko. Was zählt, ist, dass sich Jesus für mich aufopfert."
"Diese Messen waren mit Latein überwuchert"
Erstaunlich ist: Wer die tridentinische Messe aus seiner Jugendzeit kennt, geht meistens doch lieber in die polnische Messe. Dieser 75-jährige Gläubige hat die tridentinische Messe eher als lästig empfunden – zu lang, zu elitär, zu wenig transparent.
"Diese Messen waren mit Latein überwuchert. Kaum jemand hat etwas verstanden - bis auf den Moment der Wandlung oder wenn das Vaterunser kam. Für die Mehrheit der Dorfbewohner war das wie Stochern im Dunkeln. Auch der Gesang erschien mir extrem lang – man hat nicht wie heute zwei Strophen eines Liedes gesungen, sondern alle - zehn und mehr. Ich war Ministrant, lernte die lateinischen Verse auswendig und musste zwei, manchmal sogar drei Stunden am Altar ausharren. Deswegen bin ich heute dagegen."
Viele liberale Katholiken und Gremien, die den jüdisch-katholischen Dialog führen, stehen der wachsenden Popularität der Tridentinischen Messe in Polen eher skeptisch gegenüber. In der Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte durch Papst Benedikt dem XVI. sehen sie nach wie vor eine verdeckte Bekehrungsabsicht der Juden. Denn dort heißt es: "Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott, unser Herr, ihre Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen." Die meisten jungen Anhänger der tridentinischen Messe scheint dieses Argument jedoch nicht weiter zu belasten. Vielleicht auch, weil diese Fürbitte nur einmal im Jahr gesprochen wird. Und viele sie nicht einmal verstehen.