Polen streitet über den Personenkult

Von Florian Kellermann · 30.04.2011
Am Sonntag wird der amtierende Papst Benedikt XVI. seinen Vorgänger selig sprechen. In Polen löst das nicht nur Beifallsstürme aus. Kritisiert wird der Personenkult um Johannes Paul II. und besonders die geplante Reliquien-Ausstellung in Krakau.
Eine achteckige Halle tief unter der Erde: Die Wände sind noch kahl, um einen Betonsockel in der Mitte hat sich eine Wasserlache gebildet. Dieser Raum wird einmal das größte Heiligtum beherbergen - im Johannes Paul II.-Zentrum in Krakau. In der "Unteren Kirche", wie der Raum heißt, sollen die Reliquien des verstorbenen Papstes ausgestellt werden.

Pfarrer Jan Kabzinski, der Leiter des Zentrums:

" Dies wird der zentrale Ort für die Verehrung von Johannes Paul II. Hier können ihnen die Gläubigen anrufen, damit er zwischen ihnen und Gott vermittelt. Außerdem sollen wir hier seine Lehre neu erleben. Deren Kern besteht für mich in einem Satz aus dem Johannes-Evangelium: Gott ist die Liebe. Wir sollen die Liebe und damit Gott im anderen Menschen wecken."

Täglich soll hier in Zukunft eine Messe stattfinden, in der übrigen Zeit können die Gläubigen um den Altar mit den Reliquien herumgehen. Zur Schau gestellt werden dort ein Ring aus dem Besitz des Papstes und der Pileolus, seine weiße Kopfbedeckung. Außerdem wird eine Reliquie erster Klasse zu sehen sein, wie es in der katholischen Kirche heißt, also ein Teil vom Leib des Verstorbenen. Dabei handelt es sich um eine Ampulle mit Blut. Ein Krankenhausarzt in Rom nahm es Johannes Paul II. kurz vor seinem Tod ab und übergab die Ampulle an seinen Testamentsvollstrecker, den Krakauer Kardinal Stanislaw Dziwisz.

Pfarrer Jan Kabzinski freut sich über die Gabe:

"Jeder von uns hat doch ein Andenken an seine Eltern, besonders nach ihrem Tod. So eine Sache bewahren wir dann an einem wichtigen Ort auf. Für uns Gläubige war der Papst unser Heiliger Vater. Wir wollen ihm durch die Reliquien näher sein. Für mich gilt das ganz besonders, weil ich meinen leiblichen Vater schon als Kind verloren habe."

Noch ist das Blut - im katholischen Verständnis - keine Reliquie. Dazu wird es erst am 1. Mai, durch die Seligsprechung. Die Ampulle wird an diesem Tag bei der Zeremonie in Rom sein und sechs Wochen später nach Krakau kommen.

Viele polnische Gläubige wollen den Moment der Seligsprechung gemeinsam erleben - vor dem Krakauer Bischofspalast. Dort gibt es das sogenannte Papstfenster, aus dem sich Karol Wojtyla bei seinen Besuchen zeigte. Eine Mauer vor dem Fenster steht voller Kerzen, hier beteten Menschen nach seinem Tod 2005 für den Verstorbenen. Aber bei Weitem nicht alle Gläubigen finden es gut, die Ampulle mit dem Blut auszustellen. So die 20-jährige Agnieszka, Studentin an der Päpstlichen Akademie, die vor dem Papstfenster in einer Pause eine Zigarette raucht:

"Johannes Paul II. hat verschiedene Religionen einander nähergebracht. Er hat gesagt, dass Gott die Menschen eint und nicht trennt, auch wenn er damit den religiösen Dogmen widersprach. Dafür achte ich ihn, was aber nicht heißt, dass ich ihn wie einen Halbgott verehren will. Mit den Reliquien kann ich gar nichts anfangen, das ist für mich etwas Heidnisches und erinnert mich an Schamanismus."

Selbst einige Geistliche äußern Kritik. Mit der geplanten Ausstellung des Blutes falle die Kirche ins Mittelalter zurück, sagen sie hinter vorgehaltener Hand. Der Jesuiten-Pater Waclaw Oszajca urteilt zwar nicht so streng, aber glücklich ist er nicht über die Entscheidung des Krakauer Kardinals:

"Es schien, als hätten wir das schon hinter uns - den Körper eines Menschen aufzuteilen und an verschiedene Orte zu verschicken. Aber offenbar brauchen das manche weiterhin. Dahinter steckt ein magisches Verständnis der Religion: Schon der Besitz von Reliquien oder geweihten Dingen soll einen Menschen vor Unglück schützen. Ich finde, wir sollten uns vielmehr der Lehre des Papstes zuwenden - die Theologen den Enzykliken und die einfachen Menschen seinen Briefen. Dann wäre die Seligsprechung eine echte Inspiration."

Viele Katholiken stört die Diskussion um die Reliquien, sie wollen vor der Seligsprechung lieber die Bedeutung von Karol Wojtyla herausstellen. In Deutschland war der verstorbene Papst wegen seiner konservativen Amtsführung umstritten. Er hielt streng an Dogmen der katholischen Kirche fest, etwa am Zölibat der Geistlichen oder daran, dass Verhütung beim Sex eine Sünde ist. In Polen wurde er dafür kaum kritisiert. Die meisten Menschen dort stellten seine Erfolge heraus - allen voran seinen Einsatz gegen das sozialistische Regime. Johannes Paul II. inspirierte die Bewegung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc, auf Deutsch Solidarität, die in den 1980er Jahren gegen die polnische Regierung demonstrierte.

Außerdem loben viele Gläubige, dass der Papst die Weltreligionen einander näherbringen wollte. Das habe auch die katholische Kirche selbst verändert, sagt Michael Schudrich, Oberrabbiner der orthodoxen jüdischen Gemeinde in Polen:

"Schon in den 1960er Jahren, beim Zweiten Vatikanischen Konzil, änderte die Kirche ihre Haltung gegenüber den Juden von negativ zu neutral. Sie warf ihnen nicht mehr vor, Jesus Christus ermordet zu haben. Johannes Paul der II. ging einen Schritt weiter, er beschrieb die Juden positiv, als die älteren Brüder im Glauben. Er sagte: Wer das Judentum nicht versteht, kann nicht vollständig Christ sein."

Die polnische Kirche profitierte von dem beliebten Herrscher im Vatikan. In den 1980er Jahren begannen mehr Menschen, in die Gottesdienste zu gehen. Nach dem Tod des Papstes kehrte sich dieser Trend wieder um. Rund 40 Prozent der Gläubigen besuchen regelmäßig die Messe. Das ist zwar weit mehr als in Deutschland, aber vor zehn Jahren waren es noch 47 Prozent. Auch die Zahl der Priesteranwärter geht kontinuierlich zurück.

Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung die Kritik an der Kirche, vor allem an ihrem Einfluss auf die Politik. Jüngstes Beispiel: Die Bischofskonferenz forderte das Parlament auf, künstliche Befruchtung zu verbieten. Damit stellte sie sich gegen die entschiedene Mehrheit der Polen. Auch Entschädigungszahlungen für Eigentum, das nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht worden war, brachte der Kirche negative Schlagzeilen. Denn sie bekam in manchen Fällen viel mehr als sie verloren hatte - durch mutmaßlich gefälschte Gutachten. Inzwischen beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft mit der Entschädigung der Kirche.

Nach Ansicht des Jesuiten Waclaw Oszajca kann die Kirche nur dann das Vertrauen der Menschen behalten, wenn sie sich auch mit ihren Problemen beschäftigt:

"Die Kirche ist gut zurechtgekommen, als die Gesellschaft arm und unterdrückt war, als sie Schutz und Aufmunterung brauchte. Aber heute werden die Menschen immer reicher und fühlen sich sicher. Wir müssen also einen neuen, positiven Zugang zur Wirklichkeit entwickeln, eine Theologie der weltlichen Werte, wie ich es nennen würde."

Dabei könne die Lehre von Johannes Paul II. helfen, etwa seine Kritik am zügellosen Kapitalismus, meint Waclaw Oszajca. Das funktioniere aber nur, wenn der verstorbene Papst ernst genommen und nicht bloß auf den Sockel gehoben werde.
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