Wie die katholische Kirche Politik macht
Das Abtreibungsrecht in Polen ist schon heute sehr restriktiv. Doch radikale Lebensschützern reicht das nicht. Die rechtskonservative Regierungspartei PiS steht in der Debatte auf dünnem Eis. Vor allem, weil die katholische Kirche mächtig Druck macht.
Die Proteste gegen die Regierung reißen nicht ab: Am Wochenende kamen vor allem Frauen mit Transparenten vor das Parlament. Denn nun geht es um sie: um eine geplante Verschärfung des ohnehin restriktiven Abtreibungsrechts. Eine Bürgerinitiative will ihnen den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich verbieten. Bisher dürfen Frauen dann abtreiben, wenn ihre Gesundheit in Gefahr ist, wenn sie vergewaltigt wurden und wenn das Kind schwer behindert sein wird.
Auch Prominente demonstrieren, so die Schauspielerin Maja Ostaszewska:
"Ein noch strengeres Abtreibungsrecht wird fatale Folgen haben. Noch mehr Frauen werden illegal abtreiben. Schon heute ist die Dunkelziffer hoch. Solche Abtreibungen geschehen oft nicht fachgerecht, die Frauen müssen sehr häufig sofort ins Krankenhaus eingeliefert werden."
Katholische Kirche stützt nicht nur Abtreibungspläne
Radikale Lebensschützer, wie sie sich nennen, gibt es in vielen Ländern. In Polen haben sie ganz gute Chancen auf Erfolg. Schon vor zwei Jahren sammelten sie 400.000 Unterschriften für ein Abtreibungsverbot. Auch diesmal werden sie ihren Gesetzentwurf ganz sicher ins Parlament einbringen können. Zumal die katholische Kirche sie tatkräftig unterstützt. Bei der Sonntagsmesse vor einer Woche ließ die Bischofskonferenz in allen Kirchen einen entsprechenden Hirtenbrief verlesen.
Der polnische Dominikaner Pawel Guzynski:
"Das ist eine fundamentale Frage und sollte eigentlich nicht verwundern: Die katholische Kirche war schon immer dieser Ansicht, dass das menschliche Leben heilig ist. Dafür sprechen religiöse und philosophische Argumente. Das religiöse Argument lautet: Du sollst nicht töten, wie das fünfte Gebot sagt."
Ungewöhnlich ist allerdings, dass die katholische Kirche in einem Land in diesem Punkt die Politik mitgestalten will. Tatsächlich kann sie die rechtskonservative Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, mächtig unter Druck setzen. Denn führende Bischöfe unterstützten die Rechtskonservativen schon im Wahlkampf im vergangenen Herbst.
Noch deutlicher positionieren sich Geistliche im gegenwärtigen politischen Streit, zum Beispiel im Streit um das Verfassungsgericht. So Erzbischof Jozef Michalik in seiner Predigt zu Ostern. Er rückte die polnische Opposition in die Nähe von Landesverrätern, weil diese die Regierung auch auf EU-Ebene anprangert.
"Sie klagen Polen an. Sie stacheln fremde Nationen zum Hass gegenüber den Polen an. Nur weil diese es gewagt haben, nicht sie, sondern andere zu wählen."
Für diese Unterstützung fordere die Kirche nun ihre Dividende, so sehen es Beobachter. Die Regierung äußerte sich zunächst vorsichtig positiv. Ministerpräsidentin Beata Szydlo sagte zunächst in einem Radiointerview:
"Wenn die Bürgerinitiative ihr Projekt ins Parlament einbringt, dann werden wir mit ihm arbeiten, wir respektieren die Meinung der Bürger. Ich persönlich unterstütze die Initiative, aber in Gewissensfragen haben wir noch nie auf Fraktionsdisziplin bestanden. Jeder wird sich nach seinem eigenen Gewissen richten."
Ähnlich äußerte sich der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski. Er sei Katholik, deshalb sei seine Entscheidung klar, sagte er. So denke auch die Mehrheit der Fraktion, sagte Kaczynski. Mit dieser Haltung begibt sich die Regierungspartei jedoch auf gefährliches Eis.
Große Mehrheit gegen verschärftes Abtreibungsgesetz
Denn die entschiedene Mehrheit der Polen ist gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts, wie Umfragen zeigen. Präsident Andrzej Duda, der aus der PiS stammt, positionierte sich dazu sogar im Wahlkampf. Als ihn eine Bürgerin fragte, ob er Abtreibung verbieten wolle, versprach er, das geltende Recht nicht anzutasten.
Wohl deshalb ruderte die Regierung zuletzt wieder halb zurück. Ministerpräsidentin Szydlo sagte nun:
"Ich bin verwundert darüber, wie intensiv das Thema behandelt wird. Die Regierung arbeitet derzeit nicht an einer Änderung des Abtreibungsrechts. Eigentlich gibt es das Thema heute in Polen gar nicht."
Wenn sie die Bürgerinitiative abschmettert, könnte die PiS wiederum ihre Stammwähler verärgern. Diese sind für das Thema besonders sensibilisiert, seit im März ein Film im Internet auftauchte. Er zeigte den Abtreibungsvorgang in einer Warschauer Klinik: Das behinderte Kind wurde lebend geboren, die Ärzte ließen es sterben.
An diese Szene erinnern die Abtreibungsgegner immer wieder, so Anna Kilian:
"Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen und sagen, was das geltende Gesetz bedeutet. Allein 2014 wurden in polnischen Krankenhäusern 971 Kinder bei Abtreibungen getötet, die allermeisten deshalb, weil sie krank waren. Viele werden dabei tatsächlich lebend geboren und dann lassen die Ärzte sie einfach sterben. Obwohl die Kinder weinen, schreien und um Hilfe bitten."
Die PiS hofft nun, dass die Bischöfe sich zumindest auf einen Kompromiss einlassen: Das Parlament könnte das Recht nur in einem Punkt verschärfen und es verbieten, behinderte Kinder abzutreiben.
Möglicher Deal zwischen PiS und katholischer Kirche
Dafür könnte die PiS der katholischen Kirche in anderen Fragen entgegenkommen. So fordert sie, Religion müsse an den Schulen zum Abiturfach werden. Die Bildungsministerin kündigte bereits an, sich dafür einzusetzen.
"Zumindest in einem Punkt ist die Regierung der Kirche schon ganz entschieden entgegengekommen. Sie plant, den Handel mit Ackerland stark zu beschränken - um, so heißt es - ausländische Agrar-Konzerne von Polen fernzuhalten. Für die katholische Kirche und andere Glaubensgemeinschaften jedoch sollen diese Beschränkungen nicht gelten."
Die Diskussion um die Abtreibung wird die Regierung aber wohl nicht mehr los: Frauenorganisationen haben angekündigt, sie wollen längst nicht mehr nur um den Erhalt des geltenden Abtreibungsrechts kämpfen, sondern weitergehen.
Eine Studentin:
"Es sollte das natürliche Recht von Frauen sein, ob sie abtreiben wollen oder nicht. Das ist eine Frage der Würde."