Maren Röger: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2015
304 Seiten, 24,99 Euro, auch als ebook
Sexarbeit für den Eroberer
Es gab Besatzer-Bordelle, tausendfache Gelegenheitsprostitution und erzwungene Intimität: Maren Röger rekonstruiert, unter welchen Umständen deutsche Soldaten mit den besungenen "Polenmädchen" verkehrten. In Ausnahmefällen war es sogar die große Liebe.
Ein Wehrmachtssoldat sitzt allein im Café, blickt interessiert zu einer Frau am Nebentisch. Auch sie allein, lächelt kokett fragend zurück. Dieses schwarz-weiße Coverbild aus den 40er-Jahren erhält erst durch seinen Buchtitel die entsprechende Doppelbödigkeit: "Kriegsbeziehungen – Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen von 1939 bis 1945".
"Der deutschen Militärführung war bewusst, dass es nach dem Einmarsch in Polen zu sexuellen Kontakten mit Einheimischen kommen würde (...)
Die Militärführung hatte Erfahrungswerte aus vorangegangenen Kriegen, vor allem dem erst zwei Jahrzehnte zurückliegenden Ersten Weltkrieg, und räumte deshalb dem Aufbau eines kontrollierten Prostitutionswesens große Aufmerksamkeit ein."
Flächendeckendes Netz von Bordellen
Und so wird innerhalb eines Jahres nach dem Überfall auf Polen im September '39 ein flächendeckendes Netz an Besatzerbordellen etabliert. Die Historikerin Maren Röger forscht nach: Wo genau befanden sich die Bordelle, welche Frauen arbeiteten dort, was bedeutete in diesem Zusammenhang überhaupt "Arbeit", welche Männer gingen dorthin?
Denn: Jenseits der staatlichen Bordelle existierten auch privat organisierte. Anfang 1940 wies die Warschauer Kriminalpolizei 173 Wohnungen nach, die als Privatbordelle dienten. Hochgerechnet, erklärt die Autorin, waren über zehntausend Frauen im gesamten besetzten Polen "Gelegenheitsprostituierte".
"Viele Frauen prostituierten sich in der Besatzungszeit zum ersten Mal. Materielle Gründe zwangen sie zu diesem Schritt. (...) Viele, die offiziell in Scheidung lebten oder deren Mann inhaftiert war, verkauften mitunter Sex, um sich oder die Familie durchzubringen."
(Lied) "In einem Polenstädtchen, da lebte einst ein Mädchen, das war so schön. Sie war das allerschönste Kind, das man in Polen find. Aber nein, aber nein, sprach sie, ich küsse nie."
Das Soldatenlied von dem Polenmädchen, das auch im Zweiten Weltkrieg gesungen wurde, spielt auf eine andere Form von Kontakten an: die deutsch-polnischen Besatzungsbeziehungen. Dabei gelingt es Maren Röger, das "Gut-Böse-Schwarz-Weiß-Schema" zu durchbrechen und sie als "komplizierte Interaktionssysteme" darzustellen, die nur im Ausnahmezustand möglich waren. Ein Beispiel:
"Janina B. lernte den späteren Vater ihres Kindes kennen, als er mit seiner Einheit (...) stationiert war. Otto L. (...) hatte den wichtigen Posten eines Quartiermeisters inne. (...)"
Janina B. erzählte ihrer Tochter von der großen gegenseitigen Liebe, aber auch davon, was für ein guter Mensch Otto L. gewesen sei, habe er doch die ganze Familie mit Kleidung und Nahrungsmitteln versorgt."
(Lied) "In einem Karpfenteiche, da fand man eine Leiche, die war so schön. Sie hat einen Zettel in der Hand, worauf geschrieben stand: Ich hab' einmal geküsst und schwer gebüßt."
Denn Polinnen, die sich so wie im Soldatenlied mit Deutschen einließen, hatten es schwer:
"Für die Großstadt Warschau existierten Namenslisten von Frauen aller Gesellschaftsschichten. (...) Nach der Bespitzelung erfolgte eine eindringliche Ermahnung, und bei erneutem Zuwiderhandeln wandte die polnische Exekutive des Untergrunds die Ehrstrafpraktik der Kopfrasur an."
Verlässliche Zahlen fehlen
Historiker dachten lange, dass für das besetzte Polen die Geschichte sexueller Kontakte schnell erzählt sei. Es habe das ausdrückliche Umgangsverbot gegeben – und das sei auch befolgt worden. Dass das nicht so war, erzählt Maren Röger eindringlich. Allerdings verweist sie zu oft auf Dunkelziffern, auf die Unmöglichkeit, absolute Zahlen anzugeben. Und das ist angesichts dessen, was ihr Buchtitel verspricht, dann doch zu dürftig.