Polen

Wie alte Juden in Krakau leben

Blick auf die alte Synagoge in dem ehemaligen jüdischen Viertel Kazimierz in Krakau, in der heute ein Museum untergebracht ist.
Blick auf die alte Synagoge in dem ehemaligen jüdischen Viertel Kazimierz in Krakau, in der heute ein Museum untergebracht ist. © dpa / pa
Von Marta Kupiec |
Von den jüdischen Bewohnern Krakaus, die den Holocaust überlebt haben, gibt es nur noch wenige. Wer noch mobil ist, besucht Vereine und Synagogen. Zwei Juden, die selbst auf die 70 zugehen, kümmern sich um die alten Menschen.
Adam Klimek kann sich an den Zweiten Weltkrieg nicht erinnern. Er kam zur Welt am 3. Januar 1945, da dauerte der Krieg in Krakau noch ganze 17 Tage. Dass sein katholischer Vater eine Jüdin aus Wien heiratete und viele Familienmitglieder nicht überlebten, erfuhr er viele Jahre später:
"In der Familie meiner Mutter gab es neun Kinder, zwei Schwestern starben im Krieg - eine in Russland, die andere in Berlin. In der Familie meines katholischen Vaters gab es vier Jungs - nur mein Vater überlebte, die andern drei kamen ums Leben in KZs . Ich wuchs in Podgorze auf, einem Arbeiterviertel – als Kind konnte ich nicht verstehen, weshalb manche Jungs nach mir ständig 'Jüdlein, Jüdlein' riefen. Sie haben mir damit oft weh getan. Als ich zehn Jahre alt war, fuhr ich zu den Verwandten meiner Mutter. Dort kam heraus, dass es eine jüdische Familie ist. Die Familienangehörigen hatte ich überall – in Deutschland, Schweden, in den USA und in Argentinien."
Geschichten wie seine hört der 67-Jährige oft. Überhaupt viele ältere Menschen aus der Gemeinde wenden sich an ihn mit unterschiedlichen Fragen – mal geht es um die Hilfe bei einem Behördengang, mal um die Frage, ob es in der Gemeinde koscheres Essen gibt.
Feste, Filmabende, Ausstellungen
"Die Suppenküche steht in der Gemeindesatzung. Das ist sehr hilfreich für viele ältere Menschen, besonders diejenigen, die alleine Leben. Für sie ist es bequem, dort zu essen. Manche wollen koscher essen, dort wird das geboten. Hungern muss hier keiner, das Mittagessen wird auch nach Hause gefahren."
Klimek leitet in Krakau die Filiale der ältesten Jüdischen Kulturgesellschaft Polens – TSKŻ. Die Einrichtung bemüht sich darum, die jüdische Kultur zu verbreiten. Für ihre 67 Mitglieder in Krakau, von denen viele über 70 sind, werden Feste, Filmabende, Ausstellungen und Konzerte organisiert. Einfach ist das nicht – denn die Zahl der aktiven Mitglieder sinkt und die jungen Juden gründen lieber ihre eigenen Vereine.
"Ich halte es persönlich für sehr schlecht, dass die Juden nicht mit einer Stimme sprechen, da es so wie so wenig Juden in Kraków gibt. Wir alte Juden sterben weg, die jüdischen Organisationen sind zersplittert. Die Jüdische Gemeinde zählt ca. 100 Personen, unsere Organisation 67, die Holocaustkinder 48. Einige gehören nirgendwo zu. Hinzu kommt eine Gruppe junger Juden und Konvertiten. Nach meiner Schätzung könnten in Krakau zwischen 200 und 250 Juden leben."
Zwei Dinge müssten geschehen, um den Alterungsprozess innerhalb der jüdischen Community aufzuhalten: Mehr Geburten müsse es geben oder Juden müssten nach Polen einwandern. Besonders das zweite findet Klimek sehr problematisch.
Für Viele ist der Club ein zweites Zuhause
"Um Juden zu holen, dafür muss man Geld haben. Deutsche können es sich leisten. Man muss Arbeitsplätze und Wohnungen sichern, auch Sozialhilfe. Bei einer Fortbildung in Israel sagte ich, dass das Judentum in Polen wieder aufleben wird, dass Juden aus Argentinien und Israel zu uns kommen werden. Nachfragen aus Argentinien hatte ich bereits – man bat mich, nach Belegen aus der Vorkriegszeit, hauptsächlich den Geburtsurkunden zu suchen. Für die dortigen Juden ist der EU-Pass attraktiv. Auch manche Israelis beugen sich dem Druck des Krieges und überlegen, nach Krakau zu kommen. Das betrifft auch die US-amerikanischen Juden, weil das Leben hier ganz gut ist."
Doch bis dieses Szenario eintritt, wird es noch etwas dauern, meint Małgorzata Zajda, die sich tagtäglich um die Alten kümmert. Sie leitet den Seniorenklub im JCC, der von einer britischen Stiftung finanziell unterstützt wird. Das kostenlose Angebot umfasst Mal-, Näh- oder Sprachkurse. Für viele Besucher, von denen manche auf die 80 zugehen und oft alleine leben, ist der Club ein zweites Zuhause. Sie bleiben dort bis in die späten Abendstunden.
"Das Essen und Trinken ist für unsere Mitglieder umsonst, auch Taxicoupons werden ausgegeben, besonders wenn jemand nach dem Shabbattessen nach Hause gehen will oder sich schlecht fühlt. Manchmal gehe ich mit meinen Senioren ins Kino, wobei die Zeit dafür knapp ist. Ständig gibt es hier einen Hebräisch- oder Jiddischkurs, eine Computerstunde oder Krankengymnastik."
An diesem Abend schauen sich die Senioren ein Fußballspiel an. Mit dabei ist Fredzia. Die alte Dame wuchs als Voll-Weise auf. Über ihr Schicksal will die 80-Jährige nicht sprechen – zu schmerzhaft sei das Ganze. Małgorzata Zajda kennt solche Geschichten nur zu gut
Tragische Erzählungen der Mutter
"Jede Geschichte hat einen tragischen Hintergrund, aber manche erzählen es mit ein wenig Zynismus, andere wiederum mit Tragik. Fredzia tut mir sehr leid, sie wurde nach Sibirien abtransportiert - ihre Mutter kam dabei ums Leben, der Vater ist erfroren, als er das Essen holte. Oder Herr Mundek – die Mutter wurde vor seinen Augen erschossen, die Schwester wurde wahnsinnig."
Bis heute bekommt Zajda Gänsehaut, wenn sie an die Erzählungen ihrer jüdischen Mutter zurückdenkt, die die Shoah in der Region um Zamość überlebte und diese als Blutmeer beschrieb. Dem jüdischen Vater, der als Rechtsanwalt arbeitete, verdankt sie ein historisches Bewusstsein und Interesse an der Holocaust-Thematik.
"Ich lese fast ausschließlich Bücher, die den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust beschreiben. Auch mein Sohn hat die Geschichte studiert und arbeitet jetzt am Institut des Nationalen Gedenkens. Als Erstes las ich das Buch der Nobelpreisträgerin Wisława Szymborska, 'Der Rauch über Birkenau'. Ich kann es nachts lesen, ähnlich wie andere KZ-Berichte - es macht mich nicht ängstlich."
Małgorzata Zajda, die selbst auf die 70 zugeht, hat aus der Vergangenheit eine Lehre gezogen. Ihren Schützlingen gegenüber hat sie einen Vorteil – das Kriegsgeschehen ist für sie die Geschichte. Doch diese zeigt, dass man sich nie in Sicherheit wiegen kann und auf alles vorbereitet sein muss. Und obwohl die Krakauer Juden von heute in einem sicheren Nest leben, hat sie sich außerhalb der Stadt einen Zufluchtsort eingerichtet.
"Ich habe ein Ferienhaus in den Bergen, in Zawoja. Dort hängen Heiligenbilder, das passt zu der Umgebung und dem dortigen Baustil. Es ist nicht so, dass ich ohne die Heilige Theresia nicht einschlafen könnte. Klar, einen Davidstern kann ich dort nicht hinhängen, schon eher die Schwarze Madonna von Tschenstochau. Sonst könnte ich riskieren, dass mir die Wasserleitung gekappt wird. Also, wozu mit dem Schicksal spielen und die Leute ärgern?"
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