Polens erste Rabbinerin
Als Tanja Segal vor vier Jahren nach Krakow kam, gab es im jüdischen Viertel nur noch ein paar Synagogen, Friedhöfe und Kneipen. Der Holocaust und der Kommunismus hatten tiefe Spuren in der Gemeinde hinterlassen. Sie hat die Community zu neuem Leben erweckt.
Das jüdische Museum Galicja in Krakau. Zu einem Schabbat-Gebet der progressiven Gemeinde Beit Krakow haben sich zwei Dutzend Personen versammelt. Die Mehrheit sind junge Männer, um die 30, viele von ihnen werden bald zum Judentum übertreten. In der Mitte, neben einer flammenden Menora sitzt Tanja Segal. Sie spielt Gitarre und verzaubert jeden mit ihrer Stimme.
Über drei Jahre ist es her, dass Tanja nach Krakau kam, um die progressive Gemeinde wieder aufzubauen. Sie betreut Konvertiten, unterweist die Gläubigen im Jüdischen Glauben, bringt ihnen Hebräisch bei und organisiert Feste. Keine leichte Aufgabe wie sie sagt, zumal der Holocaust und die kommunistische Ära tiefe Spuren in ganz Polen hinterlassen haben.
"Ich war vor einigen Jahren in der Ukraine, genauer gesagt in Lemberg, also im früheren Galizien. Ich wollte nach Tel Aviv zurückfliegen - über Warschau. Die Stadt kannte ich nicht. Ich verbrachte dort einen ganzen Tag von 6 Uhr früh bis Mitternacht. Als ich mich in dem dortigen jüdischen Viertel umschaute, stellte ich fest: jüdisches Leben gibt es dort so gut wie nicht und das an einem Ort, der einst als dessen Zentrum galt."
Das Warschauer Szenario traf auch auf Krakau zu. Lange erinnerte der jüdische Stadtteil Kazimierz an ein Museum mit ein paar Synagogen, jüdischen Friedhöfen, unzähligen Kneipen, Galerien und Klezmer-Musikern. Seit vier Jahren weht ein frischer Wind in Krakau, meint die Rabbinerin.
"Als ich kam, gab es in Krakau keine progressive Gemeinde. Die Mitglieder waren eher orthodox orientiert. Es gab nicht einmal das Jüdische Kulturzentrum, das jüdische Viertel sah anders aus als heute, die Touristen waren am lautesten. Man konnte nichts vom normalen, täglichen Leben der jüdischen Community merken, so wie so gehörten dazu nur Wenige. Jetzt hat sich alles geändert. Jetzt kann man z.B. ins Galicja Museum gehen oder am Schabbat-Gebet der reformierten Gemeinde, Beit Krakow, teilnehmen."
Krakau ist für die 55jährige nur eine von vielen Stationen. Tanja Segal hat in Moskau Theaterwissenschaft studiert und arbeitete als Schauspielerin am Jüdischen Musiktheater. Vor 22 Jahren zog sie nach Israel, studierte Mystik, arbeitete als Übersetzerin. Neun Jahre später ging sie nach Riga, um an der dortigen Jüdischen Schule als Geschichtslehrerein zu arbeiten. 2004 begann sie in Jerusalem die Ausbildung zur Rabbinerin. Dass sie am Hebrew Union College studieren wird, daran hat sie früher nie gedacht. Sie ist in einem nichtreligiösen Haus aufgewachsen, in einer Zeit, wo in der Sowjetunion der Atheismus als Religion praktiziert wurde.
"Ich wurde in eine laizistische Familie hineingeboren. Ich wurde Schauspielerin, aber auch am Theater suchte ich nach etwas Übersinnlichem – ich nannte es damals nicht Metaphysik oder Theologie. Aber in gewissem Sinne habe ich gespürt, worum es da geht. 1990 verließ ich Russland, um in Israel zu leben. Dort dauerte es weitere 10 Jahre, bis ich meinen Platz in der Religion fand. Ich begreife mich aber nicht als zwei unterschiedliche Personen – eine Schauspielerin und eine Rabbinerin. Beides ist ein Teil von mir."
Der 2. November 2007 wird Tanja Segal für immer im Gedächtnis behalten. An diesem Tag wurde sie zur Rabbinerin geweiht. Einen Monat später kam sie nach Polen, wo noch keine Frau als Rabbinerin gearbeitet hat. Unter den vier männlichen Rabbinern Krakaus, die hauptsächlich der orthodoxen Strömung angehören, fühlt sie sich wohl. Man diene schließlich derselben Sache, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln – sagt die rothaarige Schönheit auf Highheels und mit einem Tallit um die Schulter.
Die Rabbiner schätzen ihre theatralische Ader, die beim Singen, Beten oder den Theater- Performances zum Vorschein kommt.
"Hier die männlichen Rabbis beeinflussen mich in keiner Weise. Es gibt einen Austausch unter uns, wie unter Kollegen. Klar, wir predigen an diversen Orten, weil unsere Liturgie und Zugang zum Glauben anders ist, aber vieles machen wir gemeinsam. Ich leide also nicht unter den männlichen Rabbinern. Im jüdischen Krakau gibt es noch jede Menge geistigen Hohlraum und wir Rabbis füllen ihn. Es gibt diverse Wege das Jüdische zu leben."
Mehrere Sprachen spricht die Rabbinerin mit russischen Wurzeln. Überall auf der Welt, wo sie sich aufhält, lernt sie etwas Neues dazu. Es ist eine Mischung aus Englisch, Russisch, Polnisch und Hebräisch, die sie zwischen den Songs zum Erklären der religiösen Inhalte gebraucht. Das kommt gut an, genuso wie ihr Lächeln. Jan Marszalek vom Jüdischen Museum Galicja findet es geradezu sensationell, dass Polen eine russischstämmige Rabbinerin hat.
"Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich überrascht. Am meisten habe ich mich darüber gewundert, wie sie sich benimmt, also dieses Jugendliche an ihr überzeugte mich. Dass sie eine Frau ist, war für mich nichts Neues – ich wusste, im Judentum ist es möglich."
Ob sie in Krakau für immer bleibt, das bezweifelt Tania Segal, zumal ihr Leben ein ständiges Kommen und Gehen ist. Aber eines freut sie ganz besonders – die progressive Gemeinde, Beit Krakow, wächst. Noch immer hat sie keine eigene Synagoge. Das Museum Galicja bleibt ihr Treffpunkt, da wird gebetet, performt und gesungen.
Und das passt zu dem schöpferischen Geist der Rabbinerin mit der slavischen Seele.
"Ich begann mit zwei, drei jungen Leuten. Meist waren es Studenten. Heute sind es ca. 40 Personen. Es ist immer noch keine große Gemeinde, aber darum geht es nicht. Wenn man sieht, was in vier Jahren gewachsen ist, wie viele kommen, um zusammen zu sein, merkt man: eine Gemeinschaft entsteht. Wir werden uns unserer Identität bewusst, lernen, was das jüdische Leben ausmacht. Wie feiern Schabbat und andere Feste zusammen, leben unsere jüdische Identität auf eine neue, kreative Art aus. Beit Krakow ist sehr speziell - wir haben unter uns viele Künstler, ein kreativer Geist ist da, wir haben Midraschtheater, stellen eine Verbindung her zw. einem klassischen jüdischen Text und dem polnisch-jüdischen Zusammenleben sowie der Geschichte."
Über drei Jahre ist es her, dass Tanja nach Krakau kam, um die progressive Gemeinde wieder aufzubauen. Sie betreut Konvertiten, unterweist die Gläubigen im Jüdischen Glauben, bringt ihnen Hebräisch bei und organisiert Feste. Keine leichte Aufgabe wie sie sagt, zumal der Holocaust und die kommunistische Ära tiefe Spuren in ganz Polen hinterlassen haben.
"Ich war vor einigen Jahren in der Ukraine, genauer gesagt in Lemberg, also im früheren Galizien. Ich wollte nach Tel Aviv zurückfliegen - über Warschau. Die Stadt kannte ich nicht. Ich verbrachte dort einen ganzen Tag von 6 Uhr früh bis Mitternacht. Als ich mich in dem dortigen jüdischen Viertel umschaute, stellte ich fest: jüdisches Leben gibt es dort so gut wie nicht und das an einem Ort, der einst als dessen Zentrum galt."
Das Warschauer Szenario traf auch auf Krakau zu. Lange erinnerte der jüdische Stadtteil Kazimierz an ein Museum mit ein paar Synagogen, jüdischen Friedhöfen, unzähligen Kneipen, Galerien und Klezmer-Musikern. Seit vier Jahren weht ein frischer Wind in Krakau, meint die Rabbinerin.
"Als ich kam, gab es in Krakau keine progressive Gemeinde. Die Mitglieder waren eher orthodox orientiert. Es gab nicht einmal das Jüdische Kulturzentrum, das jüdische Viertel sah anders aus als heute, die Touristen waren am lautesten. Man konnte nichts vom normalen, täglichen Leben der jüdischen Community merken, so wie so gehörten dazu nur Wenige. Jetzt hat sich alles geändert. Jetzt kann man z.B. ins Galicja Museum gehen oder am Schabbat-Gebet der reformierten Gemeinde, Beit Krakow, teilnehmen."
Krakau ist für die 55jährige nur eine von vielen Stationen. Tanja Segal hat in Moskau Theaterwissenschaft studiert und arbeitete als Schauspielerin am Jüdischen Musiktheater. Vor 22 Jahren zog sie nach Israel, studierte Mystik, arbeitete als Übersetzerin. Neun Jahre später ging sie nach Riga, um an der dortigen Jüdischen Schule als Geschichtslehrerein zu arbeiten. 2004 begann sie in Jerusalem die Ausbildung zur Rabbinerin. Dass sie am Hebrew Union College studieren wird, daran hat sie früher nie gedacht. Sie ist in einem nichtreligiösen Haus aufgewachsen, in einer Zeit, wo in der Sowjetunion der Atheismus als Religion praktiziert wurde.
"Ich wurde in eine laizistische Familie hineingeboren. Ich wurde Schauspielerin, aber auch am Theater suchte ich nach etwas Übersinnlichem – ich nannte es damals nicht Metaphysik oder Theologie. Aber in gewissem Sinne habe ich gespürt, worum es da geht. 1990 verließ ich Russland, um in Israel zu leben. Dort dauerte es weitere 10 Jahre, bis ich meinen Platz in der Religion fand. Ich begreife mich aber nicht als zwei unterschiedliche Personen – eine Schauspielerin und eine Rabbinerin. Beides ist ein Teil von mir."
Der 2. November 2007 wird Tanja Segal für immer im Gedächtnis behalten. An diesem Tag wurde sie zur Rabbinerin geweiht. Einen Monat später kam sie nach Polen, wo noch keine Frau als Rabbinerin gearbeitet hat. Unter den vier männlichen Rabbinern Krakaus, die hauptsächlich der orthodoxen Strömung angehören, fühlt sie sich wohl. Man diene schließlich derselben Sache, wenn auch mit unterschiedlichen Mitteln – sagt die rothaarige Schönheit auf Highheels und mit einem Tallit um die Schulter.
Die Rabbiner schätzen ihre theatralische Ader, die beim Singen, Beten oder den Theater- Performances zum Vorschein kommt.
"Hier die männlichen Rabbis beeinflussen mich in keiner Weise. Es gibt einen Austausch unter uns, wie unter Kollegen. Klar, wir predigen an diversen Orten, weil unsere Liturgie und Zugang zum Glauben anders ist, aber vieles machen wir gemeinsam. Ich leide also nicht unter den männlichen Rabbinern. Im jüdischen Krakau gibt es noch jede Menge geistigen Hohlraum und wir Rabbis füllen ihn. Es gibt diverse Wege das Jüdische zu leben."
Mehrere Sprachen spricht die Rabbinerin mit russischen Wurzeln. Überall auf der Welt, wo sie sich aufhält, lernt sie etwas Neues dazu. Es ist eine Mischung aus Englisch, Russisch, Polnisch und Hebräisch, die sie zwischen den Songs zum Erklären der religiösen Inhalte gebraucht. Das kommt gut an, genuso wie ihr Lächeln. Jan Marszalek vom Jüdischen Museum Galicja findet es geradezu sensationell, dass Polen eine russischstämmige Rabbinerin hat.
"Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war ich überrascht. Am meisten habe ich mich darüber gewundert, wie sie sich benimmt, also dieses Jugendliche an ihr überzeugte mich. Dass sie eine Frau ist, war für mich nichts Neues – ich wusste, im Judentum ist es möglich."
Ob sie in Krakau für immer bleibt, das bezweifelt Tania Segal, zumal ihr Leben ein ständiges Kommen und Gehen ist. Aber eines freut sie ganz besonders – die progressive Gemeinde, Beit Krakow, wächst. Noch immer hat sie keine eigene Synagoge. Das Museum Galicja bleibt ihr Treffpunkt, da wird gebetet, performt und gesungen.
Und das passt zu dem schöpferischen Geist der Rabbinerin mit der slavischen Seele.
"Ich begann mit zwei, drei jungen Leuten. Meist waren es Studenten. Heute sind es ca. 40 Personen. Es ist immer noch keine große Gemeinde, aber darum geht es nicht. Wenn man sieht, was in vier Jahren gewachsen ist, wie viele kommen, um zusammen zu sein, merkt man: eine Gemeinschaft entsteht. Wir werden uns unserer Identität bewusst, lernen, was das jüdische Leben ausmacht. Wie feiern Schabbat und andere Feste zusammen, leben unsere jüdische Identität auf eine neue, kreative Art aus. Beit Krakow ist sehr speziell - wir haben unter uns viele Künstler, ein kreativer Geist ist da, wir haben Midraschtheater, stellen eine Verbindung her zw. einem klassischen jüdischen Text und dem polnisch-jüdischen Zusammenleben sowie der Geschichte."