Polenz: Afghanen fanden Luftangriff gut

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Marcus Pindur |
Die Bundeswehr hat nach Einschätzung des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung nicht verloren. Die Stammesältesten hätten den von den Deutschen angeforderten Luftangriff für gut befunden, sagte der CDU-Politiker.
Marcus Pindur: Nun rückt der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr doch noch vom linken Rand ins Zentrum des Wahlkampfes: Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier propagiert jetzt einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in mehreren Stufen, Bedingung dafür sei der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte und es ist die Rede von einer Frist an die afghanische Regierung bis 2013. Wir wollen jetzt mit dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag reden, mit Ruprecht Polenz, CDU. Guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Na, das hört sich doch alles ganz gut an: stufenweiser Abzug, Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte – Herr Polenz, warum ist denn die Kanzlerin noch nicht mit solch einem Plan an die Öffentlichkeit gegangen?

Polenz: Vor wenigen Tagen hat der Außenminister es noch, wie ich finde, richtigerweise abgelehnt, eine Frist, eine Jahreszahl zu nennen. Jetzt nennt er eine Jahreszahl und wenn ich gestern Abend richtig zugehört habe, nimmt er sie dann auch halb wieder zurück. Ich weiß nicht so genau, was er will. Die Bundeskanzlerin hat jedenfalls in ihrer Regierungserklärung in der Sondersitzung des Bundestages letzte Woche sehr deutlich gesagt, dass sie erstens eine Übergabestrategie in Verantwortung an die Afghanen will, dass sie das zweitens im Bündnis richtigerweise besprechen möchte, denn wir sind als Bündnis gemeinsam in Afghanistan engagiert und wir müssen auch den Übergang der Verantwortung an die Afghanen – und damit die Möglichkeit, unsere Soldaten schrittweise aus Afghanistan zurückzuziehen – mit unseren Bündnispartnern besprechen und abstimmen. Und sie hat auch davon gesprochen, dass in einer internationalen Konferenz klare Maßstäbe für den Fortschritt dieses Übergangs definiert und dann auch in bestimmt festgesetzten Zeitintervallen zu erreichen sind. Das ist das, was die Bundeskanzlerin gesagt hat.

Pindur: Nehmen wir aber mal den Polizeiaufbau als konkretes Beispiel, der wird ja auch von Steinmeier gefordert: Dafür waren jahrelang die Deutschen verantwortlich. Da ist so gut wie gar nichts passiert. Erst, als die Amerikaner das in die Hand genommen haben, da ging es da voran. Können das die Deutschen, die Europäer überhaupt leisten?

Polenz: Es ist richtig, als wir 2002 die Aufgabe mit dem Polizeieinsatz übernommen haben – Sie erinnern sich, das war die Zeit der rot-grünen Koalition und Innenminister Schily trug die Verantwortung –, haben wir zwar sehr gründlich ausgebildet, aber in der Anzahl zu wenig und wahrscheinlich auch etwas am afghanischen Bedarf vorbei. Das hat dann dazu geführt – auch die Beschwerden der Amerikaner, dass es zu lange geht –, dass dann der ganze Einsatz europäisiert worden ist. Jetzt beteiligt sich Deutschland sehr stark an dieser europäischen Polizeimission und unternimmt auch bilateral zusätzliche Anstrengungen, die Polizei auszubilden. Es ist besser geworden, aber hier stimme ich den Kritikern zu: An dieser Stelle wird man nach der Bundestagswahl sehen müssen, wie wir noch mehr tun können.

Pindur: Noch mehr tun werden wir auch müssen wahrscheinlich, denn der Druck aus den USA wird wohl zunehmen. Werden wir denn umhinkommen, noch mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken?

Polenz: Das kommt auf die Entwicklung der Sicherheitslage an. Sie haben ja – auch durch die jüngsten Ereignisse – gesehen, dass sich auch im Norden die Sicherheitslage teilweise zugespitzt hat, vor allen Dingen in der Region um Kundus. Wenn es notwendig ist für die Sicherheit der Nordregion, für die wir die Verantwortung tragen, unsere Truppen zu verstärken, dann wird man darüber sprechen müssen. Es ist Sache der künftigen Bundesregierung, diese Lage zu bewerten und dem Parlament entsprechende Vorschläge zu machen. Aber wie gesagt, Bewertungen möchte ich jetzt als Abgeordneter nicht vorgreifen.

Pindur: Kommen wir noch zu einem weiteren Thema um den Afghanistan-Einsatz herum: den Luftangriff auf die zwei gekaperten Tanklastwagen. Eine Untersuchungskommission der afghanischen Regierung hat jetzt festgestellt, es seien 69 Taliban und 30 Zivilisten getötet worden, stellt aber gleichzeitig fest, der Einsatz sei gerechtfertigt gewesen, weil die Taliban diese Tankwagen für Terroranschläge hätten nutzen können. Schließen Sie sich dieser Einschätzung an?

Polenz: Es gibt ja noch einen weiteren Bericht, der aussteht, das wird der Bericht der NATO sein. Den muss man sicherlich für ein endgültiges Urteil abwarten. Aber eins fällt doch auf: Die Sorge, wir hätten durch diesen NATO-Lufteinsatz den Rückhalt in der afghanischen Zivilbevölkerung verloren oder aufs Spiel gesetzt – das war ja das, was den amerikanischen Oberbefehlshaber da umgetrieben hat, zu Recht, als Sorge –, die ist unbegründet. Denn die Stimmen, die wir jetzt über Medienberichte aus dem Norden Afghanistans von den afghanischen Stammesältesten, von denen, die dort befragt worden sind, zu hören bekommen, die sind alle sehr zufrieden. Die loben die Bundeswehr, die sind auch mit diesem Einsatz einverstanden und sagen: Es sind über 60 Taliban getötet worden, und diejenigen, die dort nachts, mitten in der Nacht, kilometerweit von der nächsten Ortschaft dabei gewesen sind, die sind auf Geheiß der Taliban da hingekommen und – in den Worten der Afghanen – quasi selber Schuld gewesen. So weit würde ich nicht unbedingt gehen, weil ich nicht weiß, ob der eine oder andere nicht auch erpresst worden ist, dort zu dem Tanklastzug zu gehen als Zivilist. Aber die Bewertung, die afghanische Zivilbevölkerung stünde wegen dieses Anschlags den Deutschen kritischer gegenüber, da ist das Gegenteil richtig: Sie fand den Luftangriff gut.

Pindur: Warum ist denn dann, Ihrer Ansicht nach, der amerikanische General McChrystal so schnell vorgeprescht? Die Kanzlerin hat das sogar eine Vorverurteilung genannt.

Polenz: Ich habe mich sehr über ihn geärgert, aus zwei Gründen: einmal, weil er in die Lagebesprechung einen Journalisten der Washington Post mitgenommen hat – das ist völlig unüblich und in jeder Beziehung inakzeptabel –, und zum Zweiten hätte ich mir auch gewünscht, dass er sich zunächst einmal auch vor seine Untergebenen stellt und sie nicht quasi öffentlich mit einer vorschnellen Bewertung negativ konfrontiert. Seine Sorge war wahrscheinlich, dass die Direktive, die er als neuer Oberbefehlshaber zum Schutz der Zivilbevölkerung erlassen hat und die im Grunde das zusammenfasst, was die Bundeswehr seit Jahr und Tag im Afghanistan-Einsatz praktiziert, nämlich absolute Schonung der Zivilbevölkerung, dass das nun durch diesen Einsatz konterkariert werden könnte. Er hat, glaube ich, nicht zu Ende gedacht, was er damit bündnispolitisch angerichtet hat, und ich finde, es wäre auch Zeit für eine Geste seiner Seite. Vielleicht macht er die ja, wenn der NATO-Bericht endlich vorliegt.

Pindur: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz. Herr Polenz, vielen Dank für das Gespräch!

Polenz: Bitte schön, Herr Pindur!