Polenz: Israel hat Recht auf Selbstverteidigung

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz hat Verständnis dafür geäußert, dass Israel die Raketen-Angriffe aus dem Gazastreifen auf die südliche Grenzregion beenden wolle. Allerdings glaube er nicht, dass dieses Ziel militärisch auf Dauer erreichbar sei, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag.
Birgit Kolkmann: Israel lässt sich nicht beirren, keine Warnung irgendeiner Regierung oder eines internationalen Gremiums wie dem UN-Sicherheitsrat wird etwas ändern an der Entschlossenheit der Regierung, den Raketenangriffen aus dem Gazastreifen ein Ende zu bereiten.

Seit Samstag läuft die größte Militäroffensive seit dem Sechstagekrieg 1967, und Israel hat nach den Luftangriffen vom Wochenende nun auch die Reservisten der Armee einberufen. Es könnte eine Bodenoffensive geben, nachdem die Armee 2005 ja den Gazastreifen geräumt hatte. Ruprecht Polenz von der CDU ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, ihn begrüße ich zum Interview im Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Polenz, mehr als 280 Menschen kamen allein am Samstag im Gazastreifen ums Leben. Nicht nur der Papst forderte hier ein Ende des Blutvergießens. Wie hilflos sind alle diese Appelle?

Polenz: Ich glaube, dass Israel aus der Auseinandersetzung mit der Hisbollah im Libanon die Schlussfolgerung gezogen hat, dass man damals den Waffenstillstand zu früh geschlossen habe. Und man will jetzt durchgreifen, will die Angriffe aus dem Gazastreifen auf die südlichen Städte in Israel ein für allemal unterbinden. Ich glaube allerdings nicht, dass dieses Ziel militärisch auf Dauer erreichbar ist.

Kolkmann: Die Zustände im Gazastreifen nach den Luftangriffen müssen fürchterlich sein. Die Bilder zeigen uns das. Israel steht nun am Pranger. Hat es aber ein legitimes Recht auf Selbstverteidigung?

Polenz: Israel hat ein Recht, sich selbst zu verteidigen. Und die Angriffe aus dem Gazastreifen auf Israel, die seit Wochen und Monaten wieder zunehmen, die Tatsache, dass die Hamas den Waffenstillstand einseitig aufgekündigt hat, ihn nicht verlängern wollte, das ist in der Weltöffentlichkeit nicht auf eine Resonanz gestoßen, die es verdient hätte, nämlich deutliche Kritik. So sieht Israel sich auch ein Stück weit alleingelassen, auf sich gestellt, und das führt natürlich auch dazu, dass dann Appelle der Weltgemeinschaft jetzt wenig fruchten.

Kolkmann: Auf der anderen Seite muss man die Frage stellen: Ist diese Antwort der Israelis darauf, dass der Waffenstillstand von der Hamas aufgekündigt worden ist, zu hart?

Polenz: Es gilt natürlich, dass das Recht auf Selbstverteidigung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegt, aber verhältnismäßig oder nicht, das ist schwer zu beurteilen. Denn man müsste ja sagen, Israel hätte ein anderes Mittel zur Verfügung, was zum gleichen Erfolg führt. Und welches Mittel führt denn zum Erfolg, dass Angriffe auf das Kernland Israels aus dem Gazastreifen eingestellt werden? Die Frage lässt sich nur politisch beantworten, und zwar nicht nur mit Blick auf den Gazastreifen, sondern auf eine Gesamtlösung des Nahostkonfliktes in Hinblick auf eine Friedenslösung. Und da ist man eben jetzt wieder ein gutes Stück mehr von entfernt als vorher.

Kolkmann: Die Raketen sind ja auch eine Antwort auf Israels Politik gegenüber den Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland. Gerade im Gazastreifen hatten wir nun eine wochenlange Sperre, die die Menschen an den Rand der Existenzmöglichkeit gebracht hat. Wäre auch diese Frage, wie menschenwürdig diese Politik ist, eine, die jetzt zu diskutieren ist?

Polenz: Ja sicher. Die Sperre war aus Israels Sicht ein milderes Mittel, um die Hamas zur Einstellung der Raketenangriffe zu zwingen. Sie hatte natürlich die fatale Folge, dass praktisch die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen in Kollektivhaft genommen wurde, obwohl viele unschuldig Betroffene wahrscheinlich auch wenig daran ändern konnten, dass Hamas-Aktivisten diese Angriffe auf Israel unternommen haben. Auch diese Politik einer kollektiven Geiselnahme der Bevölkerung im Gazastreifen war nicht erfolgreich, konnte es wahrscheinlich auch nicht sein.

Nein, es geht darum, dass Israel eine Chance nicht genutzt hat, die sich daraus ergab, dass mit Abbas und Fayat im Westjordanland die Palästinenser von zwei Politikern regiert wurden, die auf einen Ausgleich hin verhandelt haben, die aber von Israel wenig bekommen haben, um den Palästinensern zu zeigen: Kooperation zahlt sich mehr aus, um die palästinensischen Ziele zu erreichen, als der konfrontative Kurs der Hamas.

Kolkmann: Nun steht zu befürchten, dass durch diese Politik der harten Hand, also diese Politik Israels, Hamas auch wieder gestärkt wird. Befürchten Sie, dass es eine neue, eine dritte Intifada geben wird, vermehrt Selbstmordanschläge in Israel und auch eine härtere Politik seitens der arabischen Welt gegenüber Israel?

Polenz: Das hängt sehr davon ab, wie jetzt die weitere Entwicklung verläuft. Es fällt ja auf, dass zunächst einmal Abbas auch Hamas mitverantwortlich macht für das, was gegenwärtig geschieht, dass die Arabische Liga sich durchaus Zeit lässt mit dem Gipfel, den sie erst für den kommenden Mittwoch einberufen hat, dass die arabischen Regierungen durchaus auch die Mitverantwortung der Hamas für die jetzige Eskalation der Lage also sehen. Auf der anderen Seite haben wir aber auch gestern in den Nachrichten überall demonstrierende, wütende Araber in der Region gesehen, die natürlich ihre Regierungen jetzt auch unter Druck setzen, gegen Israel stärker und schärfer vorzugehen.

Also: Es ist ein beträchtliches Eskalationspotenzial in dieser Auseinandersetzung über den Gazastreifen hinaus vorhanden. Und deshalb sind die Appelle, zu einem Waffenstillstand möglichst schnell zu finden, natürlich richtig, aber ein Waffenstillstand, der dann auch von beiden Seiten eingehalten wird, und der würde ja dann auch das Ziel Israels, nicht mehr mit Raketen angegriffen zu werden, bewirken.

Kolkmann: Befürchten Sie einen neuen Krieg im Nahen Osten?

Polenz: Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt, aber die Sorge muss man haben.

Kolkmann: Vielen Dank! Ruprecht Polenz von der CDU. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, zu den israelischen Luftangriffen im Gazastreifen. Danke für das Gespräch!

Polenz: Auf Wiederhören.