Polit-Poker geht weiter
Die Wähler hatten entschieden - die Politiker dagegen noch lange nicht. In den Bundesländern Saarland, Thüringen und Brandenburg wird derzeit kräftig um die Koalitionsverträge verhandelt. Doch: Was den Parteichefs recht ist, gefällt an der Basis nicht jedem.
Saarland
Von Tonia Koch
"Wenn sie Jamaika machen, ist meine Mitgliedschaft beendet."
Lothar Konter hat ernst gemacht. Er ist bei den saarländischen Grünen ausgetreten, nachdem der Landesparteitag vor zwei Wochen beschlossen hatte, dass die Grünen mit der CDU und den Liberalen in Koalitionsgespräche eintreten. Und Konter ist nicht allein. 28 Parteimitglieder haben inzwischen ihre Parteibücher zurück gegeben, bestätigt die Landesgeschäftsstelle. Darunter ist auch die Mitgliedschaft von Walter Neyses. Er will sich mit den Abläufen des Parteitages und dem Zustandekommen des eindeutigen Votums pro Jamaika nicht abfinden:
"Der ganze Parteitag war meines Erachtens eine Showveranstaltung, im Prinzip eine reine Farce."
Neyses, ist im besten Sinne ein grüner Aktivist. Läuft in seiner Heimat umweltpolitisch etwas schief, dann können die Menschen auf sein bürgerschaftliches Engagement zählen. So manche Bürgerinitiative geht auf sein Konto. Seine Umgebung versteht es deshalb, dass er die Grünen verlassen hat.
"Die Wähler, mit denen ich vorher gesprochen habe, die mich kennen, Nachbarschaft, Freunde, Arbeitskreis, die unterstützen diesen Schritt. Sie sind vor den Kopf gestoßen. Sie können die Dinge, die in Fraulautern zu Jamaika umgesetzt wurden, nicht nachvollziehen. Die Tendenz ging klar zu Rot-Rot-Grün. Von daher hat Herr Ulrich eine große Schar von Menschen vor den Kopf gestoßen und maßlos enttäuscht."
Und die Enttäuschung wird noch wachsen. Der Landesvorsitzende der Grünen, Hubert Ulrich, pflegt seit Jahren intensive geschäftliche Kontakte zum Kreisvorsitzenden der Saarbrücker Liberalen, Hartmut Ostermann. Bei Ostermann, der die Sondierungsgespräche für die Liberalen mit geführt hat, steht Ulrich nach Recherchen des Spiegel und der Stuttgarter Zeitung vom Wochenende seit 2001 auf der Lohnliste. Auf dem Parteitag waren diese engen wirtschaftlichen Kontakte des Grünen Chefs zur FDP nicht bekannt. Das wird für weitere Diskussionen sorgen. Dabei wird die Partei all ihre Kräfte bündeln müssen, um bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen auch das zu erreichen, was ihnen in wochenlangen Sondierungsgesprächen versprochen worden ist. Denn vor allem beim potenziellen Koalitionspartner CDU regt sich Unmut. Dirk Gehlen:
"Natürlich sind wir nicht begeistert von den Inhalten, die sich jetzt abzeichnen, was in einem Koalitionsvertrag stehen könnte. Das ist ein Kompromiss, das ist klar. Aber das war von Anfang an klar, dass es ein Kompromiss werden würde, in dem sich alle drei Parteien wiederfinden."
Der Landesvorstand der Saar-CDU hatte vergangene Woche etwa 200 Funktionsträger vorwiegend aus dem kommunalen Umfeld eingeladen, um sich einen Freifahrtsschein für die Koalitionsverhandlungen ausstellen zu lassen. Doch der Diskussionsbedarf an der CDU-Basis war um einiges größer als erwartet. CDU-Landesvorsitzender Peter Müller:
"Es wäre seltsam gewesen, wenn es keine intensive Debatte gegeben hätte. Aber es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass alle die Einschätzung teilen. Das Ergebnis der Sondierungsgespräche ist eine taugliche Gesprächsgrundlage. Das Ergebnis der Sondierungsgespräche ist Grundlage für Koalitionsverhandlungen und diese können mit Aussicht auf Erfolg geführt werden."
Einer der Knackpunkte ist die Bildungspolitik. Die saarländische CDU hat in den Sondierungsrunden offenbar zugestimmt, dass die saarländische Landesverfassung geändert wird, damit längeres gemeinsames Lernen in der Grundschule ermöglicht wird und neben dem Gymnasium eine Gemeinschaftsschule entsteht, die ebenfalls den Weg zum Abitur weist. Für die Parteimitglieder der CDU ist dies ein harter Brocken, schließlich wollte die CDU, die zehn Jahre allein das Saarland regierte, von all dem bislang nichts wissen. Hans-Georg Warken:
"Ich glaube, das ist ein sehr haariges Thema. Nicht alle in meiner Partei sind ganz glücklich damit, was hier besprochen worden ist."
Unbehagen äußerte die CDU-Basis auch darüber, dass die zukünftige saarländische Landeregierung um zwei Ministerien erweitert werden soll, um die ministeriellen Ansprüche der Grünen auf der einen und der Liberalen auf der anderen Seite zufrieden zu stellen. Das Land müsse sparen, das sei das völlig falsche Signal an die Bevölkerung, mahnten die kommunalen Vertreter zur Vernunft. Im Grundsatz aber sei die Saar-CDU bereit, Jamaika zu realisieren.
CDU-Frau: "Im Grundsatz sind wir alle für diese Jamaika- Koalition."
CDU-Mann: "Die Stimmung ist deutlich pro Jamaika."
Wer was an Forderungen und Ideen durchsetzen kann, wird sich erst kommende Woche zeigen, wenn die Koalitionsverhandlungen in die heiße Phase gelangen. Dann erst schlägt die Stunde der Haushälter. Linken-Chef Oskar Lafontaine hatte sich bereits nach der ersten Sondierungsrunde, die mit linken Sozialdemokraten und Grünen über ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis geführt worden war, erschreckt gezeigt, vor allem über die desolate finanziellen Lage des Saarlandes. Lafontaine wird nun nicht unter Beweis stellen zu müssen, was es heißt, in einem hoch verschuldeten Bundesland Politik machen zu müssen. Er übt sich bereits in Opposition:
"Diese Koalition wird aufgrund der Praxis der bisherigen Regierung Müller, aufgrund der Ratlosigkeit der Grünen nicht im Geringsten in der Lage sein, das wichtigste Problem des Landes, die Finanzen, in den Griff zu bekommen."
Die Abgeordneten der Linken, die in beachtlicher Stärke in den saarländischen Landtag eingezogen sind, setzen darauf, dass der Wähler sich beim nächsten Mal daran erinnert, dass es die Grünen waren, die ein rot–rot-grünes Experiment im Saarland verhindert haben. Lothar Schnitzler:
"Wenn der Wähler nicht vergesslich ist, dann werden die Grünen irgendwann dafür die Quittung bekommen, dass sie entgegen ihren Wahlkampfaussagen das Gegenteil jetzt mit diese Koalition eingegangen sind."
Thüringen
Von Ulrike Greim
Matschie: "Ich interpretiere das Wahlergebnis so, dass das System Althaus abgewählt worden ist."
Es ist der Wahlabend, an dem der Spitzenkandidat der drittstärksten Partei vollmundig verkündet, dies sei das Ende einer Ära. Christoph Matschie, SPD-Landeschef, holte zwar mit 18,5 Prozent ein Ergebnis, das keine Volkspartei auch nur ansatzweise zufrieden stellen kann, aber er scheint sich wie ein Wahlsieger zu fühlen. Und die Geschichte gibt ihm Recht. Denn die kleine Partei, sie hat in Thüringen nur etwas mehr als 4.000 Mitglieder, geht sehr selbstbewusst in die Rolle der Königsmacherin. Wer regieren möchte in Thüringen, der dürfe sich bitte hinten anstellen. Von wegen "mal sehen, was die SPD nun zu bieten hat" - Roland Merten aus Matschies Schattenkabinett zieht die Augenbrauen hoch:
"Wir werden sehen, wer uns das Maximale anbietet, weil ohne uns niemand regieren wird. Also es wird sowohl die CDU als auch die Linkspartei - wer immer mit uns koalieren wird - sich maximal bewegen müssen. Wir sind in einer sehr komfortablen Situation. Dass ich mir durchaus mehr Prozentpunkte hätte vorstellen können, das ist immer rechnerisch und auch politisch möglich, aber wir haben jetzt eine gute Plattform, sozusagen Politik zu gestalten."
Die SPD lässt also zur Sondierung bitten. Mal Romantikhotel mit Linken und Grünen, mal Klöße-Essen mit der CDU. Immer hin und her verhandelt das vierköpfige Sondierungsteam. Einigermaßen angespannt ist die Linke mit Bodo Ramelow und bis zum Schluss reserviert die Grünen. Große Offenheit kommt von der CDU, die vom Wahlabend und durch den abenteuerlichen Rücktritt ihres einstigen Spitzenmannes Dieter Althaus noch ordentlich erschüttert ist. Hier die amtierende CDU-Landesvorsitzende Birgit Diezel:
"Und auch für die CDU gilt: Es gibt kein Weiter-So. Sondern für uns gilt eine Weiterentwicklung in Gemeinsamkeit mit der SPD, wenn das möglich ist."
Gemeinsamkeit mit der SPD - die CDU flüchtet sich nach vorn. Passend dazu wird über Nacht die neue erste Frau gekürt: Christine Lieberknecht, bisher Sozialministerin. Die Thüringer finden das …
Mann: "…nicht gut, weil endlich ein Neuanfang gemacht werden muss, und da muss die alte Riege komplett weg."
Frau: "Rein vom Menschlichen ist sie sicher 'ne prima Frau. Ob sie diesen Aufgaben gewachsen sein wird, muss sie selber entscheiden."
Währenddessen kommt der einstige Spitzenmann überraschend wieder zurück. Dieter Althaus will das Kabinett leiten, sich selbst vertreten, bis ein Nachfolger, eine Nachfolgerin im Amt ist. Seine Partei ist sprachlos. Die Thüringer sind verblüfft.
Mann: "Juristisch ist es richtig, aber – sagen wir mal – es ist typisch Althaus."
Frau: "Merkwürdig"
Frau: "Ein bissl merkwürdig nach dem Rücktritt."
Mann: "Na, seine alleinigen Entscheidungen zu treffen, ohne Abstimmung mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett."
Frau: "Jetzt ist die Kiste so verfahren, da muss er sehen, wie er heile rauskommt."
Mann: "Und die anderen sitzen da bloß dumm rum und nicken ab."
Althaus gibt an diesem Tag die wohl skurrilste Pressekonferenz, die die Thüringer Staatskanzlei je erlebt hat:
"Also die Kabinettssitzung war genau in diesem Sinn, dass alle Kabinettskolleginnen und Kollegen voll hinter mir standen und stehen. Da gab es also überhaupt keine Missstimmung, auch keine Dissonanz."
In ungewohnter Klarheit fordert die CDU von Althaus, er möge sein Amt dezent ausführen, wenn es denn unbedingt sein müsse. SPD-Spitzenmann Matschie indes verhandelt scheinbar beide Optionen gleichwertig bis zum Allerletzten. So hat er gute Argumente, als er sich vor den Landesvorstand stellt und mit behauptet: Wir haben wirklich alles versucht, aber es hat einfach nicht mit der Linkspartei geklappt:
"Mit sehr deutlicher Mehrheit hat sich die SPD heute entschieden, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen." (Buh-Rufe)
Die Reaktionen lassen keine Minute auf sich warten. Die CDU atmet erleichtert auf: Die Entscheidung bedeutet ja fünf Jahre Machterhalt, wenn auch mit erheblichen Verlusten. Die Grünen hatten ohnehin nicht übermäßig Lust, sich den Regierungsstress anzutun. Allerdings der verschmähte Bodo Ramelow spuckt Galle:
"Man hat das Gefühl, dass die SPD Thüringens eben nichts weiter, als ein politisch konservatives Abziehbild der CDU ist."
Und die SPD? Zu hören sind die Lauten. Einen echten Politikwechsel - wie im Wahlkampf versprochen - könne es nur mit der Linkspartei und den Grünen geben, sagt der linke Flügel der SPD. Auf einem Basistreffen hagelt es Schimpf und Schande für Schwarz-Rot, und erst recht für Christoph Matschie.
SPD-Mitglied: "Ich habe für Christoph gestimmt, ich habe Christoph auf dem Parteitag beklatscht wie Kim Il Sung. Ich bedauere ganz einfach meine mangelnde Menschenkenntnis." (Lachen)
SPD-Mitglied: "Wenn ich mir das Stimmungsbild heute angucke: Wie man allen Ernstes denkt, auf dem Parteitag eine breite Mehrheit hinzubekommen für eine große Koalition, ist mir ein Rätsel."
Während Christoph Matschie mit der CDU den Koalitionsvertrag verhandelt, sammeln die Gegner von Schwarz-Rot Unterschriften gegen diese Koalition. Als Matschie mit der designierten Thüringer Ministerpräsidentin Lieberknecht das Vertragswerk vorstellt, ist es ihm wichtig, zu betonen, wie viel Fortschritt in diesem 60 Seiten starken Werk nun steckt. Vergleichsweise kleinlaut das Fazit von Lieberknecht:
"Es geht nicht um einen Schönheitspreis, sondern es geht um den besten Weg für Thüringen."
Am kommenden Freitag wird nun wird die neue Regierung vereidigt. Die evangelische Theologin Christine Lieberknecht übernimmt die Staatskanzlei, Christoph Matschie wird ihr Stellvertreter und Kultusminister. Und dann, am Montag danach, könnte es nach geschätzten zwei Monaten Stillstand wieder beginnen - das normale politische Leben in Thüringen.
Brandenburg
Von Axel Flemming
Blossin, das ist ein kleiner Ort im Landkreis Dahme-Spree. In der Mehrzweckhalle des Jugendbildungszentrums treffen sich über hundert Genossen der Brandenburger Linkspartei zu einer Aktivtagung. Ihre Spitzenpolitiker stimmen die Partei auf Kompromisse bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD ein.
Auf der linken Habenseite: ein Vergabegesetz mit Mindestlöhnen, Schüler-BAFÖG für arme Abiturienten und vor allem der Einstieg in die öffentlich geförderte Beschäftigung. Was allerdings den linken Unmut hervorruft, ist die künftige Linie in der Energiepolitik, die nicht sehr von der alten abweicht, wie SPD-Chef Matthias Platzeck gleich nach der ersten Koalitionsverhandlung verkündet:
"Braunkohlenutzung in Deutschland ist mindestens so lange erforderlich, bis der Industriestandort Deutschland sicher und zu international wettbewerbsfähigen Preisen aus erneuerbaren Energien decken kann. Die Koalition hält an der Verstromung des wichtigen einheimischen Energieträgers Braunkohle als Brückentechnologie fest."
Bei der Basiskonferenz in Blossin werden Bedenken zum Thema Braunkohle laut. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion und frühere Fraktionschefin im Brandenburger Landtag, Dagmar Enkelmann, erinnert an Versprechen aus dem Wahlkampf:
"Wir wollten den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2040. Und entschuldigt, mir reicht es nicht jetzt zu sagen, in den nächsten fünf Jahren findet der Ausstieg nicht statt. Dieser Ausstieg muss jetzt beginnen."
Der Landesvorsitzende Thomas Nord sagt, die Linke versuche, so viele ihrer Vorhaben wie möglich durchzusetzen. Er muss – einigen sich SPD und Linke auf einen Koalitionsvertrag – eine Mehrheit dafür auf dem Parteitag am 4. November organisieren. Dass Nord und auch Fraktionschefin Kerstin Kaiser für die DDR-Staatsicherheit gespitzelt haben, ärgert bei der Linkspartei die wenigsten. Im Gegenteil, viele halten noch heute das DDR-Ministerium für Staatsicherheit für einen normalen Geheimdienst.
Mann: "Was hat denn derjenige, der für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet hat, was hat der getan? Hat er etwas getan, was gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt?"
Anders sieht das das Parlament. Gleich auf der ersten Sitzung des neugewählten Landtages bringen die Abgeordneten einen Antrag der Grünen auf den Weg, nach dem sie per Gesetz auf ihre Stasi-Zugehörigkeit durchleuchtet werden sollen. Aber momentan spielt erst einmal die rot-rote Musik. Auch für die Christdemokraten ist die geringere Wahrnehmung, die mit der Oppositionsrolle verbunden ist, noch gewöhnungsbedürftig. Dieter Dombrowski, Generalsekretär, der unter der Diktatur der DDR im Gefängnis Cottbus litt:
"Die CDU-Fraktion hat kein Problem damit, die Linkspartei zu respektieren. Sie ist gewählt, in freier und geheimer Wahl, das ist in Ordnung. Wir haben ein Problem damit, dass ehemalige Mitarbeiter des MfS dort führende Funktionen ausüben …"
Und er spricht sich deshalb dafür aus, dass im Parlament Stasileute nichts zu suchen hätten. Linke und SPD lehnen den CDU-Antrag mit ihrer Mehrheit ab. Unabhängig von dem geplanten Gesetz haben beide Fraktionen aber beschlossen, freiwillig ihre Überprüfung bei der Birthler-Behörde zu beantragen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Baaske warnt aber vor einer Reduzierung der DDR auf die Stasi:
"Wir müssen aufpassen, dass wir für all das, was unter der Stasi und mit der Stasi passiert ist, nicht allein nur die Stasi verantwortlich machen. Die Stasi war ein Handlanger in einem System, in dem eine Partei besonders, aber auch andere Parteien mitgewirkt haben und die dieses System gesteuert haben. Und sie haben sich dieser Staatssicherheit bedient, dass sie die Menschen unter Repression setzt, dass sie die Menschen ausspitzelt und dass sie die Menschen verfolgt."
Über 20 Jahre nach der friedlichen Revolution - nicht vergessen, aber vergeben, das ist die Linie von Ministerpräsident Matthias Platzeck, der ja selbst aus der DDR-Umwelt- und Bürgerrechtsbewegung stammt:
"Und wenn jemand Schlussfolgerungen gezogen hat, und zu neuen Erkenntnissen gekommen ist, dann muss er auch die Chance haben, wieder mitzutun. Und ich glaube, dass die Zeit 20 Jahre keine schlechte Zeit dafür ist. Und Mitarbeiter der Staatssicherheit: Das ist für mich ein Punkt der politischen Hygiene, aber auch ein Punkt des Respekts vor den Opfern, die ja teilweise heute auch noch darunter leiden. Deshalb haben wir ganz klar gesagt: Mitarbeiter der Staatssicherheit haben in einem staatlichen Amt, in einem repräsentativen Amt wie Minister oder Staatssekretär noch keinen Platz. Und das finde ich auch richtig und gut so."
Außer Kerstin Kaiser sind weitere Mitglieder der Linksfaktion damit nicht ministrabel. Zu ihnen gehört auch der langjährige Innenexperte Hans-Jürgen Scharfenberg. Axel Vogel, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/die Grünen:
"Wer sich schuldig gemacht hat ist aufgefordert, seinen Beitrag zur Versöhnung und zur Aufklärung zu leisten. Ich räume ein, viele von uns gruselt es neben einem Landtagsabgeordneten zu sitzen, der zwölf Jahre Schließer in einem Stasi-Gefängnis war. Die öffentliche Auseinandersetzung um seinen Lebenslauf können und wollen wir ihm nicht ersparen. Im Gegensatz zu Sachsen oder Thüringen sehen wir aber keine Rechtfertigung dafür, dass eine Parlamentsmehrheit frei gewählten Abgeordneten das Mandat entziehen kann."
Das bezieht sich auf Landtags-Neuling Axel Henschke von der Linken, der als Beruf Diplom-Gesellschaftswissenschaftler angibt. Sieht man sich die Biografie genauer an, dann war er erst hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter, dann Inoffizieller Mitarbeiter, FDJ-Chef im Bezirk Frankfurt/Oder und dann SED-Funktionär.
Von Tonia Koch
"Wenn sie Jamaika machen, ist meine Mitgliedschaft beendet."
Lothar Konter hat ernst gemacht. Er ist bei den saarländischen Grünen ausgetreten, nachdem der Landesparteitag vor zwei Wochen beschlossen hatte, dass die Grünen mit der CDU und den Liberalen in Koalitionsgespräche eintreten. Und Konter ist nicht allein. 28 Parteimitglieder haben inzwischen ihre Parteibücher zurück gegeben, bestätigt die Landesgeschäftsstelle. Darunter ist auch die Mitgliedschaft von Walter Neyses. Er will sich mit den Abläufen des Parteitages und dem Zustandekommen des eindeutigen Votums pro Jamaika nicht abfinden:
"Der ganze Parteitag war meines Erachtens eine Showveranstaltung, im Prinzip eine reine Farce."
Neyses, ist im besten Sinne ein grüner Aktivist. Läuft in seiner Heimat umweltpolitisch etwas schief, dann können die Menschen auf sein bürgerschaftliches Engagement zählen. So manche Bürgerinitiative geht auf sein Konto. Seine Umgebung versteht es deshalb, dass er die Grünen verlassen hat.
"Die Wähler, mit denen ich vorher gesprochen habe, die mich kennen, Nachbarschaft, Freunde, Arbeitskreis, die unterstützen diesen Schritt. Sie sind vor den Kopf gestoßen. Sie können die Dinge, die in Fraulautern zu Jamaika umgesetzt wurden, nicht nachvollziehen. Die Tendenz ging klar zu Rot-Rot-Grün. Von daher hat Herr Ulrich eine große Schar von Menschen vor den Kopf gestoßen und maßlos enttäuscht."
Und die Enttäuschung wird noch wachsen. Der Landesvorsitzende der Grünen, Hubert Ulrich, pflegt seit Jahren intensive geschäftliche Kontakte zum Kreisvorsitzenden der Saarbrücker Liberalen, Hartmut Ostermann. Bei Ostermann, der die Sondierungsgespräche für die Liberalen mit geführt hat, steht Ulrich nach Recherchen des Spiegel und der Stuttgarter Zeitung vom Wochenende seit 2001 auf der Lohnliste. Auf dem Parteitag waren diese engen wirtschaftlichen Kontakte des Grünen Chefs zur FDP nicht bekannt. Das wird für weitere Diskussionen sorgen. Dabei wird die Partei all ihre Kräfte bündeln müssen, um bei den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen auch das zu erreichen, was ihnen in wochenlangen Sondierungsgesprächen versprochen worden ist. Denn vor allem beim potenziellen Koalitionspartner CDU regt sich Unmut. Dirk Gehlen:
"Natürlich sind wir nicht begeistert von den Inhalten, die sich jetzt abzeichnen, was in einem Koalitionsvertrag stehen könnte. Das ist ein Kompromiss, das ist klar. Aber das war von Anfang an klar, dass es ein Kompromiss werden würde, in dem sich alle drei Parteien wiederfinden."
Der Landesvorstand der Saar-CDU hatte vergangene Woche etwa 200 Funktionsträger vorwiegend aus dem kommunalen Umfeld eingeladen, um sich einen Freifahrtsschein für die Koalitionsverhandlungen ausstellen zu lassen. Doch der Diskussionsbedarf an der CDU-Basis war um einiges größer als erwartet. CDU-Landesvorsitzender Peter Müller:
"Es wäre seltsam gewesen, wenn es keine intensive Debatte gegeben hätte. Aber es ist zur Kenntnis zu nehmen, dass alle die Einschätzung teilen. Das Ergebnis der Sondierungsgespräche ist eine taugliche Gesprächsgrundlage. Das Ergebnis der Sondierungsgespräche ist Grundlage für Koalitionsverhandlungen und diese können mit Aussicht auf Erfolg geführt werden."
Einer der Knackpunkte ist die Bildungspolitik. Die saarländische CDU hat in den Sondierungsrunden offenbar zugestimmt, dass die saarländische Landesverfassung geändert wird, damit längeres gemeinsames Lernen in der Grundschule ermöglicht wird und neben dem Gymnasium eine Gemeinschaftsschule entsteht, die ebenfalls den Weg zum Abitur weist. Für die Parteimitglieder der CDU ist dies ein harter Brocken, schließlich wollte die CDU, die zehn Jahre allein das Saarland regierte, von all dem bislang nichts wissen. Hans-Georg Warken:
"Ich glaube, das ist ein sehr haariges Thema. Nicht alle in meiner Partei sind ganz glücklich damit, was hier besprochen worden ist."
Unbehagen äußerte die CDU-Basis auch darüber, dass die zukünftige saarländische Landeregierung um zwei Ministerien erweitert werden soll, um die ministeriellen Ansprüche der Grünen auf der einen und der Liberalen auf der anderen Seite zufrieden zu stellen. Das Land müsse sparen, das sei das völlig falsche Signal an die Bevölkerung, mahnten die kommunalen Vertreter zur Vernunft. Im Grundsatz aber sei die Saar-CDU bereit, Jamaika zu realisieren.
CDU-Frau: "Im Grundsatz sind wir alle für diese Jamaika- Koalition."
CDU-Mann: "Die Stimmung ist deutlich pro Jamaika."
Wer was an Forderungen und Ideen durchsetzen kann, wird sich erst kommende Woche zeigen, wenn die Koalitionsverhandlungen in die heiße Phase gelangen. Dann erst schlägt die Stunde der Haushälter. Linken-Chef Oskar Lafontaine hatte sich bereits nach der ersten Sondierungsrunde, die mit linken Sozialdemokraten und Grünen über ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis geführt worden war, erschreckt gezeigt, vor allem über die desolate finanziellen Lage des Saarlandes. Lafontaine wird nun nicht unter Beweis stellen zu müssen, was es heißt, in einem hoch verschuldeten Bundesland Politik machen zu müssen. Er übt sich bereits in Opposition:
"Diese Koalition wird aufgrund der Praxis der bisherigen Regierung Müller, aufgrund der Ratlosigkeit der Grünen nicht im Geringsten in der Lage sein, das wichtigste Problem des Landes, die Finanzen, in den Griff zu bekommen."
Die Abgeordneten der Linken, die in beachtlicher Stärke in den saarländischen Landtag eingezogen sind, setzen darauf, dass der Wähler sich beim nächsten Mal daran erinnert, dass es die Grünen waren, die ein rot–rot-grünes Experiment im Saarland verhindert haben. Lothar Schnitzler:
"Wenn der Wähler nicht vergesslich ist, dann werden die Grünen irgendwann dafür die Quittung bekommen, dass sie entgegen ihren Wahlkampfaussagen das Gegenteil jetzt mit diese Koalition eingegangen sind."
Thüringen
Von Ulrike Greim
Matschie: "Ich interpretiere das Wahlergebnis so, dass das System Althaus abgewählt worden ist."
Es ist der Wahlabend, an dem der Spitzenkandidat der drittstärksten Partei vollmundig verkündet, dies sei das Ende einer Ära. Christoph Matschie, SPD-Landeschef, holte zwar mit 18,5 Prozent ein Ergebnis, das keine Volkspartei auch nur ansatzweise zufrieden stellen kann, aber er scheint sich wie ein Wahlsieger zu fühlen. Und die Geschichte gibt ihm Recht. Denn die kleine Partei, sie hat in Thüringen nur etwas mehr als 4.000 Mitglieder, geht sehr selbstbewusst in die Rolle der Königsmacherin. Wer regieren möchte in Thüringen, der dürfe sich bitte hinten anstellen. Von wegen "mal sehen, was die SPD nun zu bieten hat" - Roland Merten aus Matschies Schattenkabinett zieht die Augenbrauen hoch:
"Wir werden sehen, wer uns das Maximale anbietet, weil ohne uns niemand regieren wird. Also es wird sowohl die CDU als auch die Linkspartei - wer immer mit uns koalieren wird - sich maximal bewegen müssen. Wir sind in einer sehr komfortablen Situation. Dass ich mir durchaus mehr Prozentpunkte hätte vorstellen können, das ist immer rechnerisch und auch politisch möglich, aber wir haben jetzt eine gute Plattform, sozusagen Politik zu gestalten."
Die SPD lässt also zur Sondierung bitten. Mal Romantikhotel mit Linken und Grünen, mal Klöße-Essen mit der CDU. Immer hin und her verhandelt das vierköpfige Sondierungsteam. Einigermaßen angespannt ist die Linke mit Bodo Ramelow und bis zum Schluss reserviert die Grünen. Große Offenheit kommt von der CDU, die vom Wahlabend und durch den abenteuerlichen Rücktritt ihres einstigen Spitzenmannes Dieter Althaus noch ordentlich erschüttert ist. Hier die amtierende CDU-Landesvorsitzende Birgit Diezel:
"Und auch für die CDU gilt: Es gibt kein Weiter-So. Sondern für uns gilt eine Weiterentwicklung in Gemeinsamkeit mit der SPD, wenn das möglich ist."
Gemeinsamkeit mit der SPD - die CDU flüchtet sich nach vorn. Passend dazu wird über Nacht die neue erste Frau gekürt: Christine Lieberknecht, bisher Sozialministerin. Die Thüringer finden das …
Mann: "…nicht gut, weil endlich ein Neuanfang gemacht werden muss, und da muss die alte Riege komplett weg."
Frau: "Rein vom Menschlichen ist sie sicher 'ne prima Frau. Ob sie diesen Aufgaben gewachsen sein wird, muss sie selber entscheiden."
Währenddessen kommt der einstige Spitzenmann überraschend wieder zurück. Dieter Althaus will das Kabinett leiten, sich selbst vertreten, bis ein Nachfolger, eine Nachfolgerin im Amt ist. Seine Partei ist sprachlos. Die Thüringer sind verblüfft.
Mann: "Juristisch ist es richtig, aber – sagen wir mal – es ist typisch Althaus."
Frau: "Merkwürdig"
Frau: "Ein bissl merkwürdig nach dem Rücktritt."
Mann: "Na, seine alleinigen Entscheidungen zu treffen, ohne Abstimmung mit seinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett."
Frau: "Jetzt ist die Kiste so verfahren, da muss er sehen, wie er heile rauskommt."
Mann: "Und die anderen sitzen da bloß dumm rum und nicken ab."
Althaus gibt an diesem Tag die wohl skurrilste Pressekonferenz, die die Thüringer Staatskanzlei je erlebt hat:
"Also die Kabinettssitzung war genau in diesem Sinn, dass alle Kabinettskolleginnen und Kollegen voll hinter mir standen und stehen. Da gab es also überhaupt keine Missstimmung, auch keine Dissonanz."
In ungewohnter Klarheit fordert die CDU von Althaus, er möge sein Amt dezent ausführen, wenn es denn unbedingt sein müsse. SPD-Spitzenmann Matschie indes verhandelt scheinbar beide Optionen gleichwertig bis zum Allerletzten. So hat er gute Argumente, als er sich vor den Landesvorstand stellt und mit behauptet: Wir haben wirklich alles versucht, aber es hat einfach nicht mit der Linkspartei geklappt:
"Mit sehr deutlicher Mehrheit hat sich die SPD heute entschieden, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen." (Buh-Rufe)
Die Reaktionen lassen keine Minute auf sich warten. Die CDU atmet erleichtert auf: Die Entscheidung bedeutet ja fünf Jahre Machterhalt, wenn auch mit erheblichen Verlusten. Die Grünen hatten ohnehin nicht übermäßig Lust, sich den Regierungsstress anzutun. Allerdings der verschmähte Bodo Ramelow spuckt Galle:
"Man hat das Gefühl, dass die SPD Thüringens eben nichts weiter, als ein politisch konservatives Abziehbild der CDU ist."
Und die SPD? Zu hören sind die Lauten. Einen echten Politikwechsel - wie im Wahlkampf versprochen - könne es nur mit der Linkspartei und den Grünen geben, sagt der linke Flügel der SPD. Auf einem Basistreffen hagelt es Schimpf und Schande für Schwarz-Rot, und erst recht für Christoph Matschie.
SPD-Mitglied: "Ich habe für Christoph gestimmt, ich habe Christoph auf dem Parteitag beklatscht wie Kim Il Sung. Ich bedauere ganz einfach meine mangelnde Menschenkenntnis." (Lachen)
SPD-Mitglied: "Wenn ich mir das Stimmungsbild heute angucke: Wie man allen Ernstes denkt, auf dem Parteitag eine breite Mehrheit hinzubekommen für eine große Koalition, ist mir ein Rätsel."
Während Christoph Matschie mit der CDU den Koalitionsvertrag verhandelt, sammeln die Gegner von Schwarz-Rot Unterschriften gegen diese Koalition. Als Matschie mit der designierten Thüringer Ministerpräsidentin Lieberknecht das Vertragswerk vorstellt, ist es ihm wichtig, zu betonen, wie viel Fortschritt in diesem 60 Seiten starken Werk nun steckt. Vergleichsweise kleinlaut das Fazit von Lieberknecht:
"Es geht nicht um einen Schönheitspreis, sondern es geht um den besten Weg für Thüringen."
Am kommenden Freitag wird nun wird die neue Regierung vereidigt. Die evangelische Theologin Christine Lieberknecht übernimmt die Staatskanzlei, Christoph Matschie wird ihr Stellvertreter und Kultusminister. Und dann, am Montag danach, könnte es nach geschätzten zwei Monaten Stillstand wieder beginnen - das normale politische Leben in Thüringen.
Brandenburg
Von Axel Flemming
Blossin, das ist ein kleiner Ort im Landkreis Dahme-Spree. In der Mehrzweckhalle des Jugendbildungszentrums treffen sich über hundert Genossen der Brandenburger Linkspartei zu einer Aktivtagung. Ihre Spitzenpolitiker stimmen die Partei auf Kompromisse bei den Koalitionsverhandlungen mit der SPD ein.
Auf der linken Habenseite: ein Vergabegesetz mit Mindestlöhnen, Schüler-BAFÖG für arme Abiturienten und vor allem der Einstieg in die öffentlich geförderte Beschäftigung. Was allerdings den linken Unmut hervorruft, ist die künftige Linie in der Energiepolitik, die nicht sehr von der alten abweicht, wie SPD-Chef Matthias Platzeck gleich nach der ersten Koalitionsverhandlung verkündet:
"Braunkohlenutzung in Deutschland ist mindestens so lange erforderlich, bis der Industriestandort Deutschland sicher und zu international wettbewerbsfähigen Preisen aus erneuerbaren Energien decken kann. Die Koalition hält an der Verstromung des wichtigen einheimischen Energieträgers Braunkohle als Brückentechnologie fest."
Bei der Basiskonferenz in Blossin werden Bedenken zum Thema Braunkohle laut. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion und frühere Fraktionschefin im Brandenburger Landtag, Dagmar Enkelmann, erinnert an Versprechen aus dem Wahlkampf:
"Wir wollten den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2040. Und entschuldigt, mir reicht es nicht jetzt zu sagen, in den nächsten fünf Jahren findet der Ausstieg nicht statt. Dieser Ausstieg muss jetzt beginnen."
Der Landesvorsitzende Thomas Nord sagt, die Linke versuche, so viele ihrer Vorhaben wie möglich durchzusetzen. Er muss – einigen sich SPD und Linke auf einen Koalitionsvertrag – eine Mehrheit dafür auf dem Parteitag am 4. November organisieren. Dass Nord und auch Fraktionschefin Kerstin Kaiser für die DDR-Staatsicherheit gespitzelt haben, ärgert bei der Linkspartei die wenigsten. Im Gegenteil, viele halten noch heute das DDR-Ministerium für Staatsicherheit für einen normalen Geheimdienst.
Mann: "Was hat denn derjenige, der für die Staatssicherheit der DDR gearbeitet hat, was hat der getan? Hat er etwas getan, was gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt?"
Anders sieht das das Parlament. Gleich auf der ersten Sitzung des neugewählten Landtages bringen die Abgeordneten einen Antrag der Grünen auf den Weg, nach dem sie per Gesetz auf ihre Stasi-Zugehörigkeit durchleuchtet werden sollen. Aber momentan spielt erst einmal die rot-rote Musik. Auch für die Christdemokraten ist die geringere Wahrnehmung, die mit der Oppositionsrolle verbunden ist, noch gewöhnungsbedürftig. Dieter Dombrowski, Generalsekretär, der unter der Diktatur der DDR im Gefängnis Cottbus litt:
"Die CDU-Fraktion hat kein Problem damit, die Linkspartei zu respektieren. Sie ist gewählt, in freier und geheimer Wahl, das ist in Ordnung. Wir haben ein Problem damit, dass ehemalige Mitarbeiter des MfS dort führende Funktionen ausüben …"
Und er spricht sich deshalb dafür aus, dass im Parlament Stasileute nichts zu suchen hätten. Linke und SPD lehnen den CDU-Antrag mit ihrer Mehrheit ab. Unabhängig von dem geplanten Gesetz haben beide Fraktionen aber beschlossen, freiwillig ihre Überprüfung bei der Birthler-Behörde zu beantragen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Baaske warnt aber vor einer Reduzierung der DDR auf die Stasi:
"Wir müssen aufpassen, dass wir für all das, was unter der Stasi und mit der Stasi passiert ist, nicht allein nur die Stasi verantwortlich machen. Die Stasi war ein Handlanger in einem System, in dem eine Partei besonders, aber auch andere Parteien mitgewirkt haben und die dieses System gesteuert haben. Und sie haben sich dieser Staatssicherheit bedient, dass sie die Menschen unter Repression setzt, dass sie die Menschen ausspitzelt und dass sie die Menschen verfolgt."
Über 20 Jahre nach der friedlichen Revolution - nicht vergessen, aber vergeben, das ist die Linie von Ministerpräsident Matthias Platzeck, der ja selbst aus der DDR-Umwelt- und Bürgerrechtsbewegung stammt:
"Und wenn jemand Schlussfolgerungen gezogen hat, und zu neuen Erkenntnissen gekommen ist, dann muss er auch die Chance haben, wieder mitzutun. Und ich glaube, dass die Zeit 20 Jahre keine schlechte Zeit dafür ist. Und Mitarbeiter der Staatssicherheit: Das ist für mich ein Punkt der politischen Hygiene, aber auch ein Punkt des Respekts vor den Opfern, die ja teilweise heute auch noch darunter leiden. Deshalb haben wir ganz klar gesagt: Mitarbeiter der Staatssicherheit haben in einem staatlichen Amt, in einem repräsentativen Amt wie Minister oder Staatssekretär noch keinen Platz. Und das finde ich auch richtig und gut so."
Außer Kerstin Kaiser sind weitere Mitglieder der Linksfaktion damit nicht ministrabel. Zu ihnen gehört auch der langjährige Innenexperte Hans-Jürgen Scharfenberg. Axel Vogel, der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/die Grünen:
"Wer sich schuldig gemacht hat ist aufgefordert, seinen Beitrag zur Versöhnung und zur Aufklärung zu leisten. Ich räume ein, viele von uns gruselt es neben einem Landtagsabgeordneten zu sitzen, der zwölf Jahre Schließer in einem Stasi-Gefängnis war. Die öffentliche Auseinandersetzung um seinen Lebenslauf können und wollen wir ihm nicht ersparen. Im Gegensatz zu Sachsen oder Thüringen sehen wir aber keine Rechtfertigung dafür, dass eine Parlamentsmehrheit frei gewählten Abgeordneten das Mandat entziehen kann."
Das bezieht sich auf Landtags-Neuling Axel Henschke von der Linken, der als Beruf Diplom-Gesellschaftswissenschaftler angibt. Sieht man sich die Biografie genauer an, dann war er erst hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter, dann Inoffizieller Mitarbeiter, FDJ-Chef im Bezirk Frankfurt/Oder und dann SED-Funktionär.