Political Framing

Die Macht der politischen Sprachbilder

Fake News-Schriftzug auf einem Smartphone
Fake News: Beispiel für einen politischen Frame, der sehr erfolgreich gesetzt wurde © imago
Elisabeth Wehling im Gespräch mit Dieter Kassel |
Mit Sprache kann man die Deutungshoheit in politischen Debatten erobern: Was eben noch falsch war, kann durch festes Behaupten und ewige Wiederholungen plötzlich richtig erscheinen. Was man dagegen tun kann, verrät die Linguistin Elisabeth Wehling. Sie ist als Rednerin auf der Konferenz Republica 2017 in Berlin zu Gast.
Die Sprache ist niemals unschuldig, lautet ein viel zitierter Satz des Philosophen Roland Barthes. Auch in der politischen Auseinandersetzung wird Sprache exzessiv genutzt, um die eigenen Überzeugungen durchzusetzen. Expertin dafür ist die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling, die am "Department of Linguistics" an der University of California, Berkeley, lehrt.
Mit ihrem Buch "Politisches Framing" hat die Linguistin aufgezeigt, wie Sprache die Politik bestimmt. Das Perfide an der Methode, die einige Politiker laut Wehling gezielt erlernen und einsetzen, andere einfach aus dem Bauch heraus beherrschen, ist, dass dadurch die Wahrheit zur Unwahrheit umgedeutet werden kann - und andersherum. Wenn ein starker Deutungsrahmen über Sprache gesetzt werde und wenn das immer und immer wieder geschehe, könne der Blick für die tatsächlichen Fakten mehr und mehr verloren gehen, sagte Wehling im Deutschlandfunk Kultur.
US-Präsident Donald Trump reckt den Daumen in die Kameras.
US-Präsident Donald Trump: Meister des politischen Framings© imago/ZUMA Press/ / Pool via CNP Washington United States of America
Wie darauf reagieren? Ein bekanntes Beispiel: die Fake News. Den Begriff habe Donald Trump erfunden und ihn "extrem erfolgreich" in die Debatte eingeführt, erklärte Wehling. Die Medien haben darauf nach ihrer Einschätzung völlig falsch reagiert - denn sie würden nun beständig betonen, keine Fake News zu produzieren. "Damit spielen die Medien an der Stelle Trump in die Hände", sagte die Wissenschaftlerin im Deutschlandfunk Kultur. Sie griffen Trumps Deutungsmuster auf, wiederholten es und stärkten es damit in den Köpfen der Menschen.
Ihre Empfehlung: "proaktiv" starke eigene Frames aufmachen. Nicht auf die Frames des politischen Gegners eingehen - also auf keinen Fall Falschbehauptungen aufgreifen, sondern die eigene Sicht kommunizieren. Das heiße nicht, dass man Themen unter den Tisch fallen lassen solle. Man müsse vielmehr die eigene Interpretation eines Themas stark präsentieren. In Bezug auf Trump und die Fake News sagte Wehling:
"Zum Beispiel kann man einen Frame aufmachen der Wahrheit. einen Frame, nach dem bestimmte Politiker, bestimmte Kräfte ein Problem mit der Wahrheit haben, weil die Wahrheit als Rückenmark der Demokratie bei bestimmten politischen Anliegen oder Zielen eben im Wege steht ... Das ist eine andere Geschichte. Da können die selben Fakten dann eingebettet werden. Aber sie sind sofort nicht nur in ihrem eigenen Kopf, sondern auch im Kopf ihres Mitbürgers in einem Frame, der für Sie der richtige Frame für die Situation ist."
(ahe)


Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Es ist scheinbar ja eine ganz banale Erkenntnis, dass es nicht nur darauf ankommt, was jemand sagt, sondern auch darauf, wie es jemand sagt. Das ist auch in der Politik so, aber daraus ist in der Politik inzwischen eine relativ komplizierte Technik geworden, auf die viele von uns fast täglich hereinfallen.
Man nennt es Political Framing, und man kann sich, glaube ich, darauf verlassen, dass Elisabeth Wehling nicht so sehr darauf hereinfällt, denn sie forscht und lehrt unter anderem zu diesem Thema an der University of California in Berkeley, hat im vergangenen Jahr ein ziemlich grundsätzliches Buch dazu herausgegeben. Sie ist jetzt gerade wegen eines Auftritts bei der Re:publica in Berlin, und wir können deshalb ohne Rücksicht auf Zeitverschiebung mit ihr sprechen. Schönen guten Morgen, Frau Wehling!
Elisabeth Wehling: Schönen guten Morgen!
Kassel: Blicken wir ganz kurz noch mal an diesem Morgen nach Frankreich. Dieser Erfolg von Emmanuel Macron, hat das für Sie auch was damit zu tun, dass er das bessere Political Framing hatte im Vergleich zu Marine Le Pen?
Wehling: Man kann es so ausdrücken: Er hatte im Vergleich zu den anderen Mitbewerbern ein besseres politisches Framing geschafft in seiner Kampagne. Zum Beispiel hat er stark auf Wandel gesetzt. Wir wissen, dass Wandel so ein Persönlichkeitsmerkmal ist, dass insbesondere progressive und auch moderate Mitbürger besonders stark ansprechen kann.
Da hat er sicherlich einiges geschafft in seiner Sprache, hatte aber, auch das muss man sehen, natürlich in Le Pen eine starke Kontrahentin. Sie hat sehr eindrückliche Frames setzen können und ist natürlich mit dem Wahlergebnis zwar nicht zum Staatsoberhaupt geworden, hat aber allein für die Denke der Franzosen so einiges bewegt.
Kassel: Kann man eigentlich – und auf diesem Weg können Sie bitte noch mal erklären, was so ein Frame überhaupt ist – kann man eigentlich überhaupt Frame-frei reden heutzutage als Politiker?

Ist das Glas nun halbvoll? Oder halbleer?

Wehling: Das kann man als Politiker nicht, und das kann man schon im Alltag nicht. Ich gebe Ihnen ein ganz konkretes Beispiel: "Das Glas ist halb voll" versus "Das Glas ist halb leer". Die faktische Gegebenheit, dass das Glas bis zur Hälfte gefüllt ist, kann man nur bewertend aus der einen oder eben der anderen Perspektive denken und kommunizieren. Und das, was für die alltägliche Sprache und für das alltägliche Denken gilt, das gilt natürlich auch und sogar insbesondere für die Politik, im ideologischen Streit um die Bewertung vorliegender Fakten kommt Framing immer zum Tragen.
Kassel: Wir machen das natürlich im Alltag meistens unbewusst. Aber unterstellen Sie Politikern, dass die das Framing inzwischen fast grundsätzlich sehr bewusst einsetzen?
Wehling: Da gibt es solche und solche. Es gibt politische Gruppen, die sich seit vielen Jahren, zum Teil seit Jahrzehnten, vor allem auch bei uns in den USA, mit dem Thema politisches Framing beschäftigen und dies auch gezielt in ihren Kampagnen, in ihren Reden, im ganz alltäglichen politischen Miteinander einsetzen. Und dann gibt es andere, die machen es eher aus dem Bauch heraus.
Dazu sei auch gesagt, ein erfolgreiches politisches Framing muss immer der eigenen Weltsicht, der eigenen Ideologie sozusagen gerecht werden. Das heißt, jemand, der ganz stark ideologisch bei sich ist und genau weiß, was halte ich für richtig und falsch im Gegensatz zu meinem Gegner, der kann auch ohne allzu viel, ich sage mal, einstudiertem Framing-Wissen schon einiges reißen in so einer Debatte.
Kassel: Aber wie geht man denn damit um, wenn der politische Gegner ein politisches Framing einsetzt, was, sagen wir mal, doch sehr den Tatsachen widerspricht. Nehmen wir mal so ein konkretes Beispiel wie Ihr halb volles oder halb leeres Glas. Wenn ich jetzt zum Beispiel sage, das Glas ist halb leer, und Sie sehen aber, es ist fast völlig voll – was macht man dann? Lässt man sich dann auf diese Tatsachendebatte ein, oder ist das gar nicht sinnvoll?

Unwahrheit verwandelt sich langsam in Wahrheit

Wehling: Im Framing ist das so: Wenn ein starker Frame, also ein starker Deutungsrahmen über Sprache gesetzt wird, und wenn das wiederholt geschieht, also wenn man immer und immer wieder die gleiche Sache bedeutet, so sie auch nicht der Wahrheit entspricht, dann setzt im Gehirn ein Learning-Prozess ein, das heißt, synaptische Schaltstellen werden stärker, und etwas, das zunächst einmal Unwahrheit war, kann zunehmend zu einer Wahrheit werden. Und dann kann der Blick für die tatsächlichen Fakten mehr und mehr verloren gehen.
Wie geht man dagegen an? Man geht dagegen an, indem man starke eigene Frames kommuniziert, ganz proaktiv, nicht aus der Defensive heraus, nicht die Frames zum Beispiel eines politischen Gegners oder von Falschbehauptungen aufgreift, sondern wirklich die eigene Sicht auf eine bestimmte Lage stark kommuniziert.
Ich gebe Ihnen ein kurzes Beispiel, weil es wirklich so wichtig ist. Nehmen Sie das Beispiel Fake News. Fake News ist ein Begriff, den hat Donald Trump erfunden, den hat er wunderbar und extrem erfolgreich in die Debatte einführen können. Und was haben wir gesehen, vor einigen Tagen beim Correspondent's Dinner in Washington, da ging die gesamte Debatte, da ging es in allen Reden um den Umstand: Wir, die Medien, sind nicht die Fake News. Damit spielen die Medien an der Stelle Trump in die Hände, sie greifen seinen Frame auf, propagieren ihn. Und über das Learning stärken sie ihn in den Köpfen der Menschen.
Kassel: Aber das ist ein Beispiel, das ebenso gut wie auch schwierig ist, wenn ich ehrlich sein darf, Frau Wehling. Weil, nehmen wir mal an – und ich verstehe ich Sie jetzt so, dass es geschickter wäre, wenn die Medien selbst – das geschieht ja auch in Deutschland, diesen Begriff Fake News, alternative Fakten, in Deutschland sehr beliebt die sogenannte "Lügenpresse" – wenn Sie all diese Begriffe selbst nicht aufnehmen würden und sich nicht unter Nennung dieser Begriffe verteidigen – aber tun sie es nicht, sagen doch wieder gewisse Kreise, da sehr ihr doch, dass die Medien eben doch nicht objektiv berichten. Gewisse Dinge werden einfach weggelassen.
Wehling: Man kann natürlich – also diesem Angriff macht man sich ja immer frei, sage ich mal, wenn man Dinge, also Themen, einfach unter den Tisch fallen lässt. Und das muss aber nicht der Anspruch sein. Man kann in einer solchen Debatte das Thema beibehalten, also die Frage stellen, auch die Fakten rund um diese Frage auf den Tisch legen, ganz klar, aber aus einer eigenen Interpretation dessen heraus, was hier gerade politisch-gesellschaftlich passiert.

Rückenmark der Demokratie

Zum Beispiel kann man einen Frame aufmachen der Wahrheit, einen Frame, nach dem bestimmte Politiker, bestimmte Kräfte ein Problem mit der Wahrheit haben, weil die Wahrheit als Rückenmark der Demokratie bei bestimmten politischen Anliegen oder Zielen eben im Wege steht und so weiter. Und Sie merken, das ist eine andere Geschichte. Da können dieselben Fakten dann eingebettet werden. Aber sie sind sofort nicht nur in ihrem eigenen Kopf, sondern auch im Kopf Ihres Mitbürgers in einem Frame, der für Sie der richtige Frame für diese Situation ist.
Kassel: Elisabeth Wehling: Sie ist Sprach- und Kognitionsforscherin an der University of California in Berkeley, und sie hält heute Nachmittag einen Vortrag über die Macht der Sprachbilder auf der Re:publica in Berlin. Frau Wehling, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch heute Morgen. Schönen Tag und viel Spaß bei der Re:publica nachher.
Wehling: Danke schön, alles Gute!
Kassel: Danke Ihnen! Und von der Re:publica übrigens, das sei auf gar keinen Fall verschwiegen an dieser Stelle, von der Re:publica kommt auch unsere Sendung "Kompressor" heute komplett, ab 14:07 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Kompressor-Sendung vom 8.5.2017 live von der Republica (38:44 min.):

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