"Politico Europe"

Die politische Elite im Visier

Der Chefredakteur für Marketing und Werbung, John Harris (l.), und Jim VandeHei, Chefredakteur und Mitbegründer von Politico.
Der Chefredakteur für Marketing und Werbung, John Harris (l.), und Jim VandeHei, Chefredakteur und Mitbegründer von Politico. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Vera Linß |
Das Internetportal "polictico.com" gilt als das einflussreichste Medium in Washington, nun startet der europäische Ableger "Politico Europe". Viele erhoffen sich davon einen besseren Europa-Journalismus, der beteiligte Springer-Verlag eine Expansion auf dem englischsprachigen Markt.
John Harris: "Wir haben Politico in den USA vor acht Jahren gestartet und es ist erfolgreicher geworden, als wir es uns je hatten vorstellen können. Aber: Wir hatten eine Idee. Wenn man daran festhält, eine Story mit den besten Reportern und einem intensiven Fokus zu verfolgen, dann wird man Erfolg haben."
Und diesen Erfolg will politico-Gründer John Harris nun gemeinsam mit dem Springer-Verlag in Brüssel wiederholen. Rund vierzig Journalisten aus 20 Nationen präsentieren ab heute eine Online-Ausgabe in englischer Sprache. Die Griechenland-Krise, der Aufstieg von Le Pen, das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer sind die ersten Themen des Tages.
Zwei Tage später, am Donnerstag, startet der wöchentlich erscheinende Printableger mit knapp 30.000 Exemplaren. Von Anfang an will man ganz vorn mitspielen, proklamiert John Harris in einem Werbevideo.
Ausgerichtet auf die politische Elite
John Harris: "Im politischen Europa wollen wir die führende Newsorganisation aufbauen. Wir arbeiten von Brüssel aus, aber wir erwarten, dass wir in allen großen europäischen Hauptstätten zur wichtigsten Stimme werden – jetzt, in dieser entscheidenden Phase europäischer Politik."
"Politico Europe" startet aber nicht bei Null. Vor anderthalb Jahren hat das Unternehmen die Wochenzeitung "European Voice" gekauft, die bis dahin führende Publikation bei Europa-Themen. Deren Abonenntenstamm wurde übernommen, das Produkt quasi umbenannt.
Vor allem die Polit-Elite will man als Leser gewinnen – ganz nach dem Vorbild in Washington. Springer-Manager Christoph Keese schwört denn auch auf das Konzept der Amerikaner, die sich mit politico.com ausschließlich an die wichtigsten Polit-Player richten würden.
Christoph Keese: "Das journalistische Ziel besteht darin, unverzichtbar zu werden für den Stabschef des Weißen Hauses und für den Mehrheitsführer im Kongress. Wenn das gelingt, und es gelingt ihnen jetzt fortgesetzt in acht Jahren, dann lesen das natürlich auch alle anderen, weil alle anderen auch wissen müssen, was der Stabschef des Weißen Hauses und der Mehrheitsführer im Kongress liest. Das bedeutet aber auch, dass man ganz tief in die Details gehen muss und es hat sich also eine völlig neue Form von journalistischem Ökosystem hier gebildet. Das ist die Innovation."
Mit ausgewählten und aufwendig recherchierten Themenspecials, so genannten „Verticals" zu Energiewirtschaft, Gesundheit oder IT will man für europäische Spitzenpolitiker wie Angela Merkel, Jean-Claude Juncker oder Donald Tusk zur Pflichtlektüre werden.
In der Brüsseler Polit-Szene wird der Start von "Politico Europe" mit Spannung erwartet. Zwar gibt es Zweifel, ob sich das Geschäftsmodell einfach so von Washington auf die EU übertragen lässt. Andreas Müllerleile, Blogger und Politikwissenschaftler am European Institute of Peace hofft aber, dass der Brüssel-Journalismus damit insgesamt moderner wird und eine europäische Öffentlichkeit entsteht.
Bis zu 120 Mitarbeiter
Andreas Müllerleile: "Das Interessante am Brüsseler Markt ist, dass es eigentlich kaum europäische Medien jenseits der Financial Times und Euronews gibt. Und der Europa-Journalismus ist aufgeteilt in zwei Bereiche: einmal die Korrespondenten, die nur das berichten, was den nationalen Erwartungen entspricht und auf der anderen Seite eine Vielzahl kleiner bis sehr kleiner Medienangebote, die aus Brüssel für Brüssel berichten. Die schaffen es aber kaum, außerhalb der Stadt wahrgenommen zu werden."
Für Springer-Manager Christoph Keese steht "Politico Europe" aber auch dafür, dass Journalismus im Netz eine Perspektive hat. Denn: Man will schnell profitabel werden, mit Hilfe des kostenpflichtigen Zusatzangebotes "Politico Pro", das im Sommer starten soll. In den USA kostet dieses Premium-Abo stolze 7500 Dollar im Jahr. Über den Preis in Brüssel schweigt sich die Redaktion bislang aus. Dennoch, für Keese ist klar:
Christoph Keese: "Wir haben's hier nicht nur mit einer glänzenden neuen Form von Qualitätsjournalismus zu tun, sondern eben auch mit einer sich lohnenden Form des digitalen Qualitätsjournalismus. Also eigentlich ist da ein Stück weit eine Formel gefunden worden, für das, was allerorten gesucht wird, nämlich die Möglichkeit, ausgezeichneten Journalismus zu finanzieren, die das Internet bietet."
Nach und nach soll "Politico Europe" wachsen, auf 120 Mitarbeiter bis zum Jahresende – und später auch in verschiedenen Sprachen erscheinen. Erstmal hat Englisch aber Priorität, auch für den Springer-Verlag. Wie gut das Magazin letztlich angenommen wird, ist jedoch offen. Von der Konkurrenz im Netz jedenfalls wurde die erste Ausgabe von "Politico Europe" überwiegend belächelt.
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