Klimawandel
Wirtschaftsminister Robert Habeck: Würde es nützen, wenn er der "Klima-Churchill" wird? © picture alliance / Flashpic / Jens Krick
Mehr Mut zu unpopulären Wahrheiten
Politiker handeln für gewöhnlich opportun, tun das, was ihnen bei Wahlen nützt. Müssten sie nicht auch einfach mal stur regieren, das Richtige gegen den Klimawandel tun, auch wenn es der Karriere schadet? Stefan Reinecke erwägt das Für und Wider.
Demokratie ist Herrschaft auf Zeit und funktioniert nach dem Prinzip der Stimmenmaximierung. Wer genug Wählerinnen und Wähler gewinnt, kann seine Politik durchsetzen. Wenn die dem Publikum nicht mehr gefällt, wird es eine andere Partei bevorzugen. Das ist ein effektives System – aber nicht für alle Probleme. Der Klimawandel sprengt den Rhythmus der Demokratie – von Wahl, Regieren und Abwahl. Denn was jetzt versäumt wird, ist in Zukunft nicht mehr reparabel.
Doktrin der Stimmenmaximierung
Eine Diktatur ist da keine Lösung – bis jetzt gibt es kein Anzeichen, dass Autokratien weitsichtigere Klimapolitik machen. Aber man kann fragen, ob ökologische Politik immer der Doktrin der Stimmenmaximierung folgen muss.
Vielleicht ist es ja nötig, sich unbeliebt zu machen, so wie es Robert Habeck derzeit beim Heizungsaustausch tut. Vielleicht muss grüne Politik mal unpopulär sein, um das Nötige durchzusetzen – gegen die aktuelle Mehrheit, aber zu Gunsten der Mehrheit in 30, 50 oder 100 Jahren.
Müssen die Grünen die Wärmewende jetzt durchsetzen, auch wenn die "Bild"-Zeitung tobt, die Koalitionspartner zweifeln, Wahlen verloren gehen? Müssen Politiker manchmal starrsinnig am eigenen Kurs festhalten?
Es gibt dafür in der Geschichte ein berühmtes Beispiel. Ein Politiker, der überzeugt war, dass er Recht hatte, und die anderen irrten. Er wurde zum Außenseiter, von der Regierung, von der Opposition, von der Presse verachtet oder nicht mehr ernst genommen. Er galt als jemand, der sich hoffnungslos verrannt hatte.
Churchill rettete die Briten
Die Rede ist von Winston Churchill, der in den späten 1930er-Jahren einsam gegen die britische Appeasement-Politik und Hitler kämpfte. Sein Einfluss war 1937, notierte er, "auf den Nullpunkt gesunken". 1940 rettete er die Briten vor dem deutschen Angriff – die ihn 1945 kühl abwählten.
Brauchen wir einen Klima-Churchill, der seine Karriere in den Wind schießt und tut, was er für notwendig hält? Also Politiker, die auf Entscheidung und Härte setzen, wenn die Mehrheit die Augen vor den kommenden Schrecken verschließt und nur laue Kompromisse ersehnt?
Dieser Vergleich ist reizvoll. Aber er hat eine begrenzte Reichweite. Gar nicht mal, weil er zu schmeichelhaft für Robert Habeck wäre.
Die Struktur der Gefahr ist eine andere. Hitler kam von außen und schweißte mit Bomben das Innen zusammen. Der Klimawandel ist nicht außen, er ist innen.
Der Klimawandel - das ist unser Auto vor der Tür, die Fernreise, das Kotelett im Kühlschrank, die Gasheizung im Keller.
Hitlers Angriff, schrieb Churchill, müsse man sich mit der Konzentration eines Mannes entgegenstellen, der weiß, dass er in zwei Wochen gehängt wird. Ein prägnantes Bild für London 1940. Beim Klimawandel trifft es nicht recht.
Die Lage ist komplexer, innen und außen sind verwoben. Und die Gefahr ist nicht in zwei Wochen oder zwei Jahren mit grimmiger Entschlossenheit zu bannen. Sie braucht die Ausdauer von Marathonläufern. Was nutzen aufopferungsvoll durchgesetzte, mit Wahlniederlagen bezahlte Klimaschutzgesetze, die künftige Regierungen wieder kippen?
Es gibt keine Klimapolitik ohne Verzicht
Zu verlangen wäre mehr Mut zu unpopulären Wahrheiten. Unser gemütvoller Bundespräsident könnte eine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede halten und klarmachen, dass vor allem die Oberschicht Unmengen CO2 emittiert und dafür viel mehr zahlen muss. Der Kanzler könnte sich trauen, das Unaussprechliche zu sagen: Es gibt keine Klimapolitik ohne Verzicht.
Das würde für Klimapolitik mehr bringen als Grüne, die standhaft bleiben - und untergehen.