Politik der kleinen Schritte
In der Ausstellung "Überleben auf der Flucht" von Ärzte ohne Grenzen können die Besucher in München, Augsburg, Berlin und Münster ein "Flüchtlingslager zum Anfassen" erleben. Die Schirmherrin des Projekts, Doris Dörrie, betonte, dass durch diesen Zugang stärker Mitgefühl und Hilfsbereitschaft entwickelt werden könnten.
Dörrie: Ich war schon einmal Schirmherrin, die Organisation imponiert mir schon seit langem und ihre Ausstellungen sind wirklich besonders gut gemacht und zielen darauf, dass man mit seinen fünf Sinnen erfährt, was die eigentlich wirklich machen. Das letzte mal ging es um Medikamente, diesmal um die Flüchtlingslager und sie haben ein sehr interessantes Flüchtlingslager aufgebaut, durch das man wandern kann, und wo man wirklich sehr deutlich am eigenen Leib spürt, was es bedeutet, in einem Flüchtlingslager zu leben.
Wuttke: Dieses Flüchtlingslager ist nachgebaut auf 900 Quadratmetern, soll Wohlstandsbürgern einen Eindruck über das Leben dort vermitteln. Wie haben Sie sich da drin gefühlt?
Dörrie: Zum Beispiel kann man sich mal in einem Zelt mit 20 Leuten niederlassen und merken, wie wenig Platz darin dann ist und die normalen Quadratmeterzahlen für 20 Leute sind dann eben ein kleines Zelt, wo wir sagen würden, es sind maximal vier bis sechs Leute, die da bequem reinpassen, aber da leben dann 20 Leute. Und zwar nicht nur Tage, sondern Monate und manchmal auch Jahre. Wir haben das zusammen mit Schulklassen gemacht und alle waren sehr schockiert, dass man da noch nicht mal liegen kann. Dass man es auf engstem Raum miteinander aushalten muss. Aber diese Ausstellung ist nicht nur bedrückend, sondern das Gute daran ist, dass sie auch sehr positiv vermittelt, was man dann doch auch tun kann.
Wuttke: War Ihnen denn, nachdem Sie dort in diesem Zelt gewesen sind, erstmal zum Schweigen zumute oder hatten Sie auch das Bedürfnis, darüber reden zu wollen?
Dörrie: Ich war dazu da, um Interviews zu geben, also musste ich reden. Aber diese Mischung ist den Ärzten ohne Grenzen wirklich gut gelungen, dass man eben nicht nur vor Schreck und Entsetzen sich abwendet, weil man das ja auch nicht gut aushält. Wir haben den menschlichen Instinkt, nicht unbedingt hinzusehen und zu helfen, sondern wir wenden uns eben auch schnell ab. Das hat jeder von uns. Da aber doch eben positive Stimmung zu vermitteln, dass man doch etwas tun kann und dass man immer wieder auch aufgerufen ist, in kleinen Schritten etwas zu tun und wie die das machen, das ist imposant.
Wuttke: Woran aber scheitert Ihrer Meinung nach die politische Weltgemeinschaft, wie sie sich, zum Beispiel der G8-Gipfel auf ihrem letzten Treffen, selbst verstanden haben, also als politische Weltgemeinschaft, die handeln will?
Dörrie: Komplett scheitern sie ja auch nicht, das ist leider immer sehr ambivalent. Zum Beispiel jetzt die Hungerkatastrophe im Niger, das ist schon lange bekannt gewesen, keiner hat reagiert, nicht schnell genug. Das ist zum Verzweifeln, das ist furchtbar. Das liegt natürlich auch daran, dass so viele verschiedene Interessen auch immer wieder verteidigt werden und natürlich aber auch in Afrika selber ein großer Hemmschuh für Hilfe sind natürlich auch oft die afrikanischen Regierungen selber, die zum Teil wirklich wahnsinnig korrupt sind, wo Hilfe nicht ankommt und es um ganz andere Interessen geht, nämlich militärische. Aber da immer wieder diese Politik der kleinen Schritte im aktuellen und im Realen zu betonen und weiter durchzuziehen, das ist die Arbeit von so einer Organisation wie Ärzte ohne Grenzen, und da dann eben nicht aufzugeben.
Wuttke: Hätte man das Geld von Bob Geldofs "Live 8" direkt in die Arbeit von Hilfsorganisationen stecken sollen?
Dörrie: Ach, das ist auch eine schwierige Geschichte, ich habe gerade auch wieder mit Engländern darüber gesprochen, die das natürlich doch noch mehr mitbekommen haben. Ich glaube, es ist immer besser, etwas zu tun, als nichts zu tun. Deshalb ist diese Frage 'hätte man nicht' immer eine sehr hypothetische, die darauf abzielt, dass man dann lieber gar nichts hätte tun sollen. Das ist nicht die richtige Frage. Man kann bestimmt alles immer noch besser machen, aber dass es überhaupt vielleicht auch einen so naiven Bob Geldof gibt, der sich dann so dafür einsetzt und viel Lebenszeit und Energie darauf verwendet, überhaupt etwas zu tun, ist doch erstmal besser, als es nicht zu tun. Man kann viel meckern und sagen, hätten wir und man sollte doch - klar, man kann immer alles besser machen. Aber erstmal überhaupt etwas zu machen, darum geht es.
Wuttke: Der Tsunami hat eine Hilfsbereitschaft ausgelöst, wie es sie bis zum Dezember 2004 nicht gegeben hat. Es waren immer wieder dieselben erschütternden Bilder, außerdem waren Familien und Freunde von den Umständen betroffen. Wissen - und das ist auch etwas, was die Ausstellung "Überleben auf der Flucht" zeigen soll - hilft aber offensichtlich nur in einem ganz begrenzten Maß.
Dörrie: Das konnte man an der Tsunamikatastrophe sehr genau beobachten: In dem Moment, wo wir tatsächlich mit unserem eigenen Körper verbunden sind mit einer Katastrophe, wo es wirklich auch Verwandte und Freunde betroffen hat, fühlen wir mehr und sind natürlich auch sehr viel bereiter, dann im großen Maß zu helfen. Das ist auch immer wieder das Problem für jeden von uns, dass wir auch nur begrenzt das Elend mitfühlen können. Wenn wir jede Nachricht in der Zeitung jeden Tag mitfühlen würden, kämen wir auch nicht mehr aus dem Bett vor Entsetzen. Trotzdem geht es darum, immer wieder zu versuchen, sein Mitgefühl zu entwickeln und vergrößern und immer wieder konkret mitzufühlen. Darum ging es auch in dieser Ausstellung. Da gab es zum Beispiel ein Zelt für unterernährte Kinder, da gab es ein kleines Messband für den Oberarm von einem fünfjährigen Kind, und da konnte man sehr genau sehen, was ein gut ernährtes und was ein unterernährtes Kind ist. Wenn man so ein Messband in der Hand gehabt hat und sieht, wie irrsinnig dünn so ein Oberärmchen ist, dann ist das schon etwas anderes, als wenn man es auf einem Foto sieht und nicht wirklich nachfühlen kann. Da ist jeder immer wieder dazu aufgerufen, zu versuchen, mitzufühlen, sehr konkret und sich auch immer wieder darum zu bemühen, denn unser Instinkt ist sicherlich ein anderer. Es ist ein menschlicher Instinkt, das Entsetzen auch von sich fernzuhalten.
Wuttke: Das heißt, Sie werden nach diesem Projekt immer weitere Schirmherrschaften übernehmen. Sind Sie nach dieser Erfahrung in der Ausstellung dann auch mit Ihren Gedanken nach Hause gegangen und haben das Gefühl gehabt, Sie sind jetzt wieder durch den direkten Kontakt so weit motiviert, auch einen weiteren Schritt zu gehen? Denn das ist auch, was Sie angesprochen haben.
Dörrie: Natürlich, klar. Durch dieses immer wieder Wachrufen in sich selber ist man natürlich eher bereit, auch weiterzumachen und andere Dinge zu tun und das ist wirklich so ein Wachsen von Mitgefühl, was man aber immer mühsam wieder trainieren muss, und ich bin genau wie alle anderen, ich habe natürlich auch erstmal nicht besondere Lust, mich mit diesem Entsetzen zu beschäftigen und muss es genauso trainieren.
Service:
Die Ausstellung "Überleben auf der Flucht" von Ärzte ohne Grenzen wird in diesem Jahr in folgenden Städten zu sehen sein: München (Odeonsplatz) 20.7. - 23.7.05, Augsburg (Rathausplatz) 25.7. - 28.7.05, Berlin (Potsdamer Platz, Ecke Stresemannstr.) 9.8. - 13.8.05 und Münster (Lambertikirchplatz) 22.8. - 26.8.05.
Wuttke: Dieses Flüchtlingslager ist nachgebaut auf 900 Quadratmetern, soll Wohlstandsbürgern einen Eindruck über das Leben dort vermitteln. Wie haben Sie sich da drin gefühlt?
Dörrie: Zum Beispiel kann man sich mal in einem Zelt mit 20 Leuten niederlassen und merken, wie wenig Platz darin dann ist und die normalen Quadratmeterzahlen für 20 Leute sind dann eben ein kleines Zelt, wo wir sagen würden, es sind maximal vier bis sechs Leute, die da bequem reinpassen, aber da leben dann 20 Leute. Und zwar nicht nur Tage, sondern Monate und manchmal auch Jahre. Wir haben das zusammen mit Schulklassen gemacht und alle waren sehr schockiert, dass man da noch nicht mal liegen kann. Dass man es auf engstem Raum miteinander aushalten muss. Aber diese Ausstellung ist nicht nur bedrückend, sondern das Gute daran ist, dass sie auch sehr positiv vermittelt, was man dann doch auch tun kann.
Wuttke: War Ihnen denn, nachdem Sie dort in diesem Zelt gewesen sind, erstmal zum Schweigen zumute oder hatten Sie auch das Bedürfnis, darüber reden zu wollen?
Dörrie: Ich war dazu da, um Interviews zu geben, also musste ich reden. Aber diese Mischung ist den Ärzten ohne Grenzen wirklich gut gelungen, dass man eben nicht nur vor Schreck und Entsetzen sich abwendet, weil man das ja auch nicht gut aushält. Wir haben den menschlichen Instinkt, nicht unbedingt hinzusehen und zu helfen, sondern wir wenden uns eben auch schnell ab. Das hat jeder von uns. Da aber doch eben positive Stimmung zu vermitteln, dass man doch etwas tun kann und dass man immer wieder auch aufgerufen ist, in kleinen Schritten etwas zu tun und wie die das machen, das ist imposant.
Wuttke: Woran aber scheitert Ihrer Meinung nach die politische Weltgemeinschaft, wie sie sich, zum Beispiel der G8-Gipfel auf ihrem letzten Treffen, selbst verstanden haben, also als politische Weltgemeinschaft, die handeln will?
Dörrie: Komplett scheitern sie ja auch nicht, das ist leider immer sehr ambivalent. Zum Beispiel jetzt die Hungerkatastrophe im Niger, das ist schon lange bekannt gewesen, keiner hat reagiert, nicht schnell genug. Das ist zum Verzweifeln, das ist furchtbar. Das liegt natürlich auch daran, dass so viele verschiedene Interessen auch immer wieder verteidigt werden und natürlich aber auch in Afrika selber ein großer Hemmschuh für Hilfe sind natürlich auch oft die afrikanischen Regierungen selber, die zum Teil wirklich wahnsinnig korrupt sind, wo Hilfe nicht ankommt und es um ganz andere Interessen geht, nämlich militärische. Aber da immer wieder diese Politik der kleinen Schritte im aktuellen und im Realen zu betonen und weiter durchzuziehen, das ist die Arbeit von so einer Organisation wie Ärzte ohne Grenzen, und da dann eben nicht aufzugeben.
Wuttke: Hätte man das Geld von Bob Geldofs "Live 8" direkt in die Arbeit von Hilfsorganisationen stecken sollen?
Dörrie: Ach, das ist auch eine schwierige Geschichte, ich habe gerade auch wieder mit Engländern darüber gesprochen, die das natürlich doch noch mehr mitbekommen haben. Ich glaube, es ist immer besser, etwas zu tun, als nichts zu tun. Deshalb ist diese Frage 'hätte man nicht' immer eine sehr hypothetische, die darauf abzielt, dass man dann lieber gar nichts hätte tun sollen. Das ist nicht die richtige Frage. Man kann bestimmt alles immer noch besser machen, aber dass es überhaupt vielleicht auch einen so naiven Bob Geldof gibt, der sich dann so dafür einsetzt und viel Lebenszeit und Energie darauf verwendet, überhaupt etwas zu tun, ist doch erstmal besser, als es nicht zu tun. Man kann viel meckern und sagen, hätten wir und man sollte doch - klar, man kann immer alles besser machen. Aber erstmal überhaupt etwas zu machen, darum geht es.
Wuttke: Der Tsunami hat eine Hilfsbereitschaft ausgelöst, wie es sie bis zum Dezember 2004 nicht gegeben hat. Es waren immer wieder dieselben erschütternden Bilder, außerdem waren Familien und Freunde von den Umständen betroffen. Wissen - und das ist auch etwas, was die Ausstellung "Überleben auf der Flucht" zeigen soll - hilft aber offensichtlich nur in einem ganz begrenzten Maß.
Dörrie: Das konnte man an der Tsunamikatastrophe sehr genau beobachten: In dem Moment, wo wir tatsächlich mit unserem eigenen Körper verbunden sind mit einer Katastrophe, wo es wirklich auch Verwandte und Freunde betroffen hat, fühlen wir mehr und sind natürlich auch sehr viel bereiter, dann im großen Maß zu helfen. Das ist auch immer wieder das Problem für jeden von uns, dass wir auch nur begrenzt das Elend mitfühlen können. Wenn wir jede Nachricht in der Zeitung jeden Tag mitfühlen würden, kämen wir auch nicht mehr aus dem Bett vor Entsetzen. Trotzdem geht es darum, immer wieder zu versuchen, sein Mitgefühl zu entwickeln und vergrößern und immer wieder konkret mitzufühlen. Darum ging es auch in dieser Ausstellung. Da gab es zum Beispiel ein Zelt für unterernährte Kinder, da gab es ein kleines Messband für den Oberarm von einem fünfjährigen Kind, und da konnte man sehr genau sehen, was ein gut ernährtes und was ein unterernährtes Kind ist. Wenn man so ein Messband in der Hand gehabt hat und sieht, wie irrsinnig dünn so ein Oberärmchen ist, dann ist das schon etwas anderes, als wenn man es auf einem Foto sieht und nicht wirklich nachfühlen kann. Da ist jeder immer wieder dazu aufgerufen, zu versuchen, mitzufühlen, sehr konkret und sich auch immer wieder darum zu bemühen, denn unser Instinkt ist sicherlich ein anderer. Es ist ein menschlicher Instinkt, das Entsetzen auch von sich fernzuhalten.
Wuttke: Das heißt, Sie werden nach diesem Projekt immer weitere Schirmherrschaften übernehmen. Sind Sie nach dieser Erfahrung in der Ausstellung dann auch mit Ihren Gedanken nach Hause gegangen und haben das Gefühl gehabt, Sie sind jetzt wieder durch den direkten Kontakt so weit motiviert, auch einen weiteren Schritt zu gehen? Denn das ist auch, was Sie angesprochen haben.
Dörrie: Natürlich, klar. Durch dieses immer wieder Wachrufen in sich selber ist man natürlich eher bereit, auch weiterzumachen und andere Dinge zu tun und das ist wirklich so ein Wachsen von Mitgefühl, was man aber immer mühsam wieder trainieren muss, und ich bin genau wie alle anderen, ich habe natürlich auch erstmal nicht besondere Lust, mich mit diesem Entsetzen zu beschäftigen und muss es genauso trainieren.
Service:
Die Ausstellung "Überleben auf der Flucht" von Ärzte ohne Grenzen wird in diesem Jahr in folgenden Städten zu sehen sein: München (Odeonsplatz) 20.7. - 23.7.05, Augsburg (Rathausplatz) 25.7. - 28.7.05, Berlin (Potsdamer Platz, Ecke Stresemannstr.) 9.8. - 13.8.05 und Münster (Lambertikirchplatz) 22.8. - 26.8.05.