Politik drückt sich vor Steuerreform

Von Ernst Rommeney |
Es ist schon alles gesagt worden – auch mehrmals, auch von mir, auch in dieser Woche. Das Thema "Steuern" verführt nun mal dazu. Doch keiner argumentiert so gut wie Paul Kirchhof, der Steuer- und Verfassungsrechtler aus Heidelberg. Darum sollten wir auf ihn hören.
Er hat ein altes Credo seiner wissenschaftlichen Zunft wiederholt. Der Vorschlag, das Steuerrecht zu erneuern und einfacher zu machen, habe nichts mit dem populären Anliegen zu tun, lediglich Steuern zu senken. Ein neu gestaltetes Gesetz rechtfertigt sich, weil es prinzipientreu, verständlich und gerecht sein will.

Es würde die Lasten anders verteilen. Unter Steuerzahlern gäbe es also durchaus Gewinner und Verlierer. Der Staat aber müsste deswegen nicht auf Einnahmen verzichten. Für die Politiker dagegen ist eine Reform ohne Steuersenkungen nicht interessant. Darum haben sie ihr Pulver verschossen.

Im letzten Jahrzehnt wurden Tarife gesenkt und im Gegenzug Privilegien abgebaut, ohne die Gesetzestexte selbst grundlegend zu überarbeiten. Nun stellen die Parlamentarier bedauernd fest, dass sie eine Jahrhundertreform nach den Ideen von Paul Kirchhof gar nicht mehr finanzieren können.

Gleichwohl erwägen Christdemokraten und Liberale die nächste Steuersenkung, scheuen sich nicht, noch unglaubwürdiger zu werden. Sie wollen den progressiv steigenden Tarifverlauf entschärfen, auch kalte Progression oder Mittelstandsbauch genannt. Paul Kirchhof bietet ihnen das an. Sie planen, Steuern zu senken und dafür letztlich mehr oder länger Schulden zu machen. Paul Kirchhof will das nicht. Aber unrealistisch soll nur sein Konzept sein.

Nein, in Wahrheit lehnen Politiker und Verbände eine Reform ab, weil sie mit dem Paragraphendschungel im Steuerrecht sehr gut leben können. Selbst vor aller Augen lässt er sich nach Bedarf ändern, ohne dass es die Öffentlichkeit merkt, weil sie die Details gar nicht versteht.

Für den Bürger gibt es zum Ausgleich wahlhelfende Trostpflaster. Diese milde Gabe wird allerdings dümmlich damit begründet, ihm sei etwas zurückzugeben. Anscheinend verplempern die Haushaltspolitiker in Bund und Länder unser Geld. Selbst wenn es so wäre, müssten sie erst die Etats sanieren.

Unsere Politiker widersprechen sich auch konzeptionell. Union und Liberale wollen die Krankenkassen zu echten Versicherungen umgestalten. Der soziale Ausgleich würde dann nicht mehr von den Mitgliedern, sondern vom Fiskus gezahlt. Und dann möchten sie Steuern parallel zu den Sozialabgaben senken. Wie soll das gehen? Genauso wenig wie SPD und Grüne in ihrem Modell der Bürgerversicherung die Beiträge gleichzeitig mit den Steuern erhöhen könnten. Kurzum, von durchdachter Reformpolitik ist im Berliner Regierungsviertel nichts mehr übrig geblieben.

In den Hinterzimmern der Dorfkneipen lässt es sich herrlich über Steuern meckern. Nur selbst die schärfsten Kritiker knicken ein, wenn sie den Preis für die Ansprüche, die sie stellen, zahlen müssen. Nehmen wir das Steuerprivileg für Nacht- und Feiertagszuschläge als Beispiel.

Deutschland hat den Wiederaufbau der Nachkriegszeit längst hinter sich gelassen. Darum muss die Arbeit rund um die Uhr auch nicht mehr staatlich gefördert werden. Vielmehr sollte die öffentliche wie die private Wirtschaft ihren Schichtdienstlern aus eigener Tasche gute Löhne zahlen. Stattdessen subventioniert die Gemeinschaft, dass Tarifpartner wie Politiker den Ärger scheuen.

Sicher, Paul Kirchhof mutet Bürgern und Betrieben zu, sich von lieb gewonnenen Vorteilen zu lösen. Er verspricht dafür ein gerechteres Steuersystem, das sich zugleich neutral verhält, nicht das Verhalten der Gesellschaft widersinnig beeinflusst, oder gar anregt, Gewinn und Einkommen möglichst klein zu rechnen.

Ob er halten kann, was er verspricht, weiß ich auch nicht. Aber er macht sein Versprechen an Rechtsprinzipien fest, auf welche die deutsche Gesellschaft nicht verzichten kann. Würden sich Liberale und Konservative daran orientieren, müssten sie nicht so laut jammern, dass ihnen - mit dieser Bundesregierung - ihre Werte abhanden gekommen seien.


Mehr zum Thema bei dradio.de:

Interview vom 28.6.2011 - Staatsrechtler Kirchhof schlägt "fundamentale Erneuerung" des Steuerrechts vor - Alle Ausnahmetatbestände sollen gestrichen werden (DLF)
Mehr zum Thema