Politik durch das Menschliche überwinden
Der Basler Oskar Wälterlin schrieb Theatergeschichte als Direktor des Zürcher Schauspielhauses von 1938 bis 1961. Unter seiner Intendanz wurden wichtige Stücke von Bertolt Brecht uraufgeführt, er verhalf den Schweizer Autoren Frisch und Dürrenmatt zum Durchbruch. Am 4. April 1961 verstarb er.
Therese Giehse als "Mutter Courage". Das Anti-Kriegsstück von Bertolt Brecht wurde 1941 am Zürcher Schauspielhaus uraufgeführt, dem Zufluchtsort für viele bedeutende Theatermacher. Direktor dieser wichtigsten Exilbühne während des Dritten Reichs war ab 1938 Oskar Wälterlin, der das Haus 23 Jahre leitete. In einer Festrede blickte er zurück:
"Während des Krieges war die in sich geschlossene Gruppe durch ein gemeinsames Schicksal und durch den Willen zu gemeinsamem Kampfe verbunden. Als nach dem Krieg die Grenzen sich auftaten, zeigte sich bald, dass dem Kampf für die Menschlichkeit kein Ende gesetzt war."
Was im Rückblick so harmonisch klingt, begann im Konflikt, denn Oskar Wälterlin war ein Kompromisskandidat. Sein Vorgänger Ferdinand Rieser hatte viele jüdische und politische Emigranten nach Zürich geholt und mit ihnen ein dezidiert antifaschistisches Theater gemacht. Das passte vielen Schweizern nicht. In der Neuen Zürcher Zeitung wurde das – wie es hieß - "taktlose Hervortreten politischer Emigranten" getadelt. Sogar Max Frisch stieß damals in dieses Horn. Der 27-Jährige schrieb im Juni 1938 in der Zeitschrift "Zürcher Student":
"Wir wollen eine Bühne, die der Kunst dient, nicht irgendeinem europäischen Block, und deren schweizerische Gesinnung außer jedem Verdacht steht. – Wenn wir das nicht vermögen: dann lieber gar keine!"
Mit Oskar Wälterlin hatte man einen Direktor gefunden, der die schweizerische Gesinnung garantieren sollte. 1895 in Basel geboren, hatte er dort seine Theaterlaufbahn begonnen und war 1933 an die Städtischen Bühnen nach Frankfurt am Main gegangen, wo er 1937 die Uraufführung von Carl Orffs "Carmina Burana" inszenierte. Er war kein politischer Theatermacher. Auch im nationalsozialistischen Deutschland glaubte er, in einem ästhetischen Freiraum wirken zu können und sah im Theater eine Möglichkeit, "die Politik durch das Menschliche zu überwinden". Seine Intendanz in Zürich eröffnete Wälterlin mit Shakespeare, das Publikum gewann er mit Schillers "Wilhelm Tell" – in der Titelrolle Heinrich Gretler.
Wilhelm Tell (Schauspielhaus Zürich 1939): "Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt. Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen. Ich lebte still und harmlos. Das Geschoss war auf des Waldes Tiere nur gerichtet. Meine Gedanken waren rein von Mord. Du hast aus meinem Frieden mich heraus geschreckt. Zum Ungeheuren hast Du mich gewöhnt."
Das war Antifaschismus im Sinne der geistigen Landesverteidigung, es ging vorrangig um die Freiheit des Kleinstaates. Mit solchen Aufführungen gelang es dem neuen Direktor, die Bühne der Emigranten auch zu einem Theater für die Einheimischen zu machen.
Im Ensemble war Oskar Wälterlin nach anfänglichem Misstrauen sehr beliebt, denn er war ein ausgleichender Direktor und ein liebevoller Regisseur. Nur dass er immer die Betonungen vorsagte, machte den Schauspielern manchmal Mühe und brachte ihm den Spitznamen, der "Betonierer" ein. Aber die Sprache der Dichter war Wälterlin wichtiger als inszenatorische Brillanz:
"Wir haben fest gehalten an unserem Streben nach einer Darstellung, die die Hintergründe durchsichtig macht, die Wirrnisse des Geschehens klärt und möglichst unter Verzicht auf äußere Effekte die Wahrheit zur Wirkung zu bringen sucht."
Als Regisseur stand Wälterlin oft im Schatten seiner Kollegen Kurt Horwitz, Leopold Lindtberg oder Leonard Steckel, die auch die Brecht-Uraufführungen in Zürich inszenierten. Er selbst brachte neben vielen Klassikern Stücke von Sartre, Steinbeck und Thornton Wilder auf die Bühne, so 1944 die deutschsprachige Erstaufführung von "Wir sind noch einmal davongekommen". Und er verhalf Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt zum Durchbruch als Dramatiker. 1956 inszenierte er die Uraufführung von "Der Besuch der alten Dame" mit Therese Giehse als Claire Zachanassian:
Der Besuch der alten Dame (Zürich 1956): "Du warst der Held meiner Jugend, der schwarze Panther meiner ersten Nächte, der mich verriet."
1961 ging Oskar Wälterlin als Direktor des Zürcher Schauspielhauses in Rente. Er wollte weiter arbeiten, als Leiter des Stadttheaters Basel und als freier Regisseur. Aber dann erlitt der Unermüdliche einen Herzinfarkt. Er starb in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1961.
"Während des Krieges war die in sich geschlossene Gruppe durch ein gemeinsames Schicksal und durch den Willen zu gemeinsamem Kampfe verbunden. Als nach dem Krieg die Grenzen sich auftaten, zeigte sich bald, dass dem Kampf für die Menschlichkeit kein Ende gesetzt war."
Was im Rückblick so harmonisch klingt, begann im Konflikt, denn Oskar Wälterlin war ein Kompromisskandidat. Sein Vorgänger Ferdinand Rieser hatte viele jüdische und politische Emigranten nach Zürich geholt und mit ihnen ein dezidiert antifaschistisches Theater gemacht. Das passte vielen Schweizern nicht. In der Neuen Zürcher Zeitung wurde das – wie es hieß - "taktlose Hervortreten politischer Emigranten" getadelt. Sogar Max Frisch stieß damals in dieses Horn. Der 27-Jährige schrieb im Juni 1938 in der Zeitschrift "Zürcher Student":
"Wir wollen eine Bühne, die der Kunst dient, nicht irgendeinem europäischen Block, und deren schweizerische Gesinnung außer jedem Verdacht steht. – Wenn wir das nicht vermögen: dann lieber gar keine!"
Mit Oskar Wälterlin hatte man einen Direktor gefunden, der die schweizerische Gesinnung garantieren sollte. 1895 in Basel geboren, hatte er dort seine Theaterlaufbahn begonnen und war 1933 an die Städtischen Bühnen nach Frankfurt am Main gegangen, wo er 1937 die Uraufführung von Carl Orffs "Carmina Burana" inszenierte. Er war kein politischer Theatermacher. Auch im nationalsozialistischen Deutschland glaubte er, in einem ästhetischen Freiraum wirken zu können und sah im Theater eine Möglichkeit, "die Politik durch das Menschliche zu überwinden". Seine Intendanz in Zürich eröffnete Wälterlin mit Shakespeare, das Publikum gewann er mit Schillers "Wilhelm Tell" – in der Titelrolle Heinrich Gretler.
Wilhelm Tell (Schauspielhaus Zürich 1939): "Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt. Fort musst du, deine Uhr ist abgelaufen. Ich lebte still und harmlos. Das Geschoss war auf des Waldes Tiere nur gerichtet. Meine Gedanken waren rein von Mord. Du hast aus meinem Frieden mich heraus geschreckt. Zum Ungeheuren hast Du mich gewöhnt."
Das war Antifaschismus im Sinne der geistigen Landesverteidigung, es ging vorrangig um die Freiheit des Kleinstaates. Mit solchen Aufführungen gelang es dem neuen Direktor, die Bühne der Emigranten auch zu einem Theater für die Einheimischen zu machen.
Im Ensemble war Oskar Wälterlin nach anfänglichem Misstrauen sehr beliebt, denn er war ein ausgleichender Direktor und ein liebevoller Regisseur. Nur dass er immer die Betonungen vorsagte, machte den Schauspielern manchmal Mühe und brachte ihm den Spitznamen, der "Betonierer" ein. Aber die Sprache der Dichter war Wälterlin wichtiger als inszenatorische Brillanz:
"Wir haben fest gehalten an unserem Streben nach einer Darstellung, die die Hintergründe durchsichtig macht, die Wirrnisse des Geschehens klärt und möglichst unter Verzicht auf äußere Effekte die Wahrheit zur Wirkung zu bringen sucht."
Als Regisseur stand Wälterlin oft im Schatten seiner Kollegen Kurt Horwitz, Leopold Lindtberg oder Leonard Steckel, die auch die Brecht-Uraufführungen in Zürich inszenierten. Er selbst brachte neben vielen Klassikern Stücke von Sartre, Steinbeck und Thornton Wilder auf die Bühne, so 1944 die deutschsprachige Erstaufführung von "Wir sind noch einmal davongekommen". Und er verhalf Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt zum Durchbruch als Dramatiker. 1956 inszenierte er die Uraufführung von "Der Besuch der alten Dame" mit Therese Giehse als Claire Zachanassian:
Der Besuch der alten Dame (Zürich 1956): "Du warst der Held meiner Jugend, der schwarze Panther meiner ersten Nächte, der mich verriet."
1961 ging Oskar Wälterlin als Direktor des Zürcher Schauspielhauses in Rente. Er wollte weiter arbeiten, als Leiter des Stadttheaters Basel und als freier Regisseur. Aber dann erlitt der Unermüdliche einen Herzinfarkt. Er starb in der Nacht vom 4. auf den 5. April 1961.