Christoph Quarch (geboren 1964 in Düsseldorf) ist Philosoph, Bestsellerautor, Redner, Denkbegleiter und Sinnstifter für Unternehmen. Er veranstaltet Philosophiereisen (u. a. mit "Zeit"-Reisen) und lehrt an mehreren Hochschulen. Er gilt als bodenständigster Philosoph Deutschlands und hat mit seinem 2014 erschienen Buch "Der kleine Alltagsphilosoph" das öffentliche Bewusstsein dafür geweckt, dass Philosophie mitten ins Leben gehört. Im Jahr 2019 initiierte und gründete er die neue Platonische Akademie (akademie_3) zur Entwicklung eines geistigen Paradigmas für das digitale Zeitalter.
Twittern reicht nicht
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Bei der vergangenen Bundestagswahl war nur jeder siebte, der zur Wahlurne ging, unter 30. Wer junge Menschen ansprechen will, muss im Netz aktiver sein, meint der Philosoph Christoph Quarch.
Das Internet ist grenzenlos, doch die Zeit der Nutzer ist begrenzt. Auch ihre Aufmerksamkeit hat Grenzen. Diese Binsenwahrheit stellt politische Macher vor neue Herausforderungen. Alle twittern, was das Zeug hält, präsentieren sich in sozialen Netzwerken oder versuchen sich mit einem eigenen YouTube-Kanal.
Besonders beliebt sind Podcasts: vom Auswärtigen Amt über die Bundestagsfraktion der Grünen bis zu Christian Lindner. Die Liste ist lang – doch der Erfolg bleibt aus. Ein paar Zahlen: Auf LinkedIn erfreut sich die SPD ganzer 600 Follower, die FDP vermeldet 1500 und die CDU 3000. Zum Vergleich: Der BMW-Group folgen 1,7 Millionen. Ähnlich sieht es bei YouTube aus: Den Video-Podcast der Bundeskanzlerin haben 51.000 Menschen abonniert; verglichen mit den 1,5 Millionen von YouTuber Rezo ist das verschwindend wenig.
Wenig Resonanz für Politiker im Netz
Oder nehmen wir Jan Böhmermann: Sein ZDF Magazin Royale haben auf YouTube knapp 900.000 Menschen abonniert. Einer davon ist mein 18-jähriger Sohn – ein politikinteressierter junger Mann. Er lässt sich keine Folge entgehen und diskutiert sie mit seinen Freunden.
Aber er käme nicht auf die Idee, sich einen Merkel-Podcast anzuschauen. Warum? Weil er eine Aversion gegen Personenkulte von Politikern ausgeprägt hat, weil er nichts daran authentisch findet, weil er alles schon hundertmal gehört zu haben glaubt. "Dort findet keine Meinungsbildung statt, sondern dort werden Meinungen verkündet", sagt mein Sohn.
Geschützter Raum für Meinungsaustausch
Was interessiert ihn dann – ihn, seine Generation und die digitale Öffentlichkeit? Derzeit strömt die Net-Community auf eine Plattform namens Clubhouse. Sie verspricht exklusive Räume, die man nur per Einladung betreten kann, dafür aber einen persönlichen Austausch der Teilnehmer in Aussicht stellen.
Nun ist der Betreiber von Clubhouse eine dubiose Gestalt und auch sonst ist die Plattform in vielerlei Hinsicht kritikwürdig. Ich erwähne sie aber, weil ihr Erfolg etwas zu erkennen gibt: die Sehnsucht nach einem geschützten Raum für authentische Gespräche. Das ist die Spur, der zu folgen, Politiker und politische Parteien guttäten.
Sie führt zu einer Rückbesinnung auf das Vital-Zentrum der Demokratie: die Meinungsbildung der Bürger. Demokratische Politik ist ja weit mehr als die Verwaltung der durch Wahlen auf eine Regierung übertragenen Macht.
Demokratische Politik ist eine nicht endende Konversation, ein ewiges Ringen um Antworten und Lösungen. Dafür aber braucht es das, was Jürgen Habermas den deliberativen Raum nennt: den Diskursraum für Bürgerinnen und Bürger. Digitale Orte zu öffnen und zu organisieren, in denen Meinungen nicht bloß monologisch verlautbart, sondern dialogisch gebildet werden. Darin liegen Chance und Aufgabe der politischen Akteure.
Digitale Angebote professionalisieren
Vor allem schlummert hier ein bislang ungenutztes Potenzial für die Parteien, deren Auftrag laut Parteiengesetz darin besteht, die öffentliche Meinungsbildung zu gestalten und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen zu sorgen.
Diesem Auftrag zu genügen, war eigentlich noch nie so einfach wie im digitalen Zeitalter. Jetzt ist es ein Leichtes, mit Hilfe von Konferenz-Software Gespräche zu organisieren, in denen Politiker und Bürger um Sachthemen ringen. Genügend Leute mit Expertise sollten die Parteien in ihren Reihen haben. Es müssen ja nicht immer Promis sein – wichtig wäre nur, Politik zum Mitmachen glaubhaft anzubieten: Labors lebendiger Meinungsbildung, Keimzellen echter Demokratie. Mein Sohn jedenfalls wäre dabei. Und auch die Wahlbeteiligung bei den Unter-Dreißigjährigen könnte steigen.