"Politik ist das Übel der Welt"
Auch mit 75 freut sich Hermann Nitsch, wenn seine Arbeit Staub aufwirbelt. Der österreichische Aktionist sieht sich als Religionsarchäologe. Dies sei früher als Blasphemie missverstanden worden. Politik hingegen interessiere ihn überhaupt nicht, so Nitsch.
Susanne Führer: Hermann Nitsch gilt als bedeutendster Wegbereiter des Wiener Aktionismus. Heute feiert der österreichische Künstler seinen 75. Geburtstag. Claudia Wheeler über Hermann Nitsch und sein Werk.
Am Geburtstag selbst wollten wir ihn nicht stören, also haben wir Hermann Nitsch gestern angerufen, und ich habe ihn gefragt, warum er eigentlich seit über 50 Jahren an seinem Orgien-Mysterien-Theater arbeitet, immer bei diesem Thema und bei diesem Stoff geblieben ist.
Hermann Nitsch: Das ist mein Lebenswerk. Das gibt es bei vielen Künstlern, dass eigentlich ihr Jugendwerk ihr Lebenswerk ist, und ich habe eigentlich die Sache so rund um 58 entwickelt, und habe sie immer weiter ausgebaut, bis heute.
Führer: Das hat ja damals in den 60er-Jahren unglaublich provoziert. Heute ist ja das gesellschaftliche Klima ein ganz anderes als damals.
Nitsch: Ich glaube, meine Arbeit und die Arbeit meiner Kollegen hat viel dazu beigetragen, dass sich das ganze Theater überhaupt verändert hat. Das Regietheater wäre ohne uns nicht möglich gewesen.
Führer: Aber jetzt gibt es das Regietheater und Sie machen trotzdem weiter.
Nitsch: Ich glaube, meine Sache ist wesentlich stärker und kompetenter. Das Regietheater ist eben eine Domestizierung eines wahren Theaters, und eine Abflachung.
Führer: Warum ist Ihre Sache wesentlich stärker? Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Kunst?
Am Geburtstag selbst wollten wir ihn nicht stören, also haben wir Hermann Nitsch gestern angerufen, und ich habe ihn gefragt, warum er eigentlich seit über 50 Jahren an seinem Orgien-Mysterien-Theater arbeitet, immer bei diesem Thema und bei diesem Stoff geblieben ist.
Hermann Nitsch: Das ist mein Lebenswerk. Das gibt es bei vielen Künstlern, dass eigentlich ihr Jugendwerk ihr Lebenswerk ist, und ich habe eigentlich die Sache so rund um 58 entwickelt, und habe sie immer weiter ausgebaut, bis heute.
Führer: Das hat ja damals in den 60er-Jahren unglaublich provoziert. Heute ist ja das gesellschaftliche Klima ein ganz anderes als damals.
Nitsch: Ich glaube, meine Arbeit und die Arbeit meiner Kollegen hat viel dazu beigetragen, dass sich das ganze Theater überhaupt verändert hat. Das Regietheater wäre ohne uns nicht möglich gewesen.
Führer: Aber jetzt gibt es das Regietheater und Sie machen trotzdem weiter.
Nitsch: Ich glaube, meine Sache ist wesentlich stärker und kompetenter. Das Regietheater ist eben eine Domestizierung eines wahren Theaters, und eine Abflachung.
Führer: Warum ist Ihre Sache wesentlich stärker? Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Kunst?
"Konfrontation mit Abgründen, mit dem Tod"
Nitsch: Intensität, ich würde sagen, sinnliche Intensität, eine Konfrontation mit Abgründen, mit dem Tod, mit Leid und mit dem gleichzeitigen Versuch, das alles mehr oder weniger zu überwinden.
Führer: Und welchen Anspruch haben Sie an Ihr Publikum?
Nitsch: Ich würde sagen, ein Publikum, das bereit ist, sich intensivsten Eindrücken hinzugeben.
Führer: In den 60er- und 70er-Jahren, da waren Sie ja einer der umstrittensten und angefeindetsten Künstler überhaupt. Sie mussten ja mehrfach ins Gefängnis sogar wegen Ihrer Kunst. Was haben ihnen eigentlich damals die Kritik und diese scharfen Proteste bedeutet?
Nitsch: Wir haben gemerkt: Wir müssen ähnlich stark sein, wie es eben Schönberg war, wie es Bruckner war, oder wie es auch Richard Wagner war. Wir haben uns gedacht, unsere Sache ist so intensiv, dass man sich von Staats wegen wehren musste - gegen uns oder gegen mich.
Führer: Inzwischen haben Sie ja den österreichischen Staatspreis erhalten. Ist das jetzt schöner?
Nitsch: Das ist mir wurscht.
Führer: Ist Ihnen Wurst.
Nitsch: Ich schätze es überhaupt nicht, wenn Künstler sich Kataloge drucken, und da steht ein Preis neben dem anderen. Das ist nur ein Zeichen für Angepasstheit.
Führer: Daraus schließe ich dann, dass, als es … Jetzt im Juni, da haben Sie ja das OMT, das Orgien-Mysterien-Theater, noch einmal aufgeführt, in Leipzig am Zentraltheater, da gab es dann noch mal Demonstrationen und Proteste vor dem Zentraltheater – das muss Sie dann ja gefreut haben?
Nitsch: Das hat mich eher geärgert, weil das alles umständlicher gemacht hat. Ich denke, dass diese dummen Zeiten vorbei sein sollte. Aber das ist nicht der Fall. Und wenn eine Arbeit noch immer Staub aufwirbelt, dann ist das gut.
Führer: Ich finde ja bemerkenswert, dass heute Ihre Arbeit, … also wenn sie überhaupt noch Proteste provoziert, dann geht es um die Ausweidung der Tiere, und an den religiösen Ritualen stört sich kaum noch jemand. Da hat sich ja doch sehr was geändert in den vergangenen 50 Jahren, oder?
Führer: Und welchen Anspruch haben Sie an Ihr Publikum?
Nitsch: Ich würde sagen, ein Publikum, das bereit ist, sich intensivsten Eindrücken hinzugeben.
Führer: In den 60er- und 70er-Jahren, da waren Sie ja einer der umstrittensten und angefeindetsten Künstler überhaupt. Sie mussten ja mehrfach ins Gefängnis sogar wegen Ihrer Kunst. Was haben ihnen eigentlich damals die Kritik und diese scharfen Proteste bedeutet?
Nitsch: Wir haben gemerkt: Wir müssen ähnlich stark sein, wie es eben Schönberg war, wie es Bruckner war, oder wie es auch Richard Wagner war. Wir haben uns gedacht, unsere Sache ist so intensiv, dass man sich von Staats wegen wehren musste - gegen uns oder gegen mich.
Führer: Inzwischen haben Sie ja den österreichischen Staatspreis erhalten. Ist das jetzt schöner?
Nitsch: Das ist mir wurscht.
Führer: Ist Ihnen Wurst.
Nitsch: Ich schätze es überhaupt nicht, wenn Künstler sich Kataloge drucken, und da steht ein Preis neben dem anderen. Das ist nur ein Zeichen für Angepasstheit.
Führer: Daraus schließe ich dann, dass, als es … Jetzt im Juni, da haben Sie ja das OMT, das Orgien-Mysterien-Theater, noch einmal aufgeführt, in Leipzig am Zentraltheater, da gab es dann noch mal Demonstrationen und Proteste vor dem Zentraltheater – das muss Sie dann ja gefreut haben?
Nitsch: Das hat mich eher geärgert, weil das alles umständlicher gemacht hat. Ich denke, dass diese dummen Zeiten vorbei sein sollte. Aber das ist nicht der Fall. Und wenn eine Arbeit noch immer Staub aufwirbelt, dann ist das gut.
Führer: Ich finde ja bemerkenswert, dass heute Ihre Arbeit, … also wenn sie überhaupt noch Proteste provoziert, dann geht es um die Ausweidung der Tiere, und an den religiösen Ritualen stört sich kaum noch jemand. Da hat sich ja doch sehr was geändert in den vergangenen 50 Jahren, oder?
"Nicht an Blasphemien interessiert"
Nitsch: Ich glaube, man hat eingesehen, dass ich nicht an Blasphemien interessiert bin, dass ich eher ein Religionsarchäologe bin, und dass ich einen phänomenologischen Zugang zu allen Religionen der Welt habe.
Führer: Ich dachte, die Erklärung ist vielleicht eher, dass das Religiöse heute in unserer Gesellschaft nicht mehr so eine wichtige Rolle spielt, dass es einfach nicht mehr provoziert, wenn in Ihrem Orgien-Mysterien-Theater, Schauspieler ans Kreuz genagelt werden.
Nitsch: Na ja, das ist verschieden. Die Mohammedaner, die sind sehr streng, und wenn man da nicht aufpasst, kann es sehr gefährlich werden. Unsere Religion ist mehr oder weniger sehr harmlos geworden.
Führer: Sagt der Künstler Hermann Nitsch im Deutschlandradio Kultur. Herr Nitsch, wie nehmen Sie eigentlich die zeitgenössische Kunst wahr?
Nitsch: Wenn man selber Künstler ist, hat man nicht die Objektivität, die zeitgenössische Kunst richtig einzuschätzen. Ich bin so beschäftigt mit meiner eigenen Arbeit, dass ich eigentlich blind bin, für das, was um mich herum sich ereignet.
Führer: Ich habe so gedacht, Sie haben ja damals sehr provoziert, jetzt gibt es einen anderen Künstler, Jonathan Meese, der wegen des Zeigens des Hitlergrußes vor Gericht steht. Ist das für Sie ein Seelenverwandter oder ist das etwas, was Ihnen ganz fremd ist?
Nitsch: Mich hat Politik nie interessiert. Politik ist das Übel der Welt.
Führer: Es gibt ja ein Hermann-Nitsch-Museum in Österreich, was man verstehen kann, das ist Ihre Heimat, aber es gibt auch ein Hermann-Nitsch-Museum in Neapel, da habe ich mich gefragt: Wie kommt es dazu? Welche Verbindung haben Sie nach Neapel?
Führer: Ich dachte, die Erklärung ist vielleicht eher, dass das Religiöse heute in unserer Gesellschaft nicht mehr so eine wichtige Rolle spielt, dass es einfach nicht mehr provoziert, wenn in Ihrem Orgien-Mysterien-Theater, Schauspieler ans Kreuz genagelt werden.
Nitsch: Na ja, das ist verschieden. Die Mohammedaner, die sind sehr streng, und wenn man da nicht aufpasst, kann es sehr gefährlich werden. Unsere Religion ist mehr oder weniger sehr harmlos geworden.
Führer: Sagt der Künstler Hermann Nitsch im Deutschlandradio Kultur. Herr Nitsch, wie nehmen Sie eigentlich die zeitgenössische Kunst wahr?
Nitsch: Wenn man selber Künstler ist, hat man nicht die Objektivität, die zeitgenössische Kunst richtig einzuschätzen. Ich bin so beschäftigt mit meiner eigenen Arbeit, dass ich eigentlich blind bin, für das, was um mich herum sich ereignet.
Führer: Ich habe so gedacht, Sie haben ja damals sehr provoziert, jetzt gibt es einen anderen Künstler, Jonathan Meese, der wegen des Zeigens des Hitlergrußes vor Gericht steht. Ist das für Sie ein Seelenverwandter oder ist das etwas, was Ihnen ganz fremd ist?
Nitsch: Mich hat Politik nie interessiert. Politik ist das Übel der Welt.
Führer: Es gibt ja ein Hermann-Nitsch-Museum in Österreich, was man verstehen kann, das ist Ihre Heimat, aber es gibt auch ein Hermann-Nitsch-Museum in Neapel, da habe ich mich gefragt: Wie kommt es dazu? Welche Verbindung haben Sie nach Neapel?
"Die Italiener mochten immer meine Arbeit"
Nitsch: Ich habe zu Neapel durch den Galeristen und Verleger Beppe Morra immer einen großen Zugang gehabt. Und er hat mich immer gefördert, immer wieder große Veranstaltungen in Italien durchgezogen. Die Italiener mit ihrer Liebe zum Spektakel, die mochten immer meine Arbeit. Und auch das Blutige und Fleischnahe, das ist besonders in Neapel verstanden worden.
Führer: Sie haben Ihren 70. Geburtstag vor fünf Jahren mit einem Sechs-Tage-Spiel gefeiert, also es gab sechs Tage Orgie sozusagen auf dem Grundstück Ihres Schlosses Prinzendorf bei Wien. Was haben Sie jetzt zum 75. geplant, Herr Nitsch?
Nitsch: Na ja, den Sonnenaufgang verschlafen und den Sonnenuntergang zusammen mit Weingenuss erleben, und mit einigen Freunden.
Führer: Schön. Ich danke Ihnen für die Zeit, Herr Nitsch, und wünsche Ihnen einen sehr schönen Geburtstag mit gutem Wein.
Nitsch: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Führer: Sie haben Ihren 70. Geburtstag vor fünf Jahren mit einem Sechs-Tage-Spiel gefeiert, also es gab sechs Tage Orgie sozusagen auf dem Grundstück Ihres Schlosses Prinzendorf bei Wien. Was haben Sie jetzt zum 75. geplant, Herr Nitsch?
Nitsch: Na ja, den Sonnenaufgang verschlafen und den Sonnenuntergang zusammen mit Weingenuss erleben, und mit einigen Freunden.
Führer: Schön. Ich danke Ihnen für die Zeit, Herr Nitsch, und wünsche Ihnen einen sehr schönen Geburtstag mit gutem Wein.
Nitsch: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.