Politik ist unser Schicksal
1945 trafen im sowjetischen Badeort Jalta drei Weltpolitiker zusammen, um den Globus nach dem Krieg neu zu ordnen: Churchill, Roosevelt und Stalin. Lucas Svenssons Stück nimmt sich dieses historische Ereignis zum Vorbild, zieht die Figuren teils ins Lächerliche, macht aber die Konsequenzen ihres Unterfangens für Hunderte Millionen Menschen überdeutlich. Gelungen!
"Die Frage ist doch, wer sind die Freunde der Demokratie und wie ist das Wort 'Demokratie' zu interpretieren?" lautet programmatisch der erste Satz von Lucas Svenssons "Jalta" - die Frage reicht Lucas Svensson an sein Publikum weiter, er hat eine radikal demokratische Komödie geschrieben.
Jalta, obwohl nur eine kleine Stadt auf der Krim, ist berühmt. 1945 trafen sich in dem damals sowjetischen mondänen Badeort Roosevelt, Churchill und als Gastgeber Stalin, um die Welt nach der absehbaren Niederlage des Deutschen Reichs neu zu ordnen. Genau das ist das Sujet von Lucas Svenssons "Jalta".
Svensson (40), ein schwedischer Dramatiker, der noch dabei ist, sich einen Namen zu machen, charakterisiert seine Figuren einfach, fast simpel. Alle sind von der verantwortungsvollen Aufgabe völlig überfordert: Stalin ist offenbar schwer gemütskrank, vermutlich sogar verrückt; Churchill trinkt viel zu viel und leidet unter kindischen Anwandlungen, ähnlich wie Roosevelt, dem geographische Kenntnisse fehlen; fatal, wenn man Europa neu aufteilen soll. Eigentlich möchte Roosevelt das gar nicht, er würde es gern Fachleuten überlassen - zumal er stark mit sich selbst beschäftigt ist. Sein Selbstwertgefühl hat schrecklich gelitten, nachdem er an Kinderlähmung erkrankt ist. Eine Steilvorlage für Stalin, der sich gern durchsetzt.
Svensson ordnet seinen drei Hauptpersonen drei Attachés zu: Lavrentij ist Stalin hündisch ergeben, im Wortsinn, er nimmt es sogar hin, dass der Diktator, aus einer Laune heraus, Lavrentijs Frau ermorden lässt. Harry verachtet seinen Chef Roosevelt, er hat längst dessen brüchiges Selbstbewusstsein erkannt und schmiert ihm, wenn der Präsident das braucht, Honig ums Maul. Smith überwacht den Whiskey-Konsum von Churchill, nicht immer erfolgreich. Smiths Versuche, Churchills Fehler zu korrigieren, scheitern, weil der Chef sich natürlich nicht von einem Nachgeordneten dreinreden lassen kann. Nie! Prinzipiell!
Es geht um viel, Svensson rückt das Schicksal Polens in den Mittelpunkt. Die Polen fallen in die sowjetische Einflusssphäre, weil Churchill nicht aufpasst, überfordert oder/und einfach (zu) betrunken ist. Stalin haut ihn übers Ohr.
Ist das nun ein Stoff für eine Komödie? Ist es nicht vielmehr eine Tragödie, wenn die Völker der Welt dem Urteil von zwei kindischen alten Männern und einem Verrückten ausgesetzt sind?
Die Inszenierung von Staffan Valdemar Holm (55) gibt dem Dramatiker zunächst recht, der sein Schauspiel als Komödie bezeichnet. Es ist ein Vergnügen, überlebensgroßen Staatsmännern dabei zuzusehen, wie sie Stück für Stück vom Sockel geholt werden. Dazu hatte Regisseur Holm eine feministischsatanische Idee: Er lässt fast alle Rollen von Frauen spielen. Wie allgemein bekannt, vor allem in Männerkreisen, die es schmerzlich am eigenen Leib erfahren, gibt es keine scharfsinnigeren Kritiker des starken Geschlechts als Frauen. Sie wissen alles - und was sie nicht wissen, ahnen sie. Welche schauspielerischen Finessen nun Imogen Kogge (Churchill), Karin Pfammatter (Rossevelt), Stina Ekblad (Stalin) und ihre Spießgesellinnen ersonnen haben, um diese starken Männer auf Normalmaß zurückzustutzen, das ist ein Spaß - und ein Vergnügen, geistreichen Schauspielerinnen, die zu den Spitzen ihres Fachs gehören, zuzuschauen.
Nach der ersten Hälfte kippt die Komödie, sie wird rätselhaft, absurd, bekommt tragische Züge. Kein Wunder, wenn die führenden Politiker von ihren Aufgaben überfordert werden. Eine Schlüsselszene spielt im Zwielicht. Ein Kellner kommt auf die Bühne, auf seinem silbernen Tablett trägt er einen Totenschädel. Das Bild erinnert an Hamlet. Der Kellner geht zur Rampe und setzt den Totenschädel nieder auf den Boden. Stalin tritt ein, betrachtet von fern den Totenkopf und kommt dann näher, betrachtet ihn ganz genau. Er scheint fasziniert. Eine rätselhafte Szene, die vom Verhältnis des Diktators zum Tod wie zum Leben handelt.
Am Anfang wirft Churchill die Frage nach der Demokratie auf, und am Ende wird sie mit den gleichen Worten wiederholt - dringlich. Wir, die Zuschauer, sollten sie beantworten, denn die Politik ist unser aller Schicksal. Am Vortag der Bundestagswahl war das eine Mahnung, vielleicht sogar eine Warnung - in der Uraufführungsinszenierung von Staffan Valdemar Holm wirkt sie dringlich. Unabweisbar. Der Autor, sein Regisseur und das bestens aufgelegte Ensemble können einhelligen, lang anhaltenden Beifall verbuchen. Verdient für eine herausragende Uraufführung!
Hoffentlich hört man bald wieder von Lucas Svensson - sein Stück hat auch im Großen Haus seine Bühnenwirksamkeit überzeugend unter Beweis gestellt.
Mehr Infos im Netz:
Düsseldorfer Schauspielhaus
Jalta, obwohl nur eine kleine Stadt auf der Krim, ist berühmt. 1945 trafen sich in dem damals sowjetischen mondänen Badeort Roosevelt, Churchill und als Gastgeber Stalin, um die Welt nach der absehbaren Niederlage des Deutschen Reichs neu zu ordnen. Genau das ist das Sujet von Lucas Svenssons "Jalta".
Svensson (40), ein schwedischer Dramatiker, der noch dabei ist, sich einen Namen zu machen, charakterisiert seine Figuren einfach, fast simpel. Alle sind von der verantwortungsvollen Aufgabe völlig überfordert: Stalin ist offenbar schwer gemütskrank, vermutlich sogar verrückt; Churchill trinkt viel zu viel und leidet unter kindischen Anwandlungen, ähnlich wie Roosevelt, dem geographische Kenntnisse fehlen; fatal, wenn man Europa neu aufteilen soll. Eigentlich möchte Roosevelt das gar nicht, er würde es gern Fachleuten überlassen - zumal er stark mit sich selbst beschäftigt ist. Sein Selbstwertgefühl hat schrecklich gelitten, nachdem er an Kinderlähmung erkrankt ist. Eine Steilvorlage für Stalin, der sich gern durchsetzt.
Svensson ordnet seinen drei Hauptpersonen drei Attachés zu: Lavrentij ist Stalin hündisch ergeben, im Wortsinn, er nimmt es sogar hin, dass der Diktator, aus einer Laune heraus, Lavrentijs Frau ermorden lässt. Harry verachtet seinen Chef Roosevelt, er hat längst dessen brüchiges Selbstbewusstsein erkannt und schmiert ihm, wenn der Präsident das braucht, Honig ums Maul. Smith überwacht den Whiskey-Konsum von Churchill, nicht immer erfolgreich. Smiths Versuche, Churchills Fehler zu korrigieren, scheitern, weil der Chef sich natürlich nicht von einem Nachgeordneten dreinreden lassen kann. Nie! Prinzipiell!
Es geht um viel, Svensson rückt das Schicksal Polens in den Mittelpunkt. Die Polen fallen in die sowjetische Einflusssphäre, weil Churchill nicht aufpasst, überfordert oder/und einfach (zu) betrunken ist. Stalin haut ihn übers Ohr.
Ist das nun ein Stoff für eine Komödie? Ist es nicht vielmehr eine Tragödie, wenn die Völker der Welt dem Urteil von zwei kindischen alten Männern und einem Verrückten ausgesetzt sind?
Die Inszenierung von Staffan Valdemar Holm (55) gibt dem Dramatiker zunächst recht, der sein Schauspiel als Komödie bezeichnet. Es ist ein Vergnügen, überlebensgroßen Staatsmännern dabei zuzusehen, wie sie Stück für Stück vom Sockel geholt werden. Dazu hatte Regisseur Holm eine feministischsatanische Idee: Er lässt fast alle Rollen von Frauen spielen. Wie allgemein bekannt, vor allem in Männerkreisen, die es schmerzlich am eigenen Leib erfahren, gibt es keine scharfsinnigeren Kritiker des starken Geschlechts als Frauen. Sie wissen alles - und was sie nicht wissen, ahnen sie. Welche schauspielerischen Finessen nun Imogen Kogge (Churchill), Karin Pfammatter (Rossevelt), Stina Ekblad (Stalin) und ihre Spießgesellinnen ersonnen haben, um diese starken Männer auf Normalmaß zurückzustutzen, das ist ein Spaß - und ein Vergnügen, geistreichen Schauspielerinnen, die zu den Spitzen ihres Fachs gehören, zuzuschauen.
Nach der ersten Hälfte kippt die Komödie, sie wird rätselhaft, absurd, bekommt tragische Züge. Kein Wunder, wenn die führenden Politiker von ihren Aufgaben überfordert werden. Eine Schlüsselszene spielt im Zwielicht. Ein Kellner kommt auf die Bühne, auf seinem silbernen Tablett trägt er einen Totenschädel. Das Bild erinnert an Hamlet. Der Kellner geht zur Rampe und setzt den Totenschädel nieder auf den Boden. Stalin tritt ein, betrachtet von fern den Totenkopf und kommt dann näher, betrachtet ihn ganz genau. Er scheint fasziniert. Eine rätselhafte Szene, die vom Verhältnis des Diktators zum Tod wie zum Leben handelt.
Am Anfang wirft Churchill die Frage nach der Demokratie auf, und am Ende wird sie mit den gleichen Worten wiederholt - dringlich. Wir, die Zuschauer, sollten sie beantworten, denn die Politik ist unser aller Schicksal. Am Vortag der Bundestagswahl war das eine Mahnung, vielleicht sogar eine Warnung - in der Uraufführungsinszenierung von Staffan Valdemar Holm wirkt sie dringlich. Unabweisbar. Der Autor, sein Regisseur und das bestens aufgelegte Ensemble können einhelligen, lang anhaltenden Beifall verbuchen. Verdient für eine herausragende Uraufführung!
Hoffentlich hört man bald wieder von Lucas Svensson - sein Stück hat auch im Großen Haus seine Bühnenwirksamkeit überzeugend unter Beweis gestellt.
Mehr Infos im Netz:
Düsseldorfer Schauspielhaus