Gesine Palmer, geboren 1960 in Schleswig-Holstein, ist Religionsphilosophin. Sie studierte evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. 2007 gründete sie in Berlin das "Büro für besondere Texte" und arbeitet seither als Autorin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihr wiederkehrendes Thema sind Religion, Psychologie und Ethik – im Kleinklein der menschlichen Beziehungen wie im Großgroß der Politik.
Wie Katholiken und Protestanten einander nerven
In der Politik seien katholische Männer auf ausdauernde Protestantinnen oft zornig, weil alles an ihnen abprallt, meint Religionsphilosophin Gesine Palmer. Der schönste Versuch einer Demütigung wirke lächerlich, wenn die Gemeinte sich nicht getroffen fühlt.
Wenn man nicht so genau weiß, was von einer Sache zu halten sei, ist ein gutes Vorurteil immer noch besser als gar kein Argument.
Einst, als die Bundesrepublik Deutschland in einem so selig provinziellen Schlummer lag, dass nicht nur die Jugend mehr Welt herbeisehnte, halfen Vorurteile vorzugsweise im Umgang mit anderen Deutschen. Wenn damals die besorgten Eltern vor religiösen Mischehen warnten, meinten sie das Wagnis einer Ehe zwischen einem Katholiken und einer Protestantin. Wer das später noch für ein ernstes Problem halten wollte, machte sich lächerlich. Dachte ich. Bis vor ein paar Wochen. Dass ich mir jetzt nicht mehr so sicher bin, hat auch mit Politik zu tun.
Fangen wir mit den Vorurteilen an über katholische Männer und protestantische Frauen. An sich streben in der Politik beide nach Macht, wie alle Welt, und sie teilen auch das Ideal: Wer Macht hat, gebrauche sie mit Demut und möglichst unprätentiös. Aber wenn es ums Detail geht, verhalten sich der Katholik und die Protestantin doch sehr unterschiedlich.
Notfalls die Frechheiten der anderen ertragen
Sagen Sie einer Protestantin, dass sie mit ihrer immer nur auf Sachlichkeit fixierten Sprödigkeit nervt. Sogleich wird sie entweder sich rechtfertigen oder ihr Bedauern ausdrücken und ab sofort auf die Einhaltung der geforderten Genusspflicht achten. Das nervt natürlich erst recht. Ist aber kaum abzustellen, außer um den Preis der Tugenden, die wir an Protestantinnen doch durchaus schätzen: Disziplin, Sachlichkeit, Ehrlichkeit und eine – bisweilen übermäßige – Bereitschaft, an sich zu arbeiten. Notfalls die Frechheiten der anderen zu ertragen und noch stolz darauf zu sein.
Und nun wenden Sie sich an einen gutsituierten Katholiken Ihres Vertrauens. Sagen Sie ihm, wenn er mal wieder großspurig klagt, ohne zu leiden, dass seine katholische Art Sie nervt. Was wird er antworten? Dass Ihr Protestantismus ein Irrweg sei, der Sie leider von der Wahrheit ein Stück entfernt habe. Dass Sie die Gründe seines Leidens eben nicht begreifen. Auch wenn Sie tausendmal Recht haben, können Sie ihm diese selbstzweifelarme Brustton-der-Überzeugungs-Haltung nicht abgewöhnen. Oder Sie müssten auch seine Tugenden gleich mit abschaffen, die man, Vorurteil hin oder her, an Katholiken schätzt: allen voran die gewisse Humanität. Diese beruht auf dem Vertrauen, dass Gott einen fröhlichen Sünder lieb habe – und dem tiefen Wissen, dass Ideale nur halten kann, wer sie nicht allzu ernsthaft zu verwirklichen versucht.
Der Konflikt zwischen beiden Haltungen liegt auf der Hand. Bleibt er trotzdem unerkannt, so kann das weitreichende Folgen haben. Und damit komme ich von den Vorurteilen zur Politik.
In der Politik wird der Konflikt zur Farce
Auch dort sind katholische Männer – nehmen wir Horst S. – auf ausdauernde Protestantinnen – wie Angela M. – oft furchtbar zornig. Weil alles an ihnen abprallt. Selbst der schönste Versuch einer Demütigung wirkt lächerlich, wenn die Gemeinte sich nicht getroffen fühlt, sondern nur sturer bei ihrer Sache bleibt. Die Protestantin ihrerseits kann nicht leugnen, wie eng der katholische Mann ihren Handlungsspielraum begrenzt. Jeder Versuch, ihn protestantisch umzuerziehen, ist zum Scheitern verurteilt und weckt nur neuen Zorn. Ist das nun Tragödie oder Farce?
Machen wir zur Probe aus all den Vorurteilen ein Argument. Es lautet: Wenn ein katholischer Mensch sich frei fühlt, indem er das eine sagt und klammheimlich das andere tut, dann ist jeder protestantische Versuch zwecklos, Gesagtes und Getanes zusammenzubringen. Es bleibt auch sinnlos, die eine Seite in der anderen aufgehen lassen zu wollen. Katholiken und Protestanten haben nicht ohne Grund unterschiedliche Kulturen entwickelt.
Es ist ja richtig: Protestanten und Katholiken haben trotz aller Differenzen gemeinsam unsere Demokratie samt Religionsfreiheit aufgebaut, gemeinsam auch mit vielen anderen. Das ist ein nachhaltiger Erfolg. Der verdankt sich allerdings vor allem einer stillen Kooperation auf Arbeitsebene. Nicht dem festen Willen zur Ökumene in einem repräsentativen Mismatch.