Machermythen und Mythenmacher
Je höher ein Politiker auf der Karriereleiter steht, desto größer ist sein Beraterstab. Regierungssprecher, Experten und persönliche Vertraute entwerfen Strategien - und auch ein Vokabular, mit dem ihr Kandidat die Wähler überzeugen soll. Was genau machen Politikerberater?
Bela Anda: "Also es gibt ein, zwei Mitarbeiter, mit denen kann ein Kanzler dann wirklich alles, oder fast alles besprechen. Und dann gibt es ausgewählte ... Berater, mit denen er ausgewählte Dinge bespricht."
Ole von Beust: "Die spiegeln quasi Ihr Gehirn wider. Also da gibt’s welche, die sind quasi für Hochschule zuständig, andere für Bildung, andere für Straßenbau, Dritte für Hochbau. Also die ganzen Segmente, die es in einer Stadt- oder auch Bundesverwaltung gibt, spiegeln sich quasi wider in diesem Planungsstab und das sind eigentlich Ihre besten und wichtigsten Leute, die Sie zur Beratung haben."
Christina Schwarzer "Das ist eben so im Bundestagsgeschäft, weil man kann tatsächlich nicht alle Themen kennen. Das funktioniert schlicht nicht, weil dann wäre ich von morgens bis abends mit nichts anderem beschäftigt als Vorlagen zu lesen."
Dominik Meier: "Berater haben keine Macht, Berater haben nur Nähe. Spezifische Nähe zur Kandidatin oder zum Kandidaten. Das gibt sozusagen, wenn die Kandidatinnen ihnen vertrauen, eine unheimliche Vertrauensstellung."
Ein schlichtes Gebäude in der Hamburger Innenstadt nahe der Binnenalster. Hier, im fünften Stock, hat der ehemalige Erste Bürgermeister der Stadt, Ole von Beust, sein Büro. Knapp zehn Jahre – von 2001 bis 2010 - hat CDU-Mann von Beust in Hamburg regiert. Stets unterstützt von einem engen Kreis an Beratern.
Ole von Beust: "Sie brauchen zumindest als Politiker in Führungsverantwortung Berater, weil Sie schlichtweg nicht alles selber wissen können. Also wenn ich von mir zum Beispiel rede, ich bin Jurist, bevor ich in die Politik gegangen war, hab ich elf Jahre als Anwalt gearbeitet, aber zum Beispiel in einer Politik, einer Stadt wie Hamburg geht es um Fragen des Baus, des Straßenbaus, des Wohnungsbaus, geht’s um Fragen des Bildungssystems, der Hochschulen. Also Sie ham ja alle Bereiche des Lebens, auf die die Politik irgendwie Einfluss hat, müssen Sie sich eine Meinung bilden und auf Grund Ihrer Vorbildung können Sies gar nicht. Also brauchen Sie jemanden oder welche, die Sie einmal inhaltlich ja fit machen dafür und Ihnen auch Entscheidungsvarianten aufzeigen, welche Möglichkeiten es gibt sich zu entscheiden. Die letzte liegt dann natürlich bei Ihnen oder bei den Gremien, die entscheiden."
Spitzenpolitiker haben einen Stab von Fachleuten um sich
Je höher ein Politiker aufsteigt, desto mehr Themen prasseln auf ihn ein und umso mehr Entscheidungen muss er treffen und für sie auch die Verantwortung tragen. Wer zum Bürgermeister einer Großstadt, zum Ministerpräsidenten oder gar zum Kanzler gewählt wird, für den ist das allein nicht mehr zu schaffen. Spitzenpolitiker in solchen Positionen haben deshalb einen ganzen Stab an Fachleuten um sich, die sie inhaltlich unterstützen. Ein Politiker, so könnte man sagen, ist, ist nur so kompetent, wie das geballte Wissen seiner Berater.
Ole von Beust: "Da sitzen, ich weiß gar nicht wie viele, 20,30 erfahrene Damen und Herren drin, überwiegend erfahrene, hochqualifizierte Beamte, die dem Bürgermeister zuarbeiten. Das heißt, wenn irgendein Anliegen auf Sie zugetragen wird, sei es von einem Bürger oder von einer Kammer oder von einem Verein ... geht das erstmal zu denen, die ne inhaltliche Einschätzung der Sache vornehmen, also: Wie ist das aus deren Sicht? Gibt’s das irgendwo anders auch? Was kostet das? Welche Risiken sind damit verbunden?
Und auf Grund dessen beginnt man sich ein Urteil zu bilden, das ist die erste Stufe...."
Und auf Grund dessen beginnt man sich ein Urteil zu bilden, das ist die erste Stufe...."
Erklärt Ole von Beust. Doch oft ist es nicht allein die fachliche oder inhaltliche Beratung, die Politiker in Spitzenämtern suchen.
Ole von Beust: "… und die nächste Stufe ist … sich dann zu beraten mit Leuten aus der näheren Umgebung, auf deren Urteil man großen Wert legt und da hat jeder unterschiedliche Maßstäbe. Es gibt sicherlich einige, die beraten sich mit ihren persönlichen Referenten oder mit ihrer Sekretärin oder ihrem Sekretär, andere mit dem Chef der Staats- oder Senatskanzlei …. Da sind Sie relativ frei."
Die kleinen Beratungsrunden heißen Küchenkabinett
Küchenkabinett heißen diese kleinen Runden. Meist gehört auch der Pressesprecher zu diesem ausgewählten Kreis.
Für Hamburgs ehemaligen Bürgermeister Ole von Beust, war neben diesem engen Zirkel aus Vertrauten auch sein Vater jahrelang einer seiner wichtigsten persönlichen Berater.
Ole von Beust: "… mein Vater war n sehr sehr politischer Mensch, der auch an der Spitze der Verwaltung gearbeitet hat. Der hat mich während meiner Amtszeit, bis er dann gestorben ist mit 89, sehr sehr gut beraten sogar. Weil er die Menschenkenntnis hatte, mich kannte, auch ohne sozusagen aus seinem Gewissen und der Liebe zu mir beraten hat, aber nicht weil er irgendwas wollte oder irgendein Ziel erreichen wollte und sehr erfahren war. Und ich nehme an, es gibt viele, die noch im persönlichen Bereich irgendjemanden haben, auf dessen Urteil sie großen Wert legen und dem sie auch mal Entscheidungen zur Begutachtung, wenn Sie so wollen, vorlegen."
Manchmal, das gibt Ole von Beust unumwunden zu, hat er auch Ratschläge angenommen, die sich im Nachhinein als falsch erwiesen haben.
Ole von Beust: "Also ein klassisches Beispiel ist im Nachhinein die Art und Weise glaube ich, nicht die grundsätzliche Entscheidung, aber die Verwirklichung der Entscheidung in Sachen Elbphilharmonie. Weil wir uns da einig zum Beispiel waren, man braucht das Gebäude nicht komplett auszuschreiben, sondern nur in groben Zügen. Was dazu geführt hat, dass im Zuge des Baus immer neue Kosten entstanden sind, die man sich hätte sparen können, wenn man von Anfang an alles detailgenau aufgeschrieben hätte. Aber es war damals die Meinung auch aller Fachleute es geht nicht, weil es ein so völlig neues, einzigartiges Bauwerk ist, das kann man gar nicht alles prognostizieren, da würde ich sagen, da wär ich im Nachhinein klüger jetzt."
Enge Berater genießen das Vertrauen "ihres" Politikers. Sie sind diskret und nur diejenigen, die es aushalten, trotz ihres Anteils an den Erfolgen ihres Chef oder ihrer Chefin im Hintergrund zu wirken, bleiben wirklich lange dabei.
Beate Baumann, die Büroleiterin von Angela Merkel gehört seit 1995 dazu. Seitdem leitet sie Merkels Büro. Damals war die heutige Kanzlerin noch Bundesumweltministerin. Welch großen Einfluss Baumann hatte und bis heute hat, ist nur in Anekdoten überliefert, die man sich über das Verhältnis der beiden Frauen erzählt. Ist Merkel auf Reisen, sollen sie und Baumann mehrmals täglich telefonieren. Interviews lehnt Beate Baumann grundsätzlich ab.
Für Politiker ist es oft nicht einfach, solch integre und langjährige Mitarbeiter und Berater zu finden und auch zu behalten.
Bela Anda: "Eigentlich ist die Regel in Berlin: Wenn sich Drei treffen, ist das schon in der Regel einer zu viel. Weil die potentielle Gefahr ist, dass immer einer plaudert."
…sagt der ehemalige Regierungssprecher von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bela Anda. Knapp sechs Jahre war Anda zunächst stellvertretender Regierungssprecher und später dann Regierungssprecher und damit Teil des engsten Beraterkreises des Kanzlers.
Als Anda diesen Posten antrat, kannten er und Schröder sich schon knapp sieben Jahre: Als Reporter der BILD-Zeitung hatte Anda während Schröders Amtszeit als Ministerpräsident von Niedersachsen über die dortige Landespolitik berichtet.
Bela Anda: "Trotzdem hat es, ja ein, zwei Jahre gebraucht ich glaube, bis er sich ganz sicher war, dass wir sehr, sehr eng zusammenarbeiten können. Er hat das oft geprüft.... Weil für einen Spitzenpolitiker, der so in der Öffentlichkeit steht, Indiskretion natürlich sofort ausschlaggebend ist für seine eigene Wahrnehmung … und damit entscheidet über seine Akzeptanz in der Bevölkerung."
Als Regierungssprecher war Andas Aufgabe nicht so sehr die inhaltliche, sondern vielmehr die strategische Beratung des Kanzlers im Umgang mit den Medien. Besonders wichtig war eine gute Medienstrategie im Bundestagswahlkampf 2005: Nachdem die SPD die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und damit ihr wichtigstes Bundesland verloren hatte, stellte Gerhard Schröder die Vertrauensfrage - und verlor. In einer vorgezogenen Neuwahl trat er gegen Angela Merkel an.
Bela Anda: "Wir hatten die besondere Situation damals, dass alle Berliner Korrespondenten tausendprozentig überzeugt waren, dass Gerhard Schröder diese Wahl nie und nimmer gewinnen würde …. Und meine Aufgabe war es dann eben durch ne kluge Medienstrategie dem Bundeskanzler damals die Möglichkeit zu geben, sein Regierungshandeln … gut zu erklären…."
Und das war in Interviews mit der sogenannten Hauptstadtpresse damals schwer möglich.
Eine Medienstrategie entwickeln konnte Bela Anda, weil er als Regierungssprecher regelmäßig im engen Austausch mit Journalisten stand. Er verfolgte sehr genau, was sie schrieben und welche Positionen sie vertraten. Im Bundestagswahlkampf 2005 hat Gerhard Schröder schließlich…
Bela Anda: "… mit sehr vielen regionalen Medien gesprochen… aber das war auch insofern der Tatsache geschuldet, dass die natürlich auch andere Dinge von ihm hören wollten … und dass es Raum gab in diesen Interviews, Regierungspolitik zu erklären… warum man die Agenda 2010 gemacht hat und welche Effekte die bringen soll... wie man mit der Kritik umgeht der Gewerkschaften dazu und was man vorhat in den nächsten Jahren."
Gebracht hat es nichts. Gerhard Schröder verlor die Wahl. Sich selbst und der Öffentlichkeit das einzugestehen, fiel dem Machtmenschen Schröder unglaublich schwer.
Gerhard Schröder bei der "Elefantenrunde" 2005: "Wir ham verloren, ist doch gar keine Frage und das schmerzt mich. Aber verglichen mit dem, von wo wir kamen, Herr Brender, von 24 Prozent nämlich, verglichen mit dem, was wir erleben mussten in den letzten Wochen und Monaten, bin ich wirklich stolz auf meine Partei. Auf die Menschen, die mich unterstützt haben, die uns gewählt haben und die uns ein Ergebnis beschert haben, das eindeutig ist: Jedenfalls eindeutig, dass niemand außer mir in der Lage ist, eine stabile Regierung zu stellen."
Während viele Berater im Hintergrund wirken, brachten es manche zu regelrechtem Ruhm:
Horst Teltschik, stellvertretender Kanzleramtschef und nationaler Sicherheitsberater von Helmut Kohl, gestaltete maßgeblich die Wiedervereinigung mit. Kohls Kissinger nannten ihn die Amerikaner.
Hans Tietmeyer galt als wichtigster Berater Kohls bei der Vorbereitung der Euro-Einführung
Einer der Spin-Doktoren der heutigen Zeit ist Matthias Riegel. Aktuell ist er für den Bundestagswahlkampf der Grünen verantwortlich. Seine Aufgabe ist es, den Bürgern ein möglichst positives und gleichzeitig glaubwürdiges Image der beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir zu vermitteln. Es gilt, den Wählern eine Erfolgsgeschichte zu erzählen. Wie genau das funktioniert, hängt ganz von der Ausgangslage ab.
Matthias Riegel: "Da ist es so, dass es für mich einfach eklatante Unterschiede gibt, aus der Opposition heraus zu zeigen, da muss man ja noch viel stärker betonen, vielleicht sogar woraufs wirklich ankommt und was vielleicht schief läuft. Und aus der Regierung heraus will man ja im ersten Moment zeigen, was hat man alles erreicht und was will man noch erreichen?"
Mit 31 Jahren gehört Matthias Riegel zu den jüngsten führenden Köpfen der Wahlkämpfer-Branche in Deutschland. Im vergangenen Jahr hat er Winfried Kretschmann zur Wiederwahl als Ministerpräsident von Baden-Württemberg verholfen. Aktuell betreut er mit seinen Berliner Agenturen Wigwam und Ziemlich beste Antworten auch die Landtagswahlkämpfe der Grünen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.
"Wer bist du, als Mensch?"
Matthias Riegel: "Die ham sich Agenturen angeguckt, über Jahre übrigens, … sowas passiert nicht ad hoc oder außem Bauch, sondern man guckt sich sehr viele Agenturen an aus Kundensicht, man macht viele Vorgespräche mit verschiedenen Leuten und dann werden fünf, sechs Agenturen ausgewählt, die eingeladen werden und die ein Briefing bekommen und in nem Pitch Verfahren… sozusagen beweisen dürfen, ob sie denn… der richtige Ansprechpartner, die richtige Agentur et cetera… sind für den Auftrag."
Das geht nicht immer gut: Fast alle Parteien haben bei der Auswahl ihrer Agenturen und Berater schon mal richtig danebengegriffen: In Sachsen-Anhalt wurde einem Kandidaten der Linken auf seinem Wahlplakat zuletzt das Label "Frauenversteher" verpasst. Die FDP betitelte in Rheinland-Pfalz einen männlichen Kandidaten mit "Unsere Frau für Mainz". Und die Grünen warben in Sachsen-Anhalt mit dem bekannten Merkel-Ausspruch zur Flüchtlingskrise: "Wir schaffen das".
Grünen-Berater Matthias Riegel versucht bei jeder neuen Kampagne erst einmal so viel wie möglich über "seine" Kandidaten herauszufinden:
Matthias Riegel: "Wer bist du, als Mensch? Was bewegt dich dabei, warum bist du bei den Grünen eingetreten, was war dein erster Kontakt mit den Grünen? Was bewegt dich dazu in dieser Partei aktiv zu sein? … wo willst du mit der Partei hin, warum braucht es Grüne? Worauf kommt’s gerade an in der Partei? Worauf kommt’s an in Deutschland? Worauf kommt’s an in der Welt? Also das sind viele Fragen, die einem da durch den Kopf gehen."
Während die beiden Agenturen von Matthias Riegel sich in den Wahlkämpfen hauptsächlich auf die Kommunikation der politischen Botschaften konzentrieren, auf Flyer, Plakate und TV-Spots, gehört Frank Stauß seiner eigenen Einschätzung nach zu den Wahlkämpfern, die auch bei der inhaltlichen Schwerpunktsetzung von politischen Kampagnen mitreden. Stauß ist Kreativdirektor und Mitgesellschafter der Berliner Agentur Butter.
Frank Stauß: "… und n bisschen ist unsere Aufgabe auch nen strategischen Weitblick zu entwickeln und zu sagen: Wo wollen wir am Wahltag stehen in zwei Jahren? Was sollen die Kernaussagen sein? Was soll die Grundlage sein, um nochmal ne Verlängerung des Mandates um vier oder fünf Jahre zu bekommen und woran wollen wir arbeiten, um diese Akzente zu setzen? Und da baut man letztendlich n strategisches Gerüst auf, in dem man dann auch Punkte identifiziert, thematische Schwerpunkte, an denen man sagen kann: Wenn wir die zwei, drei Punkte gut lösen und gut vorbereiten, dann ham wir nen sehr guten Anhaltspunkt für die nächste Wahl."
Am wichtigsten ist es für Stauß, sich von Beginn an mit dem Kandidaten auf eine Strategie zu verständigen und daran dann auch festzuhalten.
Frank Stauß: "Denn in nem Wahlkampf wird wahnsinnig viel durcheinander kommen. Es wird immer Höhen und Tiefen geben. Sie werden in den Umfragen runtergehen, es wird irgend nen Querschläger geben, es wird Probleme geben, es wird Zweifler geben, es wird Berater geben, die sagen: Ist alles Quatsch, was Dir die Leute von Butter oder der Stauß erzählt haben. Wenn man sich aber vorher verständigt hat, dass das der Weg ist und sich in die Augen geguckt hat und gesagt hat: … das ist unsere strategische Linie, dann kann da kommen, was will.… und jedes Mal, wenn das nicht vorhanden ist, dieses Commitment, wenn das das Gegenüber nicht zulässt, wenn es permanent Zweifel gibt, dann muss man halt sagen: Also entweder wir machen jetzt nen Cut und wir hören auf oder wir führen das jetzt zu Ende, aber so wie das ist, wird das nix."
Seine Wahlkampfkarriere begann der heute 52-jährige Stauß noch als Student in den 90ern in der Kampagne des späteren US-Präsidenten Bill Clinton und seines Vize Al Gore. Seitdem hat Frank Stauß in Deutschland mehr als 25 Wahlkämpfe geführt, fast immer für die Sozialdemokraten. Das Image eines Kandidaten, sagt Stauß, ist entscheidend für dessen Wahlerfolg. Aber er weiß auch, dass er als Wahlkampfberater niemandem ein Image überstülpen kann, das nicht zu der Person passt.
Frank Stauß: "… und wenn man am Ende ne Kampagne haben will, in der der Kandidat oder die Kandidatin sich selber wohl fühlen, wo sie sagen: Das sind meine Themen, das bin ich, das ist, wie ich auftreten will, dann können Sie auch am besten arbeiten, dann können Sie am besten Wahlkampf machen und deshalb ist es unheimlich wichtig, zu dem Kern der Person vorzudringen, um am Ende ne Kampagne, ja, maßzuschneidern."
Die Kernthemen eines Kandidaten zu identifizieren, ist für Frank Stauß und selbst für den jeweiligen Politiker, der sich zur Wahl stellt, nicht immer leicht. Denn manch einer ist schon so lange im Politik-Geschäft, dass er Themen für seine eigenen hält, die gar nicht seine sind.
Frank Stauß: "Also es gibt ja Themen, die von außen herangetragen werden. Ich sag mal so diese eine Wortblase: Wirtschaftskompetenz. Jetzt hab ich da nen Kandidaten oder ne Kandidatin, die ganz tolle Kompetenzen hat, aber vielleicht nicht zwingend die allgemeine Wirtschaftskompetenz. Und es ist auch nicht ihre Leidenschaft – oder seine. Und dann muss man halt sagen: wenn das eigentlich nicht dein Herzensanliegen ist, dann behandeln wir das halt so, wie es ist, als n notwendiges Thema, das man adressieren muss, aber nicht als dein Kernthema."
Doch mit Herzensanliegen allein entscheidet kein Politiker heutzutage eine Wahl für sich. Wer gewinnen will, muss sich fragen: Was erwarten meine Wähler? Wichtigstes Hilfsmittel: die Meinungsforschung.
Frank Stauß: "Wir identifizieren Themenschwerpunkte, wir geben die dann natürlich auch in Tests, in Fokusgruppen, auch in quantitative Untersuchungen, um zu schauen: funktioniert das? Wir wollen ja am Ende ne Wahl gewinnen. Und dann kann es durchaus sein, dass n Thema ne absolute Herzensangelegenheit von nem Kandidaten ist und wir aber feststellen, dass es außer ihm keinen interessiert. […] aber es gibt jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder wir begeistern jetzt die Leute dafür, dass das n spannendes Thema ist oder wir stellen das Thema halt in der Reihe auf Platz drei oder vier der Gewichtung."
Je eine Milliarde US-Dollar für den Wahlkampf
Während im US-Wahlkampf im vergangenen Jahr sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump je rund eine Milliarde US-Dollar in ihren Wahlkampf investierten, sind die Budgets in Deutschland vergleichsweise klein: Rund 20 Millionen Euro hat etwa die CDU für den gesamten Bundestagswahlkampf zur Verfügung. Grüne und SPD wollten ihr Budget gegenüber dem Deutschlandradio nicht nennen. Bei der AfD sind es 3,3 Millionen Euro. Auch wenn es in Wahlkampfzeiten, in denen die Innenstädte oft voll geklebt sind mit den Plakaten der Kandidaten, anders scheint: Vom Wahlkampf allein können Menschen wie Frank Stauß oder Matthias Riegel hierzulande nicht leben.
Dominik Meier: "… wenn Sie aktuell dann einen Bundestagswahlkampf sehen, kommen Sie maximal würde ich sagen auf nen Bundestagswahlkampf von Personen, die eben nicht ehrenamtlich arbeiten und nicht in normalen Parteistrukturen arbeiten, Kreisverband, Ortsverband, Landesverbände, kommen Sie auf maximal 100 Leute. Nicht mehr und nicht weniger. Nur ein Vergleich, in einem US-Bundesstaat, in einem einzigen Bundesstaat… hat jeder Kandidat mindestens im kleinsten und nicht umstrittenen Kreis mindestens 80 bis 100 feste Mitarbeiter. In einem einzigen Bundesstaat – ein einziger Kandidat. Das ist eine Frage der Finanzierungsstrukturen, die wir einfach haben."
Erklärt Dominik Meier, der Vorsitzende der Degepol. Degepol steht für Deutsche Gesellschaft für Politikberatung. Der Verband ist die Vereinigung der Politikberater in Deutschland. Dazu zählen nicht nur Wahlkampfberater, sondern beispielsweise auch Lobbyisten, die im Auftrag der Wirtschaft Wünsche und Forderungen an die Politik herantragen. Wahlkampfberatung, erklärt Meier…
Dominik Meier "… war nie ein wachsender Markt und viele meiner Kolleginnen und Kollegen in der Branche, in der Berliner Berater-Szene haben völlig frustriert auch verstanden: damit kann man kein Geld verdienen. Für viele Agenturen ist das, die sich da engagieren, eine spannende Herausforderung eines sonst anderen Arbeitsalltages. Es ist eine spannende Herausforderung, wo man sagt: Das Geld ist nicht das Entscheidende."
Neben den bescheidenen finanziellen Mitteln liegt das auch daran, dass Politiker in Deutschland vieles am liebsten selbst in der Hand behalten wollen. Das erklärt der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident und heutige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, David McAllister:
David McAllister: "Vermarktung, Werbestrategien sind in einem Wahlkampf wichtig, aber Sie können niemals Substanz ersetzen. Und ein klassischer Ablauf in einem Wahlkampf ist, dass ungefähr ein halbes, dreiviertel Jahr vor einer Wahl eine Partei ein Wahlprogramm beschließt von 80, 100 Seiten, was auch immer. Dann ist eben die erste Kunst, aus diesem 100-seitigen Programm ein 10-seitiges Kurzprogramm zu machen. Das ist schon intellektuell anspruchsvoll. Dann dieses 10-seitige Kurzprogramm auf eine DinA-4-Seite mit fünf, sechs, sieben, acht, neun Botschaften zusammen zu dampfen und dann aus diesem einen DinA-4-Blatt eben dann zwei, drei gängige Slogans für den Wahlkampf zu machen. Und da kann eine Agentur, eine Werbeagentur beratend zur Seite stehen, aber am Ende müssen Sie als Politiker und als Partei selbst die Verantwortung dafür übernehmen, wie Sie Ihr Programm auf einige wenige Sätze konzentrieren."
Schmerzlich am eigenen Leib erfahren musste David McAllister das im Landtagswahlkampf 2013: Damals war seine Partei im eigens komponierten Song "So machen wir das. Für Niedersachsen" mit Zeilen wie "Unser Häuptling ist ein Schotte und wir sind ein starker Clan."
Für den Song ernteten McAllister und die CDU Spott und Häme ohne Ende. Wahlkampf ist manchmal eben ziemlich banal.
Für Ole von Beust waren solch peinliche Vorbilder Grund genug, sich immer selbst massiv in den Wahlkampf einzumischen und nicht zu viele andere mitreden zu lassen:
Ole von Beust: "Dann sagt die Junge Union: Wir brauchen noch ne Jugendliche auf dem Plakat und die Senioren sagen: Wir brauchen noch ne grauhaarige alte Dame und so ham sie nachher eine Werbelinie, die vom Proporz und nicht von der werblichen Wirkung bestimmt ist. Ich hab auf die Grundlinie sehr großen Einfluss genommen, auf die Detailausgestaltung, also Fotos aussuchen oder Text redigieren, nicht, man sieht sich selber immer anders als andere und deshalb ist man bei solchen Dingen auch ich glaube nicht so klug."
Je höher ein Politiker in der Hierarchie aufsteigt, desto mehr Berater versammelt er um sich herum. Trotzdem wird es für ihn immer schwieriger, ehrliches Feedback im persönlichen Gespräch zu bekommen. Zu groß ist der Respekt, den frühere Kritiker dann vor dem Amt haben. David McAllister behauptet, diese Kritiker immer um sich versammelt zu haben:
David McAllister: "… bei mir war das immer so, dass in der Familie oder im engsten Freundeskreis ich gottlob auch in den Zeiten als Ministerpräsident immer eine kritische Rückmeldung bekommen habe. Wenn Sie irgendwann nur noch von Leuten umgeben sind, die Ihnen von morgens bis abends sagen, wie toll alles läuft und wie toll Sie sind, dann ham Sie endgültig verloren."
Abseits des großen Rampenlichts, in dem Spitzenpolitiker und Kanzlerkandidaten umgeben von einem großen Beraterstab stehen, gibt es in Deutschland hunderte einfache Abgeordnete, die mit deutlich weniger Unterstützung auskommen müssen und die außerhalb ihres Wahlkreises weitgehend unbekannt sind. Dazu gehört Christina Schwarzer, die seit 2013 für die CDU Berlin-Neukölln im Deutschen Bundestag sitzt. Schwarzer ist Mitglied im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und im Ausschuss Digitale Agenda.
Christina Schwarzer hat keine Agentur und keinen Werbeslogan
Genauso wie Angela Merkel und Martin Schulz, kandidiert auch Christina Schwarzer bei der diesjährigen Bundestagswahl im September. Doch im Unterschied zu den Spitzenkandidaten hat sie keine Agentur, die Wahlslogans für sie textet und keine eigene Presseabteilung mit mehreren Mitarbeitern. Christina Schwarzer, ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin und ihr Pressesprecher kümmern sich um die komplette Öffentlichkeitsarbeit selbst.
Christina Schwarzer: "… wir überlegen jeden Morgen im Team oder tagsüber, welche Botschaft und welches Thema bringen wir letztendlich unter die Menschen sag ich mal…. Und für mich sind das immer drei Themen: Themen rund um den Kinderschutz, das sind Themen über die Digitalisierung und natürlich Themen in meinem Wahlbezirk, meinem Wahlkreis in Neukölln. Und dann überlegen wir eben, wie bringen wir die Botschaft sozusagen rüber, über welches Medium ist das? Das kann ganz klassisch eine Pressemitteilung sein oder eben ein Facebook-Posting."
Facebook, Twitter und Co. sind für Christina Schwarzer manchmal wichtige Vehikel, um in die überregionale Presse zu kommen. Denn die interessiert sich eher selten für unbekannte Abgeordnete wie sie. Im vergangenen Jahr schaffte Schwarzer es bis in die BILD-Zeitung: mit einem Statement gegen die Kinderehe, das sie auf Facebook postete.
Christina Schwarzer: "Das Thema Kinderehe lief natürlich sehr gut medial, aber ich kann Ihnen sagen, das war ein Zusammenspiel zwischen mir und meinen Mitarbeitern. Ich saß nämlich in einem dunklen Raum auf einer Klausurtagung und hatte gerade anderes im Sinn als die Zeitung zu lesen, da meldete sich mein Mitarbeiter… und sagte: Christina, der Herr Maaß hat jetzt gerade nen Gesetzentwurf vorgelegt, der will die Kinderehe nicht verbieten. Da müssen wir uns sofort äußern. Da hab ich gesagt: Klar, machen wir. ...und dann hat er eine Kachel gebastelt, in Zusammenspiel wieder thematisch mit der anderen Mitarbeiterin, mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin … und so ist das dann binnen, ich sag mal, 30,40 Minuten entstanden. So ham wir ein Facebook-Posting gemacht und soweit ich mich erinnern kann, waren wir dann tatsächlich die ersten, die mit diesem Thema dann draußen waren, um zu sagen: Herr Maaß, so geht das nicht, Kinder gehören eben in die Schule und nicht ins Ehebett."
Polemisch, aber wirkungsvoll! Ihr Pressesprecher und ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin, mit denen Christina Schwarzer solche Aktionen plant, sind gleichzeitig ihre wichtigsten Berater.
Christina Schwarzer: "Ich selbst mach seit über 20 Jahren Politik und da hat man manchmal ja so eine Politikerbrille ja vielleicht auf und denkt, bestimmte Dinge, dass das gut ist oder dass das interessant ist, dabei ist es total uninteressant und einfach mal nicht für andere wissenswert Politiker sind ja ganz von sich selbst überzeugt, aber auch ich musste lernen, dass meine Ideen auch manchmal einfach nicht die besten sind und so entscheiden wir das immer zu Dritt."
Bis zur Bundestagswahl am 24. September werden Christina Schwarzer und ihr Team noch viele Male zu Dritt zusammensitzen und beratschlagen, welche Botschaften sie auf über die sozialen Medien an Schwarzers potentielle Wähler verbreiten.
Ole von Beust und David McAllister hoffen darauf, dass die Wahlprogramme, in die das Wissen dutzender Experten und Politiker eingeflossen ist, die Menschen überzeugen und dass ihnen peinliche Eskapaden erspart bleiben.
Und Matthias Riegel, der Wahlkampfberater der Grünen, wird bis zum letzten Moment an Zeilen, Reden und Statements für seine Spitzenkandidaten feilen.
Sie alle werden hin fiebern auf den großen Tag der Bundestagswahl. Für Wahlkampfberater Frank Staub ist es…
Frank Stauß: "… dieser Thrill, der hängt halt am Wahltag zusammen. Es ist für mich unglaublich faszinierend, bei ner Bundestagswahl gehen in Deutschland 45 Millionen mindestens wählen. Die stehen dann alle irgendwie am Sonntag auf und gehen in die nächste Grundschule und machen da ihr Kreuz, das allein ist für mich so ein erhebendes Erlebnis. Und dann da zu sitzen als jemand, der an so nem demokratischen Prozess beteiligt war und gleichzeitig, ob das der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin ist oder Ministerpräsidenten, keiner weiß vor 18 Uhr, ob er den Job am nächsten Tag noch hat. Das find ich toll."