Wiedergeburt des Salonwagens

Regierungschefs auf Schienen

08:42 Minuten
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi (l-r), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sitzen Mitte Juni einem Salonwagen eines Zuges auf der Reise nach Kiew.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi (l-r), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sitzen Mitte Juni in einem Zug auf der Reise nach Kiew. © picture alliance/dpa/Michael Fischer
Frank Zwintzscher im Gespräch mit Susanne Balthasar  · 25.06.2022
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Die Bilder wirken wie aus der Zeit gefallen: In einem Salonwagen sitzen Politiker und fahren mit der Bahn an Orte, wo Weltpolitik stattfindet. Scholz, Macron und Draghi stehen in einer langen Tradition des symbolträchtigen Reisens mit dem Zug.
In den letzten Monaten wurden Bilder in den Nachrichten gezeigt, die an eine längst untergegangene Ära erinnerten: an eine Zeit, als wichtige Männer noch den Zug nahmen.
Zuletzt fuhren Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi Mitte Juni in einem Abteil Richtung Kiew. Zuvor waren im März bereits die Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien im Zug in die Ukraine unterwegs gewesen.
Nach Jahrzehnten der Fotos von Regierungsfliegern hat die vermeintlich altmodische Eisenbahn plötzlich wieder an Bedeutung gewonnen. Und in der Tat werde damit an eine alte Tradition angeknüpft, bestätigt Frank Zwintzscher, Kurator für Schienenverkehr im Deutschen Technikmuseum in Berlin.

Ein Kaiser fährt Zug

Zwar liege die große Zeit der Regierungs- und Sonderzüge schon lange zurück, aber idealtypisch für diese Form des Reisens sei der Hofzug des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. gewesen, erklärt der Experte. Bis zu seiner Abdankung 1918 sei der damalige Kaiser fast 30 Jahre lang damit gefahren.

Es gab eigene Kaiser-Bahnhöfe und im Salonwagen waren sogar Fahrpläne, mit denen der Kaiser informiert wurde, wann er huldvoll an den Bahnhöfen aus dem Fenster zu grüßen hatte.

In manchen Jahren sei Wilhelm II. mehr als 200 Tage im Zug unterwegs gewesen, sodass seine Untertanen die Kaiserhymne „Heil dir im Siegerkranz“ in „Heil dir im Sonderzug“ umgedichtet hätten.
Ein Aquarell von Politikern und Militärangehörigen in einem Salonwagen.
Unterzeichnung des Waffenstillstandes zwischen Deutschland und den Alliierten in einem Zug am 11. November 1918. © picture alliance / akg-images
Von besonderer historischer Bedeutung ist der Wagon, der 1918 im Wald von Compiègne eingesetzt wurde. Dort wurde am 11. November der Waffenstillstand zwischen den Alliierten und Deutschland unterzeichnet.
„Nach dem Frankreichfeldzug, knapp 20 Jahre später im Zweiten Weltkrieg, holte NS-Deutschland diesen Wagen aus dem örtlichen Museum", berichtet Zwintzscher, "um ihrerseits die Franzosen die Kapitulation gegenüber den Deutschen unterzeichnen zu lassen und damit gewissermaßen Revanche anhand dieses Symboles zu nehmen.“

Bedeutungswandel beim Schienenverkehr

Heute fahren nur noch sehr wenige solcher opulenten Regierungszüge mit Sesseln, großen Tischen und Leuchtern, aber es gibt sie noch, wie beispielsweise den Royal Train der Queen, erzählt Zwintzscher.
„Der wird noch genutzt. Das heißt, sie haben einen Zug eines Staatsoberhauptes, aber eben nicht der Regierung. Ähnlich sieht es zum Beispiel in Japan aus. Da gibt es auch einen Luxustriebwagen, einen Wagen für den Kaiser.“
Mit dem Royal Train reist Queen Elizabeth II. wie hier im Sommer 2018 immer noch durch Großbritannien.
Mit dem Royal Train reist Queen Elizabeth II. immer noch durch Großbritannien.© imago/i Images
Ansonsten reise traditionell die Herrscherfamilie Nordkoreas noch mit dem Zug, und auch Aserbaidschan habe jüngst bei einem „großen europäischen Hersteller“ einen Regierungszug bestellt.
Nun, mit den Bildern von Zügen aus und in die Ukraine, sieht der Bahnexperte einen Bedeutungswandel beim Schienenverkehr. Die Bahn diene vielen zum einen als Fluchtmöglichkeit, zum anderen würden über die Schiene auch Hilfsgüter, Nachschub und Waffen transportiert.
"Der Schienenverkehr bekommt eine andere Bedeutung und der Ukraine-Krieg ist wieder einer der Marker, an denen man das sieht."

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