Es war einmal ein Pirat ...
Am kommenden Samstag feiert die Piratenpartei ihren zehnten Geburtstag – im Angesicht ihres politischen Bedeutungsverlusts. Viele Mitglieder sind von Bord gegangen, auch Martin Delius, der aber immer noch im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. Unser Autor hat seine Arbeit beobachtet.
(Martin Delius) "Der Flughafen BER sollte im Juni dieses Jahres eröffnet werden. …"
"Ich versuche, aus dem ganzen Prozess zu lernen, wie man es besser machen kann. In diesem Zusammenhang wünsche ich allen Beteiligten eine gute Zusammenarbeit und ein glückliches Händchen. Danke schön."
Ein Jahr sind die Piraten zu diesem Zeitpunkt im Parlament. Ihre Fraktionssitzungen sind öffentlich, werden per Livestream im Internet übertragen. Volle Transparenz voraus. Das Berliner Polit-Establishment ist irritiert. Martin Delius beantragt, die Sitzordnung im Untersuchungsausschuss frei und flexibel zu gestalten. Den Vertretern der etablierten Parteien ist das zu platt. Sie lehnen seinen Antrag ab.
"So ein Vorschlag ist natürlich auch dazu angedacht zu zeigen, dass hier auch mal andere Ideen kommen, Vorschläge, wie sagt man so schön, ‚out of the box’."
Die geltenden Spielregeln in der Politik
Dem Software-Entwickler wird jedoch bald klar: will er politisch erfolgreich sein, muss er sich auf die geltenden Spielregeln einlassen. Ohne Albernheiten am Rande.
"Mein Interesse ist, die Arbeit ordentlich zu machen und den Ausschuss zu Ergebnissen zu führen. An nichts anderem wird sich der Ruf der Piratenfraktion, was diesen Ausschuss betrifft, messen. Der Ausschuss ist eine Möglichkeit, bundesweit zu punkten und sicherlich eine sehr prominente Möglichkeit."
Er nutzt sie. Wo er kann, versucht er die Basis mitzunehmen. Anfangs regelmäßig besucht er die Crew in seinem Wahlbezirk. Die Crew, das ist die unterste Organisationseinheit der Piraten. Egal worüber sie in der verrauchten Eckkneipe diskutieren, an Martin Delius schätzen sie das Umtriebige, Emsige. Etienne sagt:
"Charisma ist, glaube ich, nicht Martins Qualität, sondern Martins Qualität ist in erster Linie, ausgleichend sein zu können. Seine Meinung deutlich zu sagen, sie auch gut zu begründen, auch wenn Widerspruch kommt, gut argumentieren zu können und nicht einfach das wegzuwischen und zu sagen: ‚Du redest ja gerade Mist’."
Zanken und Raufen in der Partei - der Austritt von Martin Delius
Doch auch politische Talente wie Martin Delius können nicht verhindern, dass die Piraten vor allem dadurch auffallen, dass sie miteinander zanken und raufen. Shitstorms rauschen per Twitter und Facebook durchs Netz, und die Öffentlichkeit liest mit. Auch diverse Parteitage enden im Chaos. Im Dezember 2015 zieht Martin Delius die Reißleine – er tritt aus der Partei aus.
"Mein Eindruck ist, dass die Piratenpartei es nie geschafft hat, eine politische Diskursgrundlage zu bilden. Beschlüsse, selbst von Bundesparteitagen, sind weder von Bundesvorständen noch von Arbeitsgruppen oder Einzelpersonen eingehalten worden, es gab nicht im Ansatz eine politische Grundlage für eine Konformität, die Auseinandersetzung wurde nicht an Inhalten, sondern an Personen geführt, auf der Basis kann man keine Programmentwicklung betreiben, auf der Basis kann man keine politischen Mehrheiten weder innerhalb der Organisation noch außerhalb der Organisation erstreiten, und das muss dann in sich zusammenfallen."
Umso beeindruckender findet er es heute, dass die 15 Noch- und Ex-Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus die ganze Zeit arbeitsfähig bleiben. Mehr als 2.000 kleine und schriftliche Anfragen stellen sie in der vergangenen Legislaturperiode.
Der Untersuchungsausschuss zum Flughafendesaster
Auch den Untersuchungsausschuss zum Flughafendesaster bringt Martin Delius sauber zu Ende. Wegen seiner klaren Aussagen zum Pannen-Airport ist er längst über die Grenzen Berlins hinaus bekannt.
"Kollektive Verantwortungslosigkeit, strukturelle Schwäche der Flughafengesellschaft, kein Controlling, keine Nachsteuerung, das gegen die Wand fahren lassen, das sprichwörtliche, was jeden einzelnen Bereich der Baustelle angeht, das war der Grund, warum das mit dem BER nicht funktioniert hat."
1.200 Seiten umfasst der Abschlussbericht, weit mehr bedeutet ihm allerdings, dass Klaus Wowereit während der Ermittlungsarbeiten abtritt.
"Na ja, ein Regierender Bürgermeister muss zurücktreten, ich weiß nicht, ob man sich als Opposition und als Oppositionspolitiker einen größeren Erfolg vorstellen kann."
Martin Delius ist im Polit-Establishment angekommen. Er kommuniziert viel, ist das, was man einen Netzwerker nennt. Er steht der Partei der Linken nahe, um seine politische Zukunft macht er sich keine Sorgen. Das Piraten-Experiment hält er allerdings für gescheitert.
"Ich glaube nicht, dass sich die Piratenpartei aus dem, was in den letzten Jahren so an Entwicklung vonstatten gegangen ist, sich wieder erholt."