Politiker Matthias Platzeck

"Ich war der Rote in der Familie"

34:37 Minuten
Der SPD-Politiker Matthias Platzeck im Porträt.
Früher Ministerpräsident, heute Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums: Matthias Platzeck. © picture alliance / dpa / Sören Stache
Moderation: Katrin Heise |
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Als „Deichgraf“ beim Oder-Hochwasser 1997 wurde Matthias Platzeck bundesweit bekannt, danach war er brandenburgischer Ministerpräsident und SPD-Vorsitzender. Heute wirbt er leidenschaftlich für ein besseres Verhältnis zu Russland.
Matthias Platzeck und Russland, das ist in jedem Fall ein besonderes Verhältnis. Wer sich fragt, woher das kommt, der findet in zwei Anekdoten vielleicht eine Antwort.
Man muss dafür zurückblicken, genaugenommen um Jahrzehnte. Geboren 1953 in Potsdam, wuchs Matthias Platzeck an der berühmten Glienicker Brücke auf, bewacht von Amerikanern auf der einen, von sowjetischen Soldaten auf der anderen Seite:
"Ringsherum wohnten Russen. Da ist man automatisch unter ihnen. Das russische Magazin war daneben, die Kommandantur war drei Häuser weiter. Egal, ob man zum Friseur ging oder sonst wohin, es waren immer Russen da. Das prägt."

"Ich habe Russenfilme geliebt"

In der Schule traf Matthias Platzeck dann auf eine Lehrerin, "die ihr Hobby darin sah, uns mit der russischen Kultur ein Stück weit zusammenzubringen. Ich habe zum Beispiel Russenfilme geliebt. Das war damals in der DDR längst nicht verbreitet."
Eine zweite Anekdote spielt im Juni 1989 auf dem Potsdamer Pfingstberg. Damals glich das dortige Schloss "Belvedere" einer Ruine. Als "bleiern" hat Matthias Platzeck diese Zeit empfunden. Viele DDR-Bürger zog es in den Westen.
Im Fernsehen sah man die Bilder aus Peking, war entsetzt über das Massaker auf dem Tiananmen-Platz. "Wir haben gesagt, wir müssen mal versuchen einen Kontrapunkt zu setzten, auch um uns selber Mut zu machen. Da haben wir ein alternatives Kulturfest geplant. Wir haben bekannte Theater- und Musikgruppen angeschrieben."
Der Stasi war eine solche Veranstaltung suspekt und wollte sie mit allen Mitteln verhindern. Platzeck und seine Mitorganisatoren sollten, so verlangten es die Genossen, eine Wasserversorgung mit heißem Wasser sicherstellen.
In ihrer Not wandten sie sich an den sowjetischen Stadtkommandanten. "Wir ahnten oder wussten, dass der Gorbatschow politisch nahesteht. Der wusste genau, worum es geht. Er hat uns zugesagt und eine Gulaschkanone mit Soldaten auf den Berg geschickt, die heißes Wasser kochten. Das hat die Staatsmacht in der DDR komplett durcheinandergebracht. Das war für sie Verrat."
Am Ende kamen rund 4000 Menschen auf den Pfingstberg: "Das hat viel Mut gemacht."

Explosiver als im Kalten Krieg

Heute ist der frühere Potsdamer Bürgermeister, ehemalige SPD-Vorsitzende und langjährige Brandenburger Ministerpräsident Vorsitzender des "Deutsch-Russischen Forums". Sein neues Buch "Wir brauchen eine neue Ostpolitik. Russland als Partner", schrieb Matthias Platzeck auch deshalb, weil er mit Sorge auf das angespannte Verhältnis zwischen Russland und dem Westen blickt:
"Ich habe vor 30 Jahren gedacht, wir werden weiter Sorgen haben, keine Frage. Aber eine Sorge werden wir künftig nicht mehr haben, nämlich die, dass sich die Welt zwischen Krieg und Frieden bewegt. Selten in einer Epoche waren die Hoffnungen so groß. Selten sind sie so schnell und gründlich enttäuscht worden. Wir machen ja als Deutsch-Russisches Forum auch außenpolitische Konferenzen. Und da hören sie profunde Kenner, die sagen, man kann davon ausgehen, dass die Situation heute vielleicht explosiver ist als sie im Kalten Krieg war."
Für Matthias Platzeck ist Russland heute ein "autokratisches System". "Ich würde mich auch nie versteigen und sagen, dass Russland eine Demokratie ist." Aber, so der Sozialdemokrat: "Wir sollten nicht so tun, als würde das Reinheitsgebot bei uns immer eingehalten."

"Ostfußball gab es nur bei den Nachbarn"

Die Kritik, ein "Russland-Versteher" zu sein, kennt Matthias Platzeck schon von früher: "Ich war der Rote in der Familie." Der Vater war Arzt in einem katholischen Krankenhaus, die Mutter kam aus einem Pfarrhaushalt:
"Mein Vater liebte Ostfernsehen überhaupt nicht. Wenn ich Ostfußball gucken wollte, dann musste ich zu den Nachbarn gehen. Wenn man in so einer Umgebung aufwächst, dann hat man den Impetus, jetzt muss ich etwas anders machen."
1968, beim Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in Prag, sagte der Vater nur: "Mach' mal die Nachrichten an, damit du hörst, was deine Kommunisten in Prag anrichten."
Matthias Platzeck wurde schließlich Politiker - und er machte es anders als viele vor ihm. Seine Popularität entsprang vor allem seiner Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit.
Doch der Hoffnungsträger der Sozialdemokraten musste dem Stress Tribut zollen: Wegen gesundheitlicher Probleme trat er 2006 als Vorsitzender der SPD zurück, und gab sieben Jahre später auch das Amt des brandenburgischen Ministerpräsidenten auf.
Es war vor allem seine Tochter, die ihn nach einem Schlaganfall 2013 dazu aufforderte: "Das war eine klare Ansage."
(ful)
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