Wer im Job einen Fehler macht, muss dafür meist selbst geradestehen. Doch die Fehler von Politikern müssten die Bürger ausbaden, kritisiert der Autor Timo Rieg. Sein Vorschlag: Entlasten wir die Politiker durch mehr Mitbestimmung der Bürger.
Stromkrise, Gaskrise, Wärmekrise, Klimakatastrophe, drohende Atomkatastrophe, Kriegsgefahr, Inflationsanstieg. Die Liste unserer Probleme ist lang, und für ihre Lösung sind stets dieselben zuständig: Politiker.
Je heikler es wird, desto weniger sollen die Bürger mitreden, denn – da sind sich Politiker und Politologen überwiegend einig – die Verantwortung tragen am Ende nur die Politiker, nicht die Wähler, nicht die Aktivisten einer Bürgerinitiative. Deshalb gibt es in Deutschland keinen Volksentscheid auf Bundesebene.
Aber wie tragen Politiker Verantwortung für ihr Handeln, für ihr Tun und Lassen, ihre Gesetze, Verordnungen, Verträge, Verhandlungen? Aus heutiger Sicht waren sehr, sehr viele Entscheidungen der Vergangenheit falsch. Sie mussten oder müssen noch korrigiert werden, aufwendig und teuer. Unsere Städte müssen umgebaut werden wegen Klimawandel, Mobilitätswandel, veränderter Demografie. Die Ost-West-Politik wurde gerade mit der Ausrufung einer Zeitenwende zum großen Fehler und die gesamte Verteidigungspolitik zum Desaster erklärt, was unter anderem mit gigantischen 100 Milliarden Euro extra repariert werden soll.
Keine Berufshaftung für Politiker
Der Bundestag beschließt in jeder Sitzungswoche sechs bis sieben neue Gesetze. Jedes kann man als Ausweis der Unzulänglichkeit des Bisherigen sehen. Doch wie übernehmen Politiker Verantwortung für ihre schlechten Gesetze, für Geldverschwendung, für von ihnen verursachtes Leid?
Allein das Autobahnmaut-Debakel eines Verkehrsministers soll uns Steuerzahler über 50 Millionen Euro gekostet haben. Aber anders, als sie es Ärzten und Rechtsanwälten vorgeschrieben haben, müssen Politiker selbst keine Berufshaftpflichtversicherung abschließen – und sie dürften auch schwer eine finden: die Allianz etwa als eine der größten Assekuranzen weltweit hat kein Angebot für von Politikern angerichtete Sach-, Personen- und Vermögensschäden.
Kaum echtes persönliches Risiko
Es gibt für Politiker auch keine Disziplinargerichte wie beispielsweise für Soldaten, und die alt-griechische Praxis der zeitweisen Verbannung muss auch niemand mehr fürchten.
De facto ist die einzige Form der Verantwortungsübernahme bei missglückter Politik das Karriereende. Präventiv wirken kann dies jedoch nur, wenn Rücktritt oder gar Rausschmiss ohne lukrativen Wechsel in die Wirtschaft als echtes persönliches Risiko drohen. Doch dafür kommt es wohl zu selten vor.
Wenn es demokratisch richtig gut liefe, könnten Politiker natürlich sagen: "Wir tun doch nur, was ihr Wähler wolltet. Als Parlamentarier machen wir die Gesetze, die wir euch vor der Wahlversprochen haben. Als Regierung setzen wir diese um." Dann wären – von Kunstfehlern abgesehen – wir Bürger selbst verantwortlich. Doch so läuft es bekanntlich nicht. Die großen Veränderungen und erst recht die vielen kleinen, für einzelne Bürger aber oft folgenreichen Detailvorschriften stehen nie zur Wahl. Sie kommen einfach während der vier- oder fünfjährigen Legislaturperiode. Corona-Maßnahmen waren so wenig Wahlkampfthema wie Sanktionen gegen Russlands Krieg.
Erfolgsprämien für Politiker
Vermutlich können Politiker gar nicht die Verantwortung für ihre wirkmächtigen Entscheidungen tragen, jedenfalls nicht alleine. Es bleibt ihnen nur, die Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen, und das heißt: große wie kleine Dinge viel mehr mit den Bürgern abzustimmen, anstatt fürstlich bis königlich zu dekretieren. Wenn genauer geklärt würde, was die Bürger erwarten, könnte man auch über die etwas in Misskredit geratenen Belohnungen nachdenken: Erfolgsprämien für Politiker, die ihren Job gut gemacht haben.
Klar wird dann wieder vor Populismus gewarnt werden – und dass so keine unliebsamen, aber notwendigen Entscheidungen zustandekommen. Da wäre im Detail einiges zu regeln. Aber letztlich geht es immer um die alte Frage: Wollen wir Demokratie und trauen uns selbst Entscheidungen zu, oder wollen wir „gut regiert werden“ und eigentlich nur pro forma mitspielen. Angesichts der Vielzahl und Größe gegenwärtiger Probleme spricht empirisch nicht sehr viel für ein System, das alle Verantwortung bei Politikern sieht, die diese gar nicht tragen können.
Timo Rieg ist Buchautor und Journalist. Seine zuletzt erschienenen Bücher sind „Demokratie für Deutschland“ und der Tucholsky-Remake „Deutschland, Deutschland über alles“. Zum Thema „Bürgerbeteiligung per Los“ bietet Timo Rieg zudem eine Website mit Podcast an.