Politikersprache

Jede Floskel ein vorgefertigter Bausatz

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Sitzung im Deutschen Bundestag (dpa/Maurizio Gambarini) © Maurizio Gambarini/dpa
Von Stephan Hebel |
Wenn Politiker sprechen, lacht oft das Phrasenschwein, sagt Kommentator Stephan Hebel. Etwa wenn es darum geht, den Bürgern "ihr Geld zurückzugeben." Das klingt zwar gut - doch im Detail dieser Formulierung offenbart sich eine problematische Ideologie.
Mit der Sprache der Politik ist es so eine Sache: Für normale Ohren klingt sie oft enervierend hohl und leer. Viele Bürgerinnen und Bürger werden sich dem Soziologen Niklas Luhmann anschließen, der für die Redeweise der Politiker den Ausdruck "Lingua Blablativa" erfunden hat.
Und es ist ja wahr: Viel zu oft bedienen sich unsere Politikerinnen und Politiker einer Art Ikea-Sprache: Jede Floskel ein vorgefertigter Bausatz. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: die Steuerdebatte. Seit die Staatseinnahmen ordentlich sprudeln, macht eine vermeintlich naheliegende Forderung die Runde: Es sei nun an der Zeit, sagen vor allem Wirtschaftsliberale, "den Bürgern ihr Geld zurückzugeben".

Weghören kann gefährlich sein

Da lacht das Phrasenschwein. Aber Vorsicht: Weghören kann gefährlich sein. Viele Sätze, die uns belanglos erscheinen mögen, entpuppen sich bei näherem Hinsehen als wirksame Werkzeuge, mit denen politische Akteure nicht nur die öffentliche Wahrnehmung der Welt zu prägen versuchen, sondern auch die Wirklichkeit selbst.
Denn schon Friedrich Nietzsche wusste: "Es genügt, neue Namen … zu schaffen, um auf die Länge hin neue ,Dinge‘ zu schaffen." Und von dem SPD-Politiker Erhard Eppler stammt der Hinweis, dass in der Politik "das Reden sehr wohl Handeln bedeutet".

Die Rede vom "zurückgeben" als Angriff auf den Sozialstaat

Den Bürgern ihr Geld zurückgeben. Das klingt ja sogar logisch und gut, und kaum jemand wird sich dagegen wehren, etwas zurückzubekommen, das man ihm weggenommen hat.
Aber auf den zweiten Blick steckt in einer solchen Phrase jede Menge Ideologie. Die Politiker, die den Satz vom "Zurückgeben" verwenden, greifen einen Reflex auf, der im individuellen Alltag verständlich sein mag - wer zahlt schon gern Steuern. Aber politisch betrachtet, versteckt sich hinter dieser Formulierung ein Angriff auf die Prinzipien eines demokratisch verfassten Sozialstaats. Und zwar in doppelter Hinsicht.

Der Staat als feindliche Macht

Zum einen wird der Staat dem Bürger wie eine feindliche Macht gegenübergestellt. Zumindest als eine Instanz, die etwas besitzt, das sie besser zurückgeben sollte. Aber was tut der Staat eigentlich mit dem Geld seiner Bürger? Selbstverständlich gibt er es ihnen täglich zurück, in Form von Straßen, Schulen, Sozialleistungen, innerer und äußerer Sicherheit oder auch Schuldenabbau.

Hören Sie auch unser Feature zum Thema "Rhetorik in der Politik" - heute um 19:30 in den Zeitfragen.

Man mag die Entscheidungen der Regierung, wofür sie Geld ausgibt und wofür nicht, mit guten Gründen kritisieren, und man kann die Regierung dafür abwählen, ebenfalls mit guten Gründen. Aber dass der Staat das Geld einfach für sich behält, das kann man nicht behaupten. Denn dieser Staat sind wir, zumindest in einer Demokratie.
Und noch etwas geschieht mit dem Geld der Bürger: Es wird umverteilt. Auch wer zu wenig verdient, um überhaupt oder nennenswert Steuern zu bezahlen, darf selbstverständlich die Schulen und Straßen und Sozialsysteme nutzen. Man kann sich, wiederum mit guten Gründen, eine viel gerechtere Umverteilung wünschen. Aber genau das wollen diejenigen nicht, die vom Zurückgeben an die Bürger reden.

Reden bedeutet Handeln

Sie wollen den Staat als steuernde, als umverteilende Instanz so schwach wie möglich sehen. Sie folgen dem zynischen Prinzip, dass für alle besser gesorgt sei, wenn jeder für sich selber sorgt. Und dass beim Zurückgeben die Reichen den größeren Anteil abbekommen würden – das darf vorausgesetzt werden. Umverteilung rückwärts.
Wenn der Wahlkampf bald richtig losgeht, könnte der hinterlistige Satz vom "Zurückgeben" so richtig in Mode kommen. Und am Ende könnten wir eine Regierung haben, die uns im Sinne Erhard Epplers beweist, dass politisches Reden sehr wohl Handeln bedeutet. In diesem Fall zum Nachteil der sozialen Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Den Bürgern ihr Geld zurückgeben? Nicht nur für diese Phrase gilt: Wer heute glaubt, es handele sich nur um Blabla, sollte sich nach der Wahl nicht wundern.

Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig. Zuletzt erschien von ihm "Gute‑Macht‑Geschichten: Politische Propaganda und wie wir sie durchschauen" (Westend Verlag 2016)

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