Politikwissenschaftler Jaschke über Rechtsextremismus

"In Sachsen ist die Polizei nicht sensibel genug"

Anhänger von Pegida und AfD protestieren gegen den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden
Anhänger von Pegida und AfD protestieren gegen den Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 16. August 2018 in Dresden. © imago/Paul Sander
Hans-Gerd Jaschke im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 24.08.2018
Die Polizeiführung müsse dafür sorgen, dass angehende Beamte fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, sagt der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke. Nicht immer seien die Führungskräfte der Polizei hier sensibel genug.
Liane von Billerbeck: Sie haben es in den Nachrichten gehört, das ist eine Woche her, als ein ZDF-Team am Rande einer Pegida-Demonstration in Dresden gegen den Besuch von Kanzlerin Angela Merkel von der Polizei festgehalten worden ist, und ausgelöst war diese Aktion von einem pöbelnden Demonstranten, der sich lautstark gegen Filmaufnahmen gewehrt hatte, und laut Landesregierung ist der Mann Mitarbeiter des Landeskriminalamtes, war privat auf der Demo, zudem im Urlaub. Nun gibt es aber Recherchen, die sagen, er käme beim LKA sogar an sensible Daten. Heute soll es nun in Dresden ein Treffen geben zwischen der Polizei, die dafür gesorgt hat, dass die Journalisten da nicht drehen konnten, und dem ZDF nach diesem umstrittenen Polizeivorgehen. Wir fragen uns, ob Rechtsextremismus oder der Hang zu solchen Positionen ein strukturelles Problem bei der Polizei ist, und die Fragen, die richten sich jetzt an Professor Hans-Gerd Jaschke, viele Jahre an der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Er ist Extremismusforscher und Politikwissenschaftler aus Berlin. Guten Morgen!
Hans-Gerd Jaschke: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
Billerbeck: Herr Jaschke, immer wieder kommen ja so einzelne Fälle, sagen wir mal, von Rechtsextremismus unter Polizeibeamten ans Licht, aber gibt es überhaupt Studien zu diesem Thema, ist das belegbar, ob es unter Polizisten prozentual mehr Rechtsextreme gibt als im Rest der Bevölkerung?
Jaschke: Nun, es gab in den 1990er-Jahren einige Studien zu diesem Thema, damals ausgehend von der Polizeiführungsakademie, aber seitdem gibt es überhaupt keine empirischen Studien mehr, sodass wir im Grunde genommen überhaupt keine empirischen Informationen darüber haben. Wir haben Eindrücke bei denjenigen, die mit der Polizei zu tun haben, die dort Lehrveranstaltungen machen, wie ich das gemacht habe viele Jahre lang, aber es gibt keine empirischen Studien zu diesem Thema.

"Die Polizei ist eine strukturkonservative Organisation"

Billerbeck: Dann bleiben wir mal bei den Eindrücken. Wie sind die denn?
Jaschke: Nun, es ist so, die Polizei ist eine, sagen wir, strukturkonservative Organisation, sie ist interessiert an Recht und Ordnung, an der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, und von daher kann man sagen, sie ist strukturkonservativ. Sie ist aber nicht rechtsextrem. Ich selber habe einige sehr wenige Vorfälle erlebt von Polizeianwärtern, die eine fremdenfeindliche Einstellung hatten. Das waren Einzelfälle, das ist richtig, aber man kann durchaus davon sprechen, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt, denn wir haben immer weniger geeignete Bewerber, die Polizei steht unter dem Eindruck, dass sie sich ihre Bewerber aussuchen muss, es gibt zu wenige geeignete Bewerber, und das heißt auch in der Konsequenz derzeit, es könnte durchaus Polizeibeamte geben in der jüngeren Generation, die nicht für diesen Beruf geeignet sind.
Billerbeck: Nun haben Sie ja von Einzelfällen gesprochen, die Sie auch da erlebt haben, wo Sie fremdenfeindliche Einstellungen bei Polizisten, bei der Weiterbildung, die Sie da gemacht haben, erlebt haben oder bei Polizeischülern. Ab wann sind denn das keine Einzelfälle mehr?
Jaschke: Nun, es wären keine Einzelfälle mehr, wenn man den Eindruck hätte, dass ganze Studiengruppen in Teilen fremdenfeindliche Orientierungen teilen. Diese Erfahrung habe ich nicht gemacht. Man muss auch sagen, letztlich ist das ein Problem der Polizeiführung. Das heißt, die Polizeiführung vor Ort insgesamt muss dafür sorgen, dass solche Dinge nicht vorkommen, dass Polizeibeamte fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Hier habe ich den Eindruck, dass es allerdings einen Wandel gibt. In den 1990er-Jahren ist das Problem verharmlost worden seitens der Polizeiführung, auch tabuisiert worden. Ich habe persönlich den Eindruck, in Sachsen ist das teilweise immer noch der Fall, aber insgesamt gesehen ist im Verlaufe der 2000er-Jahre doch das Problembewusstsein gestiegen, auch nach dem NSU-Skandal, als klar wurde, Polizei muss mit dem Thema Rechtsextremismus auch in den eigenen Reihen sehr viel sensibler umgehen, sodass wir da in einem Prozess des Wandels sind.
Billerbeck: Das heißt, die Führungskräfte sind eine neue Generation und achten darauf, dass sowas nicht mehr passiert. Wieso kommt es dann aber immer noch zu solchem Vorgehen?
Jaschke: Nun, man wird das wahrscheinlich nicht ganz vermeiden können. Das ist klar, weil die Polizei eine große Organisation ist. Wichtig ist aber, dass es eine Sache der Polizeiführung vor Ort ist, die damit sehr sensibel umgehen muss. Das scheint nicht immer der Fall zu sein. Wie gesagt, ich habe den Eindruck, in Sachsen ist die Polizei hier nicht sensibel genug.
Billerbeck: Von außen betrachtet könnte man ja auch meinen, wer so eine Gesinnung hat, der wird es tunlichst vermeiden, dass Kollegen etwas mitbekommen, oder gibt es da immer noch den berühmten Korpsgeist auf den Dienststellen?
Jaschke: Ich persönlich bin der Auffassung, diesen Korpsgeist gibt es in der Tat. Das hat damit zu tun, dass Polizeibeamte im Einsatz vor Ort auf ganz besondere Weise davon abhängig sind, dass es Solidarität gibt, dass es ein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt, dass man sich aufeinander verlassen können muss. Das ist eine Besonderheit dieses Berufes, die allerdings notwendig ist auf der einen Seite, auf der anderen Seite aber auch dazu führen kann, dass es Schattenseiten gibt, dass zum Beispiel dann bestimmte Verhaltensweisen nicht kommuniziert werden, dass sogar Straftaten nicht bekannt werden und so weiter. Das heißt, Korpsgeist, wenn Sie so wollen, ist notwendig im polizeilichen Alltag, auf der anderen Seite führt das aber auch zu Schattenseiten, dass bestimmte Verhaltensweisen dann eben, wie gesagt, vertraulich bleiben, nicht kommuniziert werden, den Vorgesetzten nicht bekannt werden. Korpsgeist in der Polizei gibt es, muss es auch geben, hat aber auch Schattenseiten.

"Polizeibeamte unterliegen einer jahrelangen Beobachtung"

Billerbeck: Sie haben sich ja viele Jahre mit diesem Thema beschäftigt als Extremismusforscher, waren auch in der Weiterbildung. Versucht man dann in der Ausbildung von Polizeianwärtern da rechtsextreme Tendenzen zu erkennen, und wenn ja, was passiert dann?
Jaschke: Nun, man muss sehen, Polizeibeamte haben ja eine jahrelange Bewährungsfrist, wenn man so will. Sie sind Beamte auf Widerruf, und das sind sie zunächst einmal drei Jahre lang während der Ausbildung für den gehobenen Dienst. Sie sind dann Beamte auf Probe. Das heißt, bevor sie Beamte auf Lebenszeit werden, stehen sie jahrelang unter, wenn Sie so wollen, Beobachtung oder Beurteilungssystemen, und hier ist es allerdings auch Aufgabe der Polizeiführung, sowohl bei der Einstellung wie auch in den ersten Jahren im Dienst selber ein Auge genau darauf zu haben. Das ist die Verantwortung der Polizeiführung. Das heißt, niemand wird Polizeibeamter und ist dann ab dem ersten Tag unkündbar. Polizeibeamte unterliegen einer jahrelangen Beobachtung durch die Vorgesetzten. Das ist genau der Prozess, wo die Vorgesetzten und die Polizeiführung dafür sorgen müssen, dass auch eine politische Bildung stattfindet und Demokratieerziehung und natürlich dass solche Beamte, die sich als fremdenfeindlich erweisen, aus dem Dienst entfernt werden.
Billerbeck: Einschätzungen waren das von dem Polizeiexperten, Politikwissenschaftler und Extremismusforscher Hans-Gerd Jaschke aus Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Jaschke: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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