Yascha Mounk, geboren 1982 in München, studierte in Cambridge und lehrt heute politische Theorie an der Harvard University. Er forscht zur Geschichte des Populismus und zur Krise der liberalen Demokratie und ist Autor des Buches "Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht".
Der Prophet des Untergangs der Demokratie
Der Zustand der Demokratien in den USA und Europa sei "sehr besorgniserregend", sagt Politikwissenschaftler Yascha Mounk. Er glaubt, dass der Populismus unser demokratisches System letztendlich untergraben könne.
Deutschlandfunk Kultur: Yascha Mounk ist 1982 in München geboren, lebt aber schon lange in New York und lehrt in Harvard politische Theorie. Besonders die Krise der liberalen Demokratie treibt ihn um – beruflich wie persönlich. – Mein Name ist Christian Rabhansl. Guten Tag, Herr Mounk.
Yascha Mounk: Schönen guten Tag.
Deutschlandfunk Kultur: In Deutschland haben Sie vor der Bundestagswahl deutsche Spitzenpolitiker befragt. Die haben gesagt, die AfD werde an der Fünfprozenthürde scheitern. Jetzt ist die AfD als drittstärkste Fraktion im Bundestag und eine mögliche Neuauflage von Schwarz-Rot gilt – je nach Sichtweise – als letzte Bastion der demokratischen Stabilität oder als Totengräberin der Demokratie, weil sie den Stillstand zementiere. Jetzt sollen die Genossen über diese Große Koalition abstimmen. Was raten Sie denen?
Yascha Mounk: Ich glaube, wir müssen die Diskussion ausbreiten. In den letzten Monaten ist darüber diskutiert worden, ob die SPD in die Große Koalition eintreten soll oder nicht, als ob es eine tolle Alternative gäbe. Aber ich glaube, wir haben immer noch nicht verstanden, wie sehr das Eintreten der AfD in den Bundestag die grundsätzlichen Koordinaten unseres politischen Systems verändert hat.
Deutschlandfunk Kultur: Drücken Sie sich um die Antwort? Was raten Sie denen?
Yascha Mounk: Ich komme darauf. Und zwar ist es mittlerweile so, dass wir keine ideologisch kohärenten Koalitionen mehr haben können. In einem funktionierenden System hätten wir ein paar Jahre so etwas wie Rot-Grün. Und dann würden die ein bisschen unbeliebt und dann hätten wir ein paar Jahre so etwas wie Schwarz-Gelb. Und dann würde irgendwann wieder gewechselt.
Yascha Mounk: Schönen guten Tag.
Deutschlandfunk Kultur: In Deutschland haben Sie vor der Bundestagswahl deutsche Spitzenpolitiker befragt. Die haben gesagt, die AfD werde an der Fünfprozenthürde scheitern. Jetzt ist die AfD als drittstärkste Fraktion im Bundestag und eine mögliche Neuauflage von Schwarz-Rot gilt – je nach Sichtweise – als letzte Bastion der demokratischen Stabilität oder als Totengräberin der Demokratie, weil sie den Stillstand zementiere. Jetzt sollen die Genossen über diese Große Koalition abstimmen. Was raten Sie denen?
Yascha Mounk: Ich glaube, wir müssen die Diskussion ausbreiten. In den letzten Monaten ist darüber diskutiert worden, ob die SPD in die Große Koalition eintreten soll oder nicht, als ob es eine tolle Alternative gäbe. Aber ich glaube, wir haben immer noch nicht verstanden, wie sehr das Eintreten der AfD in den Bundestag die grundsätzlichen Koordinaten unseres politischen Systems verändert hat.
Deutschlandfunk Kultur: Drücken Sie sich um die Antwort? Was raten Sie denen?
Yascha Mounk: Ich komme darauf. Und zwar ist es mittlerweile so, dass wir keine ideologisch kohärenten Koalitionen mehr haben können. In einem funktionierenden System hätten wir ein paar Jahre so etwas wie Rot-Grün. Und dann würden die ein bisschen unbeliebt und dann hätten wir ein paar Jahre so etwas wie Schwarz-Gelb. Und dann würde irgendwann wieder gewechselt.
"Die alten Sprüche der Populisten werden langsam wahr"
Mittlerweile ist das nicht mehr möglich, so dass die verbleibenden Möglichkeiten sind: eine Jamaika-Koalition, die ideologisch keinen Sinn macht, eine Große Koalition, die ideologisch keinen Sinn macht, eine Minderheitsregierung, die instabil wäre und ideologisch auch keinen Sinn hat, weil immer noch die Unterstützung der anderen Parteien notwendig ist.
Das bedeutet, die alten Sprüche der Populisten werden langsam wahr, dass es keine großen Unterschiede zwischen den etablierten Parteien gibt – denn wenn man immer miteinander regieren muss, dann ist es sehr schwer, voneinander Unterschiede zu bewahren. Und dass es die einzige Art ist, die Regierung wirklich zu wechseln, die Extremisten zu wählen.
Deshalb sage ich: Es ist eigentlich egal, ob die SPD jetzt in die Große Koalition eintritt oder nicht. Wenn sie es tut, haben wir eine Regierung, die unbeliebt sein wird, die es nicht schaffen wird, eine große Vision an den Tag zu legen, das Land wirklich zu verändern. Und wenn sie es nicht tut, dann haben wir wahrscheinlich neue Wahlen, in denen die AfD noch einmal stärker wird. Und dann fängt das ganze Problem wieder von vorne an.
Deutschlandfunk Kultur: Mir ganz persönlich, Herr Mounk, sind Sie zum ersten Mal bewusst aufgefallen, als Sie eine Art Koordinatensystem entwickelt hatten, um den Zustand von Demokratien zu berechnen. Da war Donald Trump noch Immobilienmilliardär ohne politische Pläne. Und Demokratien schienen eigentlich nur in Ländern gefährdet, in denen sie sich historisch noch nie richtig etabliert hatten.
Aber Sie haben schon damals gewarnt und vorgerechnet, dass auch scheinbar gefestigte, altehrwürdige Demokratien ins Kippen geraten können – nicht nur in Ländern wie Venezuela oder in der Türkei oder in Russland.
Wenn Sie heute den Zustand der Demokratie in den USA, wo Sie leben, und in Westeuropa, wo wir hier sind, berechnen, wie beruhigend oder besorgniserregend ist das Ergebnis?
Yascha Mounk: Sehr besorgniserregend. Politikwissenschaftler haben viele Jahrzehnte angenommen, was Journalisten und normale Bürger auch angenommen haben, nämlich dass die Demokratie in Ländern, die relativ wohlhabend sind, in denen wir ein paar Wahlen gehabt haben, durch die sich die Regierung verändert hat, stabil ist, dass sie konsolidiert ist und dass diese demokratische Konsolidierung eine Einbahnstraße ist. Wenn ein Land erst einmal wirklich demokratisch ist und relativ wohlhabend, dann müssen wir uns über die Zukunft keine Sorgen mehr machen.
Das müsste aber zumindest bedeuten, dass die meisten Menschen sich erstens für die Demokratie begeistern. Dass sie zweitens für autoritäre Alternativen zur Demokratie nicht offen sind. Und dass drittens alle Politiker, die wirklich Macht haben im System, die Grundregeln des freiheitlich-demokratischen Systems befürworten.
Das bedeutet, die alten Sprüche der Populisten werden langsam wahr, dass es keine großen Unterschiede zwischen den etablierten Parteien gibt – denn wenn man immer miteinander regieren muss, dann ist es sehr schwer, voneinander Unterschiede zu bewahren. Und dass es die einzige Art ist, die Regierung wirklich zu wechseln, die Extremisten zu wählen.
Deshalb sage ich: Es ist eigentlich egal, ob die SPD jetzt in die Große Koalition eintritt oder nicht. Wenn sie es tut, haben wir eine Regierung, die unbeliebt sein wird, die es nicht schaffen wird, eine große Vision an den Tag zu legen, das Land wirklich zu verändern. Und wenn sie es nicht tut, dann haben wir wahrscheinlich neue Wahlen, in denen die AfD noch einmal stärker wird. Und dann fängt das ganze Problem wieder von vorne an.
Deutschlandfunk Kultur: Mir ganz persönlich, Herr Mounk, sind Sie zum ersten Mal bewusst aufgefallen, als Sie eine Art Koordinatensystem entwickelt hatten, um den Zustand von Demokratien zu berechnen. Da war Donald Trump noch Immobilienmilliardär ohne politische Pläne. Und Demokratien schienen eigentlich nur in Ländern gefährdet, in denen sie sich historisch noch nie richtig etabliert hatten.
Aber Sie haben schon damals gewarnt und vorgerechnet, dass auch scheinbar gefestigte, altehrwürdige Demokratien ins Kippen geraten können – nicht nur in Ländern wie Venezuela oder in der Türkei oder in Russland.
Wenn Sie heute den Zustand der Demokratie in den USA, wo Sie leben, und in Westeuropa, wo wir hier sind, berechnen, wie beruhigend oder besorgniserregend ist das Ergebnis?
Yascha Mounk: Sehr besorgniserregend. Politikwissenschaftler haben viele Jahrzehnte angenommen, was Journalisten und normale Bürger auch angenommen haben, nämlich dass die Demokratie in Ländern, die relativ wohlhabend sind, in denen wir ein paar Wahlen gehabt haben, durch die sich die Regierung verändert hat, stabil ist, dass sie konsolidiert ist und dass diese demokratische Konsolidierung eine Einbahnstraße ist. Wenn ein Land erst einmal wirklich demokratisch ist und relativ wohlhabend, dann müssen wir uns über die Zukunft keine Sorgen mehr machen.
Das müsste aber zumindest bedeuten, dass die meisten Menschen sich erstens für die Demokratie begeistern. Dass sie zweitens für autoritäre Alternativen zur Demokratie nicht offen sind. Und dass drittens alle Politiker, die wirklich Macht haben im System, die Grundregeln des freiheitlich-demokratischen Systems befürworten.
Höhere Zustimmung für autoritäre Regierungssysteme
Deutschlandfunk Kultur: Das scheint aber ein großer Irrtum zu sein, wenn ich Ihr Buch lese. Sie haben ein neues Buch geschrieben: "Der Zerfall der Demokratie" heißt es. Und darin lese ich Sätze wie: "In den kommenden Jahren geht es um nichts weniger als um das Überleben der freiheitlich-demokratischen Grundordnung". – Da übertreiben Sie aber schon ein bisschen, oder?
Yascha Mounk: Ich glaube, nein. Denn genau damit habe ich angefangen mich auseinanderzusetzen, das war vor ein paar Jahren, bevor – wie Sie gesagt haben – Donald Trump Präsident der USA war, und geschaut: Erstens, stimmt das denn noch, dass die Menschen wirklich sagen, die Demokratie ist das richtige Regierungssystem? Zweitens, Menschen, nicht nur in den USA, sind immer offener für autoritäre Alternativen zur Demokratie. Und dann kommen wir zur dritten Frage: Gibt es denn Politiker, die wirklich Macht haben im System, die gegen die Grundnormen der Demokratie antreten?
Deutschlandfunk Kultur: Bauen Sie das mal aus. Was zeigt Ihre Forschung zu diesen drei Kriterien?
Yascha Mounk: Sie zeigt, dass die Menschen mittlerweile eine viel negativere Meinung haben, und zwar nicht nur zu dieser oder jener Regierung, sondern über das demokratische System selbst. Dass die Anzahl der Menschen zum Beispiel, die sagen, die Demokratie halte ich für ein schlechtes oder sehr schlechtes Regierungssystem, in den letzten 20 Jahren gestiegen ist.
Sie zeigt, dass die Zustimmung der Menschen zu Alternativen zur Demokratie viel stärker geworden ist. Wenn man zum Beispiel in Deutschland schaut, hat sich die Zahl der Deutschen, die sich für einen starken Anführer aussprechen, der sich nicht mit Wahlen und Parlamenten herumschlagen muss, in den letzten Jahren verdoppelt. Es waren einmal 16 Prozent vor ungefähr zwanzig Jahren. Mittlerweile sind es 33 Prozent.
Yascha Mounk: Ich glaube, nein. Denn genau damit habe ich angefangen mich auseinanderzusetzen, das war vor ein paar Jahren, bevor – wie Sie gesagt haben – Donald Trump Präsident der USA war, und geschaut: Erstens, stimmt das denn noch, dass die Menschen wirklich sagen, die Demokratie ist das richtige Regierungssystem? Zweitens, Menschen, nicht nur in den USA, sind immer offener für autoritäre Alternativen zur Demokratie. Und dann kommen wir zur dritten Frage: Gibt es denn Politiker, die wirklich Macht haben im System, die gegen die Grundnormen der Demokratie antreten?
Deutschlandfunk Kultur: Bauen Sie das mal aus. Was zeigt Ihre Forschung zu diesen drei Kriterien?
Yascha Mounk: Sie zeigt, dass die Menschen mittlerweile eine viel negativere Meinung haben, und zwar nicht nur zu dieser oder jener Regierung, sondern über das demokratische System selbst. Dass die Anzahl der Menschen zum Beispiel, die sagen, die Demokratie halte ich für ein schlechtes oder sehr schlechtes Regierungssystem, in den letzten 20 Jahren gestiegen ist.
Sie zeigt, dass die Zustimmung der Menschen zu Alternativen zur Demokratie viel stärker geworden ist. Wenn man zum Beispiel in Deutschland schaut, hat sich die Zahl der Deutschen, die sich für einen starken Anführer aussprechen, der sich nicht mit Wahlen und Parlamenten herumschlagen muss, in den letzten Jahren verdoppelt. Es waren einmal 16 Prozent vor ungefähr zwanzig Jahren. Mittlerweile sind es 33 Prozent.
Das demokratische System wird infrage gestellt
Aber das Wichtigste ist vielleicht der dritte Punkt. Es hielten die meisten Amerikaner für unmöglich, dass jemand wie Donald Trump, der sagt, die Opposition ist nicht legitim, sondern Hillary Clinton muss eingesperrt werden, unabhängige Institutionen wie das FBI machen nicht einfach ihren Job, sondern sie sind der Deep State, sie sind Verräter, sie sind Feinde des amerikanischen Volkes – so ein Mensch, hat man gesagt, könne nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden. Und jetzt sehen wir, dass er das ist.
Wir sehen in vielen europäischen Ländern, auch in Westeuropa, dass ähnliche Populisten, die ebenfalls die politischen Kontrahenten für nicht legitim halten, die sagen, ich alleine stehe für das Volk und alle anderen sind illegitim, alle anderen sind Verräter – solche Menschen haben immer mehr Macht in unserem System.
Das bedeutet, auch das dritte Kriterium ist mittlerweile verletzt. Wir haben nicht mehr ein politisches System, in dem alle Mächtigen sich wirklich – bei all ihren Unterschieden zueinander – für das System selber aussprechen.
Deutschlandfunk Kultur: Wer in der Bevölkerung glaubt diese Dinge? Man könnte meinen, in den USA zum Beispiel, wo die jungen Menschen mehrheitlich nicht für Donald Trump gestimmt haben, dass das eine Generationenfrage ist. – Ist es das?
Yascha Mounk: Das ist es in den USA zum Teil, auch, weil Donald Trump, der über siebzig Jahre alt ist, es nicht besonders versucht hat, junge Leute anzusprechen. Aber man sieht in vielen Ländern durchaus auch, dass Populisten, die sich gegen das System stellen, unter jungen Menschen beliebt sein können. In Frankreich haben im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr über fünfzig Prozent entweder für Marine Le Pen, eine rechtsextreme Populistin, oder für Mélenchon, einen linksextremen Populisten, gestimmt.
Wir sehen auch in Deutschland, dass die AfD nicht unbedingt unter älteren Menschen am beliebtesten ist, sondern unter Menschen zwischen 25 und 35 zum Beispiel. Und natürlich sieht man in Spanien und in Italien und in Lateinamerika, dass sich sehr viele junge Leute für Populisten begeistern.
Wir sehen in vielen europäischen Ländern, auch in Westeuropa, dass ähnliche Populisten, die ebenfalls die politischen Kontrahenten für nicht legitim halten, die sagen, ich alleine stehe für das Volk und alle anderen sind illegitim, alle anderen sind Verräter – solche Menschen haben immer mehr Macht in unserem System.
Das bedeutet, auch das dritte Kriterium ist mittlerweile verletzt. Wir haben nicht mehr ein politisches System, in dem alle Mächtigen sich wirklich – bei all ihren Unterschieden zueinander – für das System selber aussprechen.
Deutschlandfunk Kultur: Wer in der Bevölkerung glaubt diese Dinge? Man könnte meinen, in den USA zum Beispiel, wo die jungen Menschen mehrheitlich nicht für Donald Trump gestimmt haben, dass das eine Generationenfrage ist. – Ist es das?
Yascha Mounk: Das ist es in den USA zum Teil, auch, weil Donald Trump, der über siebzig Jahre alt ist, es nicht besonders versucht hat, junge Leute anzusprechen. Aber man sieht in vielen Ländern durchaus auch, dass Populisten, die sich gegen das System stellen, unter jungen Menschen beliebt sein können. In Frankreich haben im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr über fünfzig Prozent entweder für Marine Le Pen, eine rechtsextreme Populistin, oder für Mélenchon, einen linksextremen Populisten, gestimmt.
Wir sehen auch in Deutschland, dass die AfD nicht unbedingt unter älteren Menschen am beliebtesten ist, sondern unter Menschen zwischen 25 und 35 zum Beispiel. Und natürlich sieht man in Spanien und in Italien und in Lateinamerika, dass sich sehr viele junge Leute für Populisten begeistern.
Die Frustration wächst
Deutschlandfunk Kultur: Das sind Länder, die auch finanzielle Schwierigkeiten haben, in denen es wirtschaftliche Krisen gibt. Uns in Deutschland geht es eigentlich relativ gut. Gerade die jüngeren Menschen haben keinen Krieg erlebt, keine wirklich echten Krisen. – Sind wir in unserer Wohlstandsdemokratie fett und faul geworden?
Yascha Mounk: Fett und faul würde ich nicht sagen, aber natürlich hat dieser Wandel in den öffentlichen Ansichten etwas damit zu tun, dass die Menschen die Alternative zur Demokratie nicht mehr wirklich vor Augen haben. Für Menschen, die wissen, was Faschismus bedeutet, die wissen, was Kommunismus bedeutet, ist es viel einfacher zu sagen: Ja, unser Land hat Probleme. Unser politisches System hat Probleme, aber im Endeffekt ist es ganz klar, dass es vorzuziehen ist gegenüber diesen anderen Dingen, die ich erlebt habe oder gegen die ich gekämpft habe.
Das ist für junge Menschen viel abstrakter. Die sagen sich: Ich sehe so viele Probleme in unserem eigenen Land. Na ja, wenn jemand sagt, ich mache mal was Radikales, um das alles zu lösen, und vielleicht verändert er ein paar Sachen, wie schlimm kann es denn werden? – Und das macht mir durchaus Angst.
Das Zweite ist, dass natürlich viel Frustration dabei ist. Auch in Deutschland, auch in vielen europäischen Ländern geht es den Jungen nicht besser als den Älteren. Ein Grundversprechen der Wohlstandsdemokratie ist es immer gewesen, dass es dem Sohn oder der Tochter besser gehen wird als dem Vater oder der Mutter. Das ist in vielen Familien nicht mehr so. Die Menschen sind groß geworden mit einem Versprechen von größerem materiellem Wohlstand, von besseren Möglichkeiten, von besseren Bildungschancen, das nicht eingelöst worden ist. Das führt zu sehr viel Wut und Frustration.
Deutschlandfunk Kultur: Dazu kommen wir gleich noch. Was mir als ein besonderer Gedanke in Ihrem Buch erscheint, ist, dass Sie schreiben, dass sich mittlerweile Grundelemente unserer liberalen demokratischen Ordnung gegeneinander wenden. Dass Liberalismus – und damit meinen Sie nicht im amerikanischen Sinne die Linke oder im deutschen Sinne die FDP, sondern Menschen, die einen liberalen Rechtsstaat, also mit Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit schätzen – dass dieser Liberalismus und die Demokratie plötzlich gegeneinander kämpfen. – Wie das denn?
Yascha Mounk: Fett und faul würde ich nicht sagen, aber natürlich hat dieser Wandel in den öffentlichen Ansichten etwas damit zu tun, dass die Menschen die Alternative zur Demokratie nicht mehr wirklich vor Augen haben. Für Menschen, die wissen, was Faschismus bedeutet, die wissen, was Kommunismus bedeutet, ist es viel einfacher zu sagen: Ja, unser Land hat Probleme. Unser politisches System hat Probleme, aber im Endeffekt ist es ganz klar, dass es vorzuziehen ist gegenüber diesen anderen Dingen, die ich erlebt habe oder gegen die ich gekämpft habe.
Das ist für junge Menschen viel abstrakter. Die sagen sich: Ich sehe so viele Probleme in unserem eigenen Land. Na ja, wenn jemand sagt, ich mache mal was Radikales, um das alles zu lösen, und vielleicht verändert er ein paar Sachen, wie schlimm kann es denn werden? – Und das macht mir durchaus Angst.
Das Zweite ist, dass natürlich viel Frustration dabei ist. Auch in Deutschland, auch in vielen europäischen Ländern geht es den Jungen nicht besser als den Älteren. Ein Grundversprechen der Wohlstandsdemokratie ist es immer gewesen, dass es dem Sohn oder der Tochter besser gehen wird als dem Vater oder der Mutter. Das ist in vielen Familien nicht mehr so. Die Menschen sind groß geworden mit einem Versprechen von größerem materiellem Wohlstand, von besseren Möglichkeiten, von besseren Bildungschancen, das nicht eingelöst worden ist. Das führt zu sehr viel Wut und Frustration.
Deutschlandfunk Kultur: Dazu kommen wir gleich noch. Was mir als ein besonderer Gedanke in Ihrem Buch erscheint, ist, dass Sie schreiben, dass sich mittlerweile Grundelemente unserer liberalen demokratischen Ordnung gegeneinander wenden. Dass Liberalismus – und damit meinen Sie nicht im amerikanischen Sinne die Linke oder im deutschen Sinne die FDP, sondern Menschen, die einen liberalen Rechtsstaat, also mit Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit schätzen – dass dieser Liberalismus und die Demokratie plötzlich gegeneinander kämpfen. – Wie das denn?
Ein System von Rechte ohne Demokratie
Yascha Mounk: Genau. Ich glaube, um unser politisches System zu verstehen, ist es hilfreich, diese zwei Elemente auseinanderzuhalten. Wir sind zum einen ein liberales, also ein freiheitliches System, in dem es einen Rechtsstaat gibt, in dem Menschen Rechte haben und so weiter. Zum anderen sind wir ein demokratisches System, was zumindest bedeuten muss, dass wir bis zu einem bestimmten Grade die Meinung der Menschen auch in Politik umsetzen. Ich habe das Gefühl, dass diese beiden Sachen seit langer Zeit immer mehr auseinander klaffen. Das bedeutet: Wir haben in Europa, in Deutschland, auch in den USA ein System von Rechte ohne Demokratie, von undemokratischem Liberalismus.
Deutschlandfunk Kultur: Wir haben in Deutschland ein System ohne Demokratie?
Yascha Mounk: Ein System zumindest, das nicht voll demokratisch ist, ja. Und zwar aus zwei Gründen: zunächst einmal weil das Geld eine sehr große Rolle in der Politik spielt. Weil sich politische Eliten immer mehr von dem Rest der Bevölkerung abgekoppelt haben. Aber auch, weil die Fürsprecher der Bevölkerung, also der Bundestag, die Legislative, immer weniger Macht hat – weil sie eingegrenzt worden ist von der Bürokratie, von Gerichten, von Zentralbanken, von Handelsverträgen, von internationalen Organisationen.
Wenn wir diese ganzen Entwicklungen zusammennehmen, dann schaut man auf den Bundestag und sagt: Na ja, die Meinung der Menschen reflektiert er nicht besonders gut. Und in sehr vielen Bereichen hat er sowieso nichts mitzubestimmen. – Das halte ich für ein großes Problem.
Deutschlandfunk Kultur: Haben Populisten in ihrer Diagnose also doch Recht?
Yascha Mounk: In Teilen ihrer Diagnose ja, absolut. Ich glaube, der Populismus ist nur zu verstehen als Antwort auf echte Probleme. Das Problem des Populismus ist aber, dass er falsche Lösungen auf diese echten Probleme verspricht.
Ich halte den Populismus nicht für Rechte ohne Demokratie, sondern im Umkehrschluss für Demokratie ohne Recht. Das bedeutet, dass die Populisten oft tatsächlich der Mehrheit aus der Seele sprechen. Das sieht man gerade, wenn es um Einwanderung geht und wenn es um Religionsfreiheit geht. Ich finde es skandalös, dass in der Schweiz eine Mehrheit der Bevölkerung das Bauen von Minaretten verboten hat. Das geht gegen die freiheitliche Grundordnung. Es geht gegen die Religionsfreiheit auch von Minderheiten. – Aber man kann nicht abstreiten, dass das eine populäre Position gewesen ist. Deshalb haben sie darüber ein Referendum gewonnen.
Deutschlandfunk Kultur: Mit ähnlich radikal-demokratischen Forderungen tritt ja auch die AfD an, die bundesweite Volksentscheide einführen will.
Yascha Mounk: Richtig. Ich war für eine Reportage bei einer Veranstaltung der AfD. Die damalige Vorsitzende Frauke Petry redete die ganze Zeit über die Schweiz und wie attraktiv die Schweiz sei, weil es dort eine volle Demokratie gebe. Ja.
Deutschlandfunk Kultur: Wir haben in Deutschland ein System ohne Demokratie?
Yascha Mounk: Ein System zumindest, das nicht voll demokratisch ist, ja. Und zwar aus zwei Gründen: zunächst einmal weil das Geld eine sehr große Rolle in der Politik spielt. Weil sich politische Eliten immer mehr von dem Rest der Bevölkerung abgekoppelt haben. Aber auch, weil die Fürsprecher der Bevölkerung, also der Bundestag, die Legislative, immer weniger Macht hat – weil sie eingegrenzt worden ist von der Bürokratie, von Gerichten, von Zentralbanken, von Handelsverträgen, von internationalen Organisationen.
Wenn wir diese ganzen Entwicklungen zusammennehmen, dann schaut man auf den Bundestag und sagt: Na ja, die Meinung der Menschen reflektiert er nicht besonders gut. Und in sehr vielen Bereichen hat er sowieso nichts mitzubestimmen. – Das halte ich für ein großes Problem.
Deutschlandfunk Kultur: Haben Populisten in ihrer Diagnose also doch Recht?
Yascha Mounk: In Teilen ihrer Diagnose ja, absolut. Ich glaube, der Populismus ist nur zu verstehen als Antwort auf echte Probleme. Das Problem des Populismus ist aber, dass er falsche Lösungen auf diese echten Probleme verspricht.
Ich halte den Populismus nicht für Rechte ohne Demokratie, sondern im Umkehrschluss für Demokratie ohne Recht. Das bedeutet, dass die Populisten oft tatsächlich der Mehrheit aus der Seele sprechen. Das sieht man gerade, wenn es um Einwanderung geht und wenn es um Religionsfreiheit geht. Ich finde es skandalös, dass in der Schweiz eine Mehrheit der Bevölkerung das Bauen von Minaretten verboten hat. Das geht gegen die freiheitliche Grundordnung. Es geht gegen die Religionsfreiheit auch von Minderheiten. – Aber man kann nicht abstreiten, dass das eine populäre Position gewesen ist. Deshalb haben sie darüber ein Referendum gewonnen.
Deutschlandfunk Kultur: Mit ähnlich radikal-demokratischen Forderungen tritt ja auch die AfD an, die bundesweite Volksentscheide einführen will.
Yascha Mounk: Richtig. Ich war für eine Reportage bei einer Veranstaltung der AfD. Die damalige Vorsitzende Frauke Petry redete die ganze Zeit über die Schweiz und wie attraktiv die Schweiz sei, weil es dort eine volle Demokratie gebe. Ja.
Die Rhetorik der Populisten
Aber das Problem der Populisten ist, dass sie für sich beanspruchen, dass sie alleine für das Volk sprechen. Das Problem ist nicht, dass sie zum Teil dem Volk nach dem Mund reden. Das Problem ist, dass sie sagen: Nur wir sprechen für das Volk. Und jeder, der nicht für uns ist, der ist dem Volk fremd, der ist ein Volksverräter. Wie es übrigens Donald Trump im Amerikanischen sagt, die Presse, bestimmte Richter, Demokraten seien Verräter, seien Feinde des Volkes. Das ist die Rhetorik der Populisten. Und sie führt dazu zu sagen: Alle Institutionen, die unsere Macht auf irgendeine Weise einschränken, also unabhängige Gerichte und Institutionen, müssen abgeschafft werden.
Langfristig geht das dann auch gegen die Demokratie, wie man in Ungarn zum Beispiel sieht, wo Orban mittlerweile so viel Macht hat, dass freie und faire Wahlen nicht mehr gewährleistet sind und das Volk, dem er durchaus lange Jahre nach dem Mund gesprochen hat, keine echte Chance mehr hat, ihn abzuwählen, wenn er unpopulär wird.
Deutschlandfunk Kultur: Genau auf solche Länder wollte ich gerade zu sprechen kommen. Polen, Ungarn, die Türkei, vielleicht auch Österreich – welches dieser Länder sollten wir aus Deutschland genau beobachten, um zu sehen, welche Schritte typischerweise ablaufen, auf was wir uns vorbereiten müssen, wenn Populisten in die Parlamente kommen?
Yascha Mounk: Ungarn ist sicherlich ein gutes Beispiel, weil ein Populist dort schon seit einigen Jahren an der Macht ist. Was wir dort gesehen haben, ist jemand, der zunächst einmal die legitime Opposition als illegitim verunglimpft, nicht sagt, na ja, das sind Menschen, mit denen habe ich starke Meinungsverschiedenheiten, aber auch sie sind Demokraten. Sie sollen eine Chance haben, gegen mich anzutreten.
Deutschlandfunk Kultur: Das sind die demokratischen Spielregeln, die nicht eingehalten werden.
Yascha Mounk: Genau. Sondern er sagt: Nein, das sind Volksverräter. Das sind Menschen, die Ungarn schaden wollen. Die werden alle vom Ausland, von George Soros oder jemand anderem gesteuert. Deshalb müssen wir mit harten Bandagen gegen sie vorgehen.
Und man sieht, wie im ersten Schritt die Staatsmedien übernommen werden und Loyalisten eingesetzt werden in alle wichtigen Rollen. Wie Menschen, die seit Jahrzehnten in diesen Institutionen arbeiten, vor der Kamera stehen, plötzlich von den Bildschirmen verschwinden. Man sieht natürlich, wie unabhängige Institutionen, wie Wahlkommissionen mit Loyalisten besetzt werden. Das ist gerade in Ungarn geschehen. Man sieht, dass die Macht der Gerichte sehr stark eingeschränkt wird.
Langfristig geht das dann auch gegen die Demokratie, wie man in Ungarn zum Beispiel sieht, wo Orban mittlerweile so viel Macht hat, dass freie und faire Wahlen nicht mehr gewährleistet sind und das Volk, dem er durchaus lange Jahre nach dem Mund gesprochen hat, keine echte Chance mehr hat, ihn abzuwählen, wenn er unpopulär wird.
Deutschlandfunk Kultur: Genau auf solche Länder wollte ich gerade zu sprechen kommen. Polen, Ungarn, die Türkei, vielleicht auch Österreich – welches dieser Länder sollten wir aus Deutschland genau beobachten, um zu sehen, welche Schritte typischerweise ablaufen, auf was wir uns vorbereiten müssen, wenn Populisten in die Parlamente kommen?
Yascha Mounk: Ungarn ist sicherlich ein gutes Beispiel, weil ein Populist dort schon seit einigen Jahren an der Macht ist. Was wir dort gesehen haben, ist jemand, der zunächst einmal die legitime Opposition als illegitim verunglimpft, nicht sagt, na ja, das sind Menschen, mit denen habe ich starke Meinungsverschiedenheiten, aber auch sie sind Demokraten. Sie sollen eine Chance haben, gegen mich anzutreten.
Deutschlandfunk Kultur: Das sind die demokratischen Spielregeln, die nicht eingehalten werden.
Yascha Mounk: Genau. Sondern er sagt: Nein, das sind Volksverräter. Das sind Menschen, die Ungarn schaden wollen. Die werden alle vom Ausland, von George Soros oder jemand anderem gesteuert. Deshalb müssen wir mit harten Bandagen gegen sie vorgehen.
Und man sieht, wie im ersten Schritt die Staatsmedien übernommen werden und Loyalisten eingesetzt werden in alle wichtigen Rollen. Wie Menschen, die seit Jahrzehnten in diesen Institutionen arbeiten, vor der Kamera stehen, plötzlich von den Bildschirmen verschwinden. Man sieht natürlich, wie unabhängige Institutionen, wie Wahlkommissionen mit Loyalisten besetzt werden. Das ist gerade in Ungarn geschehen. Man sieht, dass die Macht der Gerichte sehr stark eingeschränkt wird.
Das System wird peu à peu verändert
Und was wichtig zu verstehen ist, ist, dass es nicht die eine Maßnahme gibt, durch die die Demokratie abgeschaltet wird. Es ist nicht so, wie man sich das aus den 30er-Jahren vorstellt, dass Leute mit Fackeln durch die Straßen laufen und sagen, wir hassen die Demokratie. Nein, die Populisten geben sich stets als Demokraten und sie verändern das System peu à peu. Es gibt nicht den einen Moment, in dem man den Rubikon überschreitet, aber alles zusammengenommen bedeutet, dass Ungarn mittlerweile keine Demokratie mehr ist.
Deutschlandfunk Kultur: Wobei das nicht immer so klappen muss. Wenn wir auf Polen sehen, dort war die PiS-Regierung schon einmal an der Macht, ist nach einem Jahr gnadenlos auseinander geflogen. Jetzt im zweiten Anlauf krempeln sie das Land massiv um. – Lässt sich da ein Muster erkennen? Wann können sich Populisten an der Macht halten? Und wann zerfallen sie selber?
Yascha Mounk: Es gibt ein paar Muster. Der erste große Unterschied zwischen der ersten PiS-Regierung und der momentanen PiS-Regierung ist, dass die erste PiS-Regierung keine eigene Mehrheit hatte, sondern auf Koalitionspartner angewiesen war. Und als der Koalitionspartner abgesprungen ist, ist die Regierung untergegangen. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Der zweite Unterschied ist, ob die Parteien kompetent sind oder nicht. Leider sind Viktor Orban in Ungarn und Kaczynski in Polen durchaus kompetente Politiker, die für ihre Basis auch viel liefern. In Polen ist mittlerweile eine Art von Kindergeld eingeführt worden, das sehr generös ist. Und jeden Monat erscheint das auf dem Kontoauszug der Polen, das Kindergeld von der Regierung. Die Leute haben das Gefühl, oh, ich sehe jeden Monat, was die Regierung für mich tut. Meine Lieblingsseite von Donald Trump ist, dass er so inkompetent ist. Denn wenn er kompetenter wäre, hätte er eine viel größere Chance, die Demokratie in den USA wirklich zu unterminieren.
Deutschlandfunk Kultur: Wirkt das nicht vielleicht nur so, da wir ständig auf all die Skandale und Affären und sein Gepoltere schauen und dabei vielleicht übersehen, wie sehr er im Hintergrund doch zum Beispiel Minderheitenrechte beschneidet?
Yascha Mounk: Ich halte Donald Trump, um das ganz klar zu sagen, trotzdem für sehr gefährlich, aber ich glaube nicht, dass er so strategisch ist wie Viktor Orban oder Jarosław Kaczyński. Er lässt sich immer wieder ablenken von den letzten Kontroversen. Er muss auch dann seinen Mund öffnen, wenn er Sachen sagt, die höchst unpopulär sind. – Ja, er ist durchaus gefährlich. Er versucht, die Rechte von Minderheiten zu untergraben. Er versucht auch durchaus, das politische System zu seinem eigenen Vorteil zu verändern, zu beschneiden. Gerade auf der Ebene der Bundesstaaten sieht man, wie sehr die Republikaner gegen freie und faire Wahlen angehen.
Aber durch all diese Ablenkungen schafft die Administration von Donald Trump viel weniger als sie sonst tun würde und ist viel weniger beliebt als sie sonst wäre.
Deutschlandfunk Kultur: Wobei das nicht immer so klappen muss. Wenn wir auf Polen sehen, dort war die PiS-Regierung schon einmal an der Macht, ist nach einem Jahr gnadenlos auseinander geflogen. Jetzt im zweiten Anlauf krempeln sie das Land massiv um. – Lässt sich da ein Muster erkennen? Wann können sich Populisten an der Macht halten? Und wann zerfallen sie selber?
Yascha Mounk: Es gibt ein paar Muster. Der erste große Unterschied zwischen der ersten PiS-Regierung und der momentanen PiS-Regierung ist, dass die erste PiS-Regierung keine eigene Mehrheit hatte, sondern auf Koalitionspartner angewiesen war. Und als der Koalitionspartner abgesprungen ist, ist die Regierung untergegangen. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Der zweite Unterschied ist, ob die Parteien kompetent sind oder nicht. Leider sind Viktor Orban in Ungarn und Kaczynski in Polen durchaus kompetente Politiker, die für ihre Basis auch viel liefern. In Polen ist mittlerweile eine Art von Kindergeld eingeführt worden, das sehr generös ist. Und jeden Monat erscheint das auf dem Kontoauszug der Polen, das Kindergeld von der Regierung. Die Leute haben das Gefühl, oh, ich sehe jeden Monat, was die Regierung für mich tut. Meine Lieblingsseite von Donald Trump ist, dass er so inkompetent ist. Denn wenn er kompetenter wäre, hätte er eine viel größere Chance, die Demokratie in den USA wirklich zu unterminieren.
Deutschlandfunk Kultur: Wirkt das nicht vielleicht nur so, da wir ständig auf all die Skandale und Affären und sein Gepoltere schauen und dabei vielleicht übersehen, wie sehr er im Hintergrund doch zum Beispiel Minderheitenrechte beschneidet?
Yascha Mounk: Ich halte Donald Trump, um das ganz klar zu sagen, trotzdem für sehr gefährlich, aber ich glaube nicht, dass er so strategisch ist wie Viktor Orban oder Jarosław Kaczyński. Er lässt sich immer wieder ablenken von den letzten Kontroversen. Er muss auch dann seinen Mund öffnen, wenn er Sachen sagt, die höchst unpopulär sind. – Ja, er ist durchaus gefährlich. Er versucht, die Rechte von Minderheiten zu untergraben. Er versucht auch durchaus, das politische System zu seinem eigenen Vorteil zu verändern, zu beschneiden. Gerade auf der Ebene der Bundesstaaten sieht man, wie sehr die Republikaner gegen freie und faire Wahlen angehen.
Aber durch all diese Ablenkungen schafft die Administration von Donald Trump viel weniger als sie sonst tun würde und ist viel weniger beliebt als sie sonst wäre.
USA: Ein Skandal folgt dem nächsten
Deutschlandfunk Kultur: Trotzdem hat dieses eine Jahr Donald Trump als US-Präsident gezeigt. Wer darauf wartete, er würde sich irgendwie selber entzaubern, dass seine Entgleisungen, seine Grenzüberschreitungen, seine Skandale ihm irgendwie gefährlich werden könnten, der kann lange warten.
Yascha Mounk: Ja, vor allem haben wir gesehen, dass trotz der grotesken Schlagzeilen, die wir fast jeden Tag haben, die so geballt kommen, dass man viele Skandale, die andere Präsidenten bis in alle Ewigkeit in den Geschichtsbüchern definieren würden, schon wieder vergessen hat.
Vor einem Monat haben wir herausgefunden, dass laut Wall Street Journal Donald Trump 130.000 Dollar an eine Pornodarstellerin gezahlt hat, um ihre gemeinsame Affäre zu verhüllen. Das ist in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden, weil am nächsten Tag schon der nächste Skandal in den Schlagzeilen war.
Deutschlandfunk Kultur: Bill Clinton wird sich wundern.
Yascha Mounk: Herr Clinton würde sich wundern und sicherlich auch ein bisschen ärgern darüber, ja. Aber trotz alldem hat Donald Trump seine Kontrolle über die Republikanische Partei zum Beispiel gefestigt.
Deutschlandfunk Kultur: Springen wir aus den USA zurück nach Deutschland. Hier haben wir keinen Donald Trump als Bundeskanzler. Und die AfD lässt sich sicherlich auch nur sehr teilweise mit Donald Trump vergleichen. Trotzdem sitzt sie jetzt im Bundestag. Wenn wir uns anschauen, wie andere Parteien damit umgehen sollten, dann scheint mir das eine tägliche Gratwanderung zu sein. Es gab dann Streitereien – ja, man könnte sagen – "Petitessen", ob AfD-Abgeordnete im Bundestags-Fußballteam mitspielen dürfen. Es gibt die Überlegung, ob die anderen Parteien die Kandidaten der AfD für Ausschüsse absegnen oder durchfallen lassen sollen.
Zu was raten Sie? Es ist ja immer die Frage, über welches Stöckchen springen und welches Stöckchen ignorieren.
Yascha Mounk: Ich habe keine besonders starke Meinung dazu, wer jetzt im Bundestags-Fußballteam spielen darf und wer nicht. Ich glaube auch: Dämonisierung bringt nicht viel. Man muss Menschen respektvoll begegnen, aber auch die ideologischen Unterschiede und die Unterschiede unserer Werte ganz, ganz klar zutage treten lassen. Ich glaube, im Endeffekt verfolgt die Bevölkerung auch nicht so im Detail, was da jetzt genau im Bundestag vorgeht und wer jetzt in welchem Ausschuss von wem eine Stimme gekriegt hat.
Yascha Mounk: Ja, vor allem haben wir gesehen, dass trotz der grotesken Schlagzeilen, die wir fast jeden Tag haben, die so geballt kommen, dass man viele Skandale, die andere Präsidenten bis in alle Ewigkeit in den Geschichtsbüchern definieren würden, schon wieder vergessen hat.
Vor einem Monat haben wir herausgefunden, dass laut Wall Street Journal Donald Trump 130.000 Dollar an eine Pornodarstellerin gezahlt hat, um ihre gemeinsame Affäre zu verhüllen. Das ist in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden, weil am nächsten Tag schon der nächste Skandal in den Schlagzeilen war.
Deutschlandfunk Kultur: Bill Clinton wird sich wundern.
Yascha Mounk: Herr Clinton würde sich wundern und sicherlich auch ein bisschen ärgern darüber, ja. Aber trotz alldem hat Donald Trump seine Kontrolle über die Republikanische Partei zum Beispiel gefestigt.
Deutschlandfunk Kultur: Springen wir aus den USA zurück nach Deutschland. Hier haben wir keinen Donald Trump als Bundeskanzler. Und die AfD lässt sich sicherlich auch nur sehr teilweise mit Donald Trump vergleichen. Trotzdem sitzt sie jetzt im Bundestag. Wenn wir uns anschauen, wie andere Parteien damit umgehen sollten, dann scheint mir das eine tägliche Gratwanderung zu sein. Es gab dann Streitereien – ja, man könnte sagen – "Petitessen", ob AfD-Abgeordnete im Bundestags-Fußballteam mitspielen dürfen. Es gibt die Überlegung, ob die anderen Parteien die Kandidaten der AfD für Ausschüsse absegnen oder durchfallen lassen sollen.
Zu was raten Sie? Es ist ja immer die Frage, über welches Stöckchen springen und welches Stöckchen ignorieren.
Yascha Mounk: Ich habe keine besonders starke Meinung dazu, wer jetzt im Bundestags-Fußballteam spielen darf und wer nicht. Ich glaube auch: Dämonisierung bringt nicht viel. Man muss Menschen respektvoll begegnen, aber auch die ideologischen Unterschiede und die Unterschiede unserer Werte ganz, ganz klar zutage treten lassen. Ich glaube, im Endeffekt verfolgt die Bevölkerung auch nicht so im Detail, was da jetzt genau im Bundestag vorgeht und wer jetzt in welchem Ausschuss von wem eine Stimme gekriegt hat.
Den Menschen Hoffnung geben
Was viel wichtiger ist, ist, dass wir als moderate politische Kräfte eine wirkliche Alternative entwickeln und den Menschen sagen: Momentan habt ihr eine Wahl zwischen einer moderaten Politik des Status Quo und einer extremistischen Politik des Wandels. Und es ist verständlich, dass ihr dann manchmal zur extremistischen Politik des Wandels wollt. Weil es wirklich vieles gibt, was im Argen liegt. Aber wir verbessern uns jetzt und wir bieten euch eine moderate, eine nicht ideologische Politik des Wandels, die Menschen wirklich Hoffnung geben kann, dass die Zukunft besser aussehen wird und nicht schlechter.
Wenn wir das schaffen, dann ist das viel wichtiger als wer da jetzt im Fußballteam des Bundestags mitspielt oder nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Das wäre also das berühmte Zuhören und Sorgen ernst nehmen. Noch lange, bevor die AfD im Bundestag abzusehen war, hat es Sigmar Gabriel versucht und ist nach Dresden gegangen und hat sich mit Pegida-Anhängern in einen Raum gesetzt, mit ihnen gesprochen. Es hat nichts geholfen.
Yascha Mounk: Ja, das ist eine Show, zu sagen, oh, wir hören euch zu. Das muss man als Politiker sicher auch machen, aber vor allem müssen Politiker endlich eine Vision entwickeln. Denn im Endeffekt wollen die Leute in dem Raum nicht nur sehen, dass Sigmar Gabriel da sitzt und sagt, ich höre euch jetzt mal zu, sondern sie wollen sehen, dass der Herr Gabriel ihnen eine Hoffnung vermitteln kann, dass es ihnen besser gehen wird, dass sie einen besseren Job haben werden, dass sie sich über die Zukunft ihrer Kinder keine Sorgen machen müssen. Da versagt die Politik momentan.
Wenn man sich anschaut, was im Vertrag der Großen Koalition steht, wie Politik verwaltet worden ist in den letzten zehn Jahren, ist es sehr schwer das Gefühl zu haben, dass die Politiker hier wirklich gestalten wollen, dass sie sagen wollen, die Zukunft wird anders aussehen als die Gegenwart. – Das ist im Endeffekt ein viel größerer Grund der Frustration als ob Herr Gabriel sich da jetzt in irgendeinen Raum mit Pegida-Mitgliedern hinsetzt oder nicht.
Wenn wir das schaffen, dann ist das viel wichtiger als wer da jetzt im Fußballteam des Bundestags mitspielt oder nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Das wäre also das berühmte Zuhören und Sorgen ernst nehmen. Noch lange, bevor die AfD im Bundestag abzusehen war, hat es Sigmar Gabriel versucht und ist nach Dresden gegangen und hat sich mit Pegida-Anhängern in einen Raum gesetzt, mit ihnen gesprochen. Es hat nichts geholfen.
Yascha Mounk: Ja, das ist eine Show, zu sagen, oh, wir hören euch zu. Das muss man als Politiker sicher auch machen, aber vor allem müssen Politiker endlich eine Vision entwickeln. Denn im Endeffekt wollen die Leute in dem Raum nicht nur sehen, dass Sigmar Gabriel da sitzt und sagt, ich höre euch jetzt mal zu, sondern sie wollen sehen, dass der Herr Gabriel ihnen eine Hoffnung vermitteln kann, dass es ihnen besser gehen wird, dass sie einen besseren Job haben werden, dass sie sich über die Zukunft ihrer Kinder keine Sorgen machen müssen. Da versagt die Politik momentan.
Wenn man sich anschaut, was im Vertrag der Großen Koalition steht, wie Politik verwaltet worden ist in den letzten zehn Jahren, ist es sehr schwer das Gefühl zu haben, dass die Politiker hier wirklich gestalten wollen, dass sie sagen wollen, die Zukunft wird anders aussehen als die Gegenwart. – Das ist im Endeffekt ein viel größerer Grund der Frustration als ob Herr Gabriel sich da jetzt in irgendeinen Raum mit Pegida-Mitgliedern hinsetzt oder nicht.
Populisten nutzen Verlust- und Zukunftsängste der Wähler
Deutschlandfunk Kultur: Gleichzeitig zeigen aber Studien, dass das durchschnittliche Einkommen von AfD-Wählern sich eigentlich gar nicht groß vom durchschnittlichen deutschen Einkommen insgesamt unterscheidet. – Welche Rolle kann dann die Wirtschaft spielen, wenn es doch eigentlich gar keinen Unterschied gibt?
Yascha Mounk: Ja, das ist, glaube ich, zu einfach. Das ist so, als ob man sagen würde: Der Zuwachs für die Populisten hat nichts mit Einwanderung zu tun, sonst müsste ja in Berlin und Hamburg und Köln der größte Wähleranteil für die Populisten sein. Es ist ein bisschen komplizierter als das.
Deutschlandfunk Kultur: Erklären Sie es.
Yascha Mounk: Was man auf jeden Fall in wirtschaftlichen Daten sieht, ist zunächst einmal, dass reaktionäre Kräfte eher in der mittleren und in der unteren Mittelklasse einen sehr starken Rückhalt haben, das, was man früher die petite bourgeoisie genannt hätte. Das bedeutet, dass sie im Durchschnitt nicht besonders arm sind, weil zum Beispiel sehr viele, die wirklich arm sind, dann doch noch SPD oder heutzutage vielleicht Die Linke wählen.
Zum Zweiten sieht man ganz klar, dass die Wählerschaft für die Populisten – und das gilt ebenso für die AfD wie für den Front National in Frankreich oder für Donald Trump in USA oder für den Brexit in Großbritannien – besonders in Landesteilen, die wirtschaftlich nicht sehr dynamisch sind, geballt ist. Wenn man schaut, wo sind die Investitionen, wo ist das Pro-Kopf-Einkommen besonders hoch oder niedrig, selbst wenn man sich anschaut – das ist eine Studie, die ich mit einem Kollegen gemacht habe –, in welchen Landesteilen ist die Anzahl an Jobs, die vielleicht durch Automatisierung, also durch Roboter, verloren gehen wird, besonders hoch, all das sind gute Anzeichen dafür, wo Leute für die Populisten stimmen.
Sie haben also sehr wohl einen Eindruck davon: Mir geht es vielleicht noch ganz gut, aber ich habe keine Uni-Bildung. In meiner Region sind nicht wirklich viele Investitionen. Die Zukunft wird hart werden. – Und dadurch haben sie Verlustängste, Zukunftsängste. Und die wissen die Populisten sehr stark auszunutzen.
Deutschlandfunk Kultur: Parteien müssen Visionen entwerfen, sagen Sie. Und Sie schreiben, ein Kriterium, warum Populismus erfolgreich ist, das ist, dass wir tatsächlich in einer Zeit leben, in der ehemals monoethnische Bevölkerungsgruppen und Länder umgewandelt werden, also das, was die AfD wahrscheinlich Masseneinwanderung nennen würde, und dass das Angst macht.
Yascha Mounk: Ja, das ist, glaube ich, zu einfach. Das ist so, als ob man sagen würde: Der Zuwachs für die Populisten hat nichts mit Einwanderung zu tun, sonst müsste ja in Berlin und Hamburg und Köln der größte Wähleranteil für die Populisten sein. Es ist ein bisschen komplizierter als das.
Deutschlandfunk Kultur: Erklären Sie es.
Yascha Mounk: Was man auf jeden Fall in wirtschaftlichen Daten sieht, ist zunächst einmal, dass reaktionäre Kräfte eher in der mittleren und in der unteren Mittelklasse einen sehr starken Rückhalt haben, das, was man früher die petite bourgeoisie genannt hätte. Das bedeutet, dass sie im Durchschnitt nicht besonders arm sind, weil zum Beispiel sehr viele, die wirklich arm sind, dann doch noch SPD oder heutzutage vielleicht Die Linke wählen.
Zum Zweiten sieht man ganz klar, dass die Wählerschaft für die Populisten – und das gilt ebenso für die AfD wie für den Front National in Frankreich oder für Donald Trump in USA oder für den Brexit in Großbritannien – besonders in Landesteilen, die wirtschaftlich nicht sehr dynamisch sind, geballt ist. Wenn man schaut, wo sind die Investitionen, wo ist das Pro-Kopf-Einkommen besonders hoch oder niedrig, selbst wenn man sich anschaut – das ist eine Studie, die ich mit einem Kollegen gemacht habe –, in welchen Landesteilen ist die Anzahl an Jobs, die vielleicht durch Automatisierung, also durch Roboter, verloren gehen wird, besonders hoch, all das sind gute Anzeichen dafür, wo Leute für die Populisten stimmen.
Sie haben also sehr wohl einen Eindruck davon: Mir geht es vielleicht noch ganz gut, aber ich habe keine Uni-Bildung. In meiner Region sind nicht wirklich viele Investitionen. Die Zukunft wird hart werden. – Und dadurch haben sie Verlustängste, Zukunftsängste. Und die wissen die Populisten sehr stark auszunutzen.
Deutschlandfunk Kultur: Parteien müssen Visionen entwerfen, sagen Sie. Und Sie schreiben, ein Kriterium, warum Populismus erfolgreich ist, das ist, dass wir tatsächlich in einer Zeit leben, in der ehemals monoethnische Bevölkerungsgruppen und Länder umgewandelt werden, also das, was die AfD wahrscheinlich Masseneinwanderung nennen würde, und dass das Angst macht.
Deutschlands Wandel zu einer multiethnische Gesellschaft
Yascha Mounk: Ja, das ist sicherlich ein Teil davon. Es ist kein Zufall, dass sich die Demokratie in Deutschland gefestigt hat nach dem Zweiten Weltkrieg, der eine riesige ethnische Säuberung war. Die Demokratie in den meisten europäischen Ländern basiert auf einer monoethnischen, monokulturellen Vorstellung davon, was – in Anführungszeichen – ein "echter Deutscher", ein "echter Franzose", ein "echter Italiener" ist.
1960 wäre es den Menschen klar gewesen, dass jemand, der schwarz ist, oder jemand, der muslimisch ist, kein Deutscher sein kann. Das hat sich – ja, durch starke Einwanderung – verändert, zum Glück verändert. Denn für mich ist Teil der liberalen Demokratie, dass Menschen nicht durch ihre Herkunft bestimmt sind und selber bestimmen können, was sie glauben, zu welchem Gott sie beten oder nicht beten. Das ist Teil unseres politischen Systems. Aber es bedeutet natürlich eine riesige Veränderung. Es ist ein historisch einzigartiges Experiment, eine Demokratie zu nehmen, die diese monoethnische Vorstellung von sich selber hatte, und sie in eine multiethnische Gesellschaft umzuwandeln.
Nun gibt es große Bevölkerungsteile, ich zähle mich da hinzu, die das willkommen heißen, die das wunderbar finden, die das richtig finden. Aber es gibt natürlich auch Teile der Gesellschaft, denen das Ängste bereitet und die sich dann dagegen aufbäumen. Das das müssen wir offen anerkennen.
Deutschlandfunk Kultur: Und die Antwort, die Sie darauf geben, die hat mich dann doch verblüfft. Viele eher linke Politikwissenschaftler würden vermutlich sagen, dass Nationalismus etwas ist, das wir überwinden müssen. Sie beschreiben Nationalismus als ein wildes Tier, das es zu zähmen gilt. – Wie wollen Sie denn Nationalismus zähmen?
Yascha Mounk: Ich hatte in meiner Kindheit die Hoffnung, dass wir in unserer Gesellschaft jegliche Form von kollektiver Zugehörigkeit abschaffen können, dass Leute sagen können, ich bin Mensch, ich bin ein Individuum. Was bedeutet es für mich, Deutscher zu sein? Das ist mir egal. Und vor 20 oder 25 Jahren schien das auch realistischer. Wir sahen, dass junge Menschen weniger nationalistisch sind als ältere Menschen, dass durch Internet und Globalisierung immer mehr Kontakt zwischen den Kulturen war.
Ich halte das mittlerweile tatsächlich für den falschen Ansatz – zum Teil, weil ich in vielen verschiedenen Ländern gelebt habe und lebe und sehe, dass die kulturellen Unterschiede zwischen England und Deutschland, zwischen den USA und Deutschland, auch zwischen Italien und Deutschland viel größer sind, als mir das als 18-Jährigem klar war.
Deutschlandfunk Kultur: Aber das ist doch kein Nationalismus.
Yascha Mounk: Ich komm gleich dazu. – Und zum Teil halte ich das mittlerweile für den falschen Ansatz, weil wir in den letzten zwanzig Jahren auch die politische Kraft des Nationalismus gesehen haben, und zwar oft in der schlimmsten Form: ob es der Aufstieg der Rechtspopulisten ist, ob es das Aufbäumen gegen die Europäische Union in Großbritannien ist oder ob es der weiße, rassistische Nationalismus von Teilen der Trump-Administration in den USA ist.
1960 wäre es den Menschen klar gewesen, dass jemand, der schwarz ist, oder jemand, der muslimisch ist, kein Deutscher sein kann. Das hat sich – ja, durch starke Einwanderung – verändert, zum Glück verändert. Denn für mich ist Teil der liberalen Demokratie, dass Menschen nicht durch ihre Herkunft bestimmt sind und selber bestimmen können, was sie glauben, zu welchem Gott sie beten oder nicht beten. Das ist Teil unseres politischen Systems. Aber es bedeutet natürlich eine riesige Veränderung. Es ist ein historisch einzigartiges Experiment, eine Demokratie zu nehmen, die diese monoethnische Vorstellung von sich selber hatte, und sie in eine multiethnische Gesellschaft umzuwandeln.
Nun gibt es große Bevölkerungsteile, ich zähle mich da hinzu, die das willkommen heißen, die das wunderbar finden, die das richtig finden. Aber es gibt natürlich auch Teile der Gesellschaft, denen das Ängste bereitet und die sich dann dagegen aufbäumen. Das das müssen wir offen anerkennen.
Deutschlandfunk Kultur: Und die Antwort, die Sie darauf geben, die hat mich dann doch verblüfft. Viele eher linke Politikwissenschaftler würden vermutlich sagen, dass Nationalismus etwas ist, das wir überwinden müssen. Sie beschreiben Nationalismus als ein wildes Tier, das es zu zähmen gilt. – Wie wollen Sie denn Nationalismus zähmen?
Yascha Mounk: Ich hatte in meiner Kindheit die Hoffnung, dass wir in unserer Gesellschaft jegliche Form von kollektiver Zugehörigkeit abschaffen können, dass Leute sagen können, ich bin Mensch, ich bin ein Individuum. Was bedeutet es für mich, Deutscher zu sein? Das ist mir egal. Und vor 20 oder 25 Jahren schien das auch realistischer. Wir sahen, dass junge Menschen weniger nationalistisch sind als ältere Menschen, dass durch Internet und Globalisierung immer mehr Kontakt zwischen den Kulturen war.
Ich halte das mittlerweile tatsächlich für den falschen Ansatz – zum Teil, weil ich in vielen verschiedenen Ländern gelebt habe und lebe und sehe, dass die kulturellen Unterschiede zwischen England und Deutschland, zwischen den USA und Deutschland, auch zwischen Italien und Deutschland viel größer sind, als mir das als 18-Jährigem klar war.
Deutschlandfunk Kultur: Aber das ist doch kein Nationalismus.
Yascha Mounk: Ich komm gleich dazu. – Und zum Teil halte ich das mittlerweile für den falschen Ansatz, weil wir in den letzten zwanzig Jahren auch die politische Kraft des Nationalismus gesehen haben, und zwar oft in der schlimmsten Form: ob es der Aufstieg der Rechtspopulisten ist, ob es das Aufbäumen gegen die Europäische Union in Großbritannien ist oder ob es der weiße, rassistische Nationalismus von Teilen der Trump-Administration in den USA ist.
Für einen "inklusiven Patriotismus" kämpfen
Deshalb glaube ich, dass es der viel bessere Ansatz ist, für einen inklusiven Patriotismus zu kämpfen, indem man sagt: Ja, es bedeutet etwas, Deutscher zu sein. Und wir verbinden damit etwas. Aber wir kämpfen darum, dass jeder da mit eingebunden sein kann, dass ein Schwarzer oder ein Muslime oder ein Hinduist oder ein Jude genauso Deutscher sein kann wie jemand, der weiß und christlich ist und dessen Ur-Ur-Ureltern schon in Deutschland gelebt haben. – Das halte ich für die bessere Art, mit dem negativen Potenzial, mit dem gefährlichen Potenzial des Nationalismus umzugehen, als zu sagen, nein, wir überlassen den Nationalismus vollkommen den Rechten.
Deutschlandfunk Kultur: Die schwarz-rote Koalition, so sie denn kommt, plant, das Innenministerium zu einem Heimatministerium zu erweitern. Davon müssten Sie dann ziemlich begeistert sein, oder?
Yascha Mounk: Zuerst mal gibt es einen Unterschied zwischen einem Begriff der Nation und einem Begriff der Heimat. Heimat klingt mir dann doch ein bisschen zu altertümlich und den Populisten nachgeplappert. Ich weiß auch nicht wirklich, was Horst Seehofer von der CSU damit meint. Aber wenn es darum geht zu sagen, wie wir alle Menschen in ein Wir-Gefühl einschließen können, das durchaus sich seiner selbst bewusst ist und sich nicht versteckt, dann hätte ich damit kein Problem. Ich glaube nicht ganz, dass das aus dieser politischen Richtung kommt – leider.
Deutschlandfunk Kultur: Dieser inklusive Patriotismus, den Sie fordern, der bedeutet auch, nicht nur Diskriminierung zu bekämpfen, sondern auch Ausnahme von Pflichten zu verhindern. Was sehen Sie da, was es zu verhindern gilt?
Yascha Mounk: Ich sehe gerade in den USA, aber es schwappt langsam auch nach Deutschland hinüber, eine bestimmte Versuchung in Teilen der Linken, kulturell relativistisch zu werden. Also zu sagen, in einem multiethnischen Staat zu leben, bedeute, nicht jedem Individuum dieselben Rechte zu gewähren, sondern jeder Gruppe, so dass wir also zum Beispiel nicht zu laut darüber reden sollen, wenn es Ehrenmorde gibt oder wenn es Genitalverstümmelungen gibt, weil das die Angelegenheiten einer anderen Gruppe sind. Und gegenüber dieser Gruppe müssen wir Respekt haben.
Das ist für mich der falsche Ansatz. Wir leben in einer liberalen Demokratie. Wir müssen die Rechte jedes Einzelnen wahren, und zwar nicht nur gegenüber dem Staat, nicht nur gegenüber Rechtsradikalen, nicht nur gegenüber dem Nachbarn, sondern wo es nötig ist auch gegenüber der eigenen Familie. Und das bedeutet natürlich, dass eine 18-Jährige, die aus der Türkei oder aus Syrien stammt, in unserem Land dieselben Rechte, dieselbe Freiheit haben muss zu leben wie sie möchte und zu heiraten, wen sie möchte, wie eine 18-Jährige, die aus einer deutschen Familie stammt.
Deutschlandfunk Kultur: Yascha Mounk lehrt an der Harvard-Universität politische Theorie und er hat das Buch geschrieben "Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht". Wenn wir in 25 Jahren nochmal miteinander sprechen, werden Sie dann ein Buch geschrieben haben, "Wie die Demokratie zerfallen ist"?
Deutschlandfunk Kultur: Die schwarz-rote Koalition, so sie denn kommt, plant, das Innenministerium zu einem Heimatministerium zu erweitern. Davon müssten Sie dann ziemlich begeistert sein, oder?
Yascha Mounk: Zuerst mal gibt es einen Unterschied zwischen einem Begriff der Nation und einem Begriff der Heimat. Heimat klingt mir dann doch ein bisschen zu altertümlich und den Populisten nachgeplappert. Ich weiß auch nicht wirklich, was Horst Seehofer von der CSU damit meint. Aber wenn es darum geht zu sagen, wie wir alle Menschen in ein Wir-Gefühl einschließen können, das durchaus sich seiner selbst bewusst ist und sich nicht versteckt, dann hätte ich damit kein Problem. Ich glaube nicht ganz, dass das aus dieser politischen Richtung kommt – leider.
Deutschlandfunk Kultur: Dieser inklusive Patriotismus, den Sie fordern, der bedeutet auch, nicht nur Diskriminierung zu bekämpfen, sondern auch Ausnahme von Pflichten zu verhindern. Was sehen Sie da, was es zu verhindern gilt?
Yascha Mounk: Ich sehe gerade in den USA, aber es schwappt langsam auch nach Deutschland hinüber, eine bestimmte Versuchung in Teilen der Linken, kulturell relativistisch zu werden. Also zu sagen, in einem multiethnischen Staat zu leben, bedeute, nicht jedem Individuum dieselben Rechte zu gewähren, sondern jeder Gruppe, so dass wir also zum Beispiel nicht zu laut darüber reden sollen, wenn es Ehrenmorde gibt oder wenn es Genitalverstümmelungen gibt, weil das die Angelegenheiten einer anderen Gruppe sind. Und gegenüber dieser Gruppe müssen wir Respekt haben.
Das ist für mich der falsche Ansatz. Wir leben in einer liberalen Demokratie. Wir müssen die Rechte jedes Einzelnen wahren, und zwar nicht nur gegenüber dem Staat, nicht nur gegenüber Rechtsradikalen, nicht nur gegenüber dem Nachbarn, sondern wo es nötig ist auch gegenüber der eigenen Familie. Und das bedeutet natürlich, dass eine 18-Jährige, die aus der Türkei oder aus Syrien stammt, in unserem Land dieselben Rechte, dieselbe Freiheit haben muss zu leben wie sie möchte und zu heiraten, wen sie möchte, wie eine 18-Jährige, die aus einer deutschen Familie stammt.
Deutschlandfunk Kultur: Yascha Mounk lehrt an der Harvard-Universität politische Theorie und er hat das Buch geschrieben "Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht". Wenn wir in 25 Jahren nochmal miteinander sprechen, werden Sie dann ein Buch geschrieben haben, "Wie die Demokratie zerfallen ist"?
Den Zerfall der Demokratie aufhalten
Yascha Mounk: Ich befürchte, dass – wenn unsere Demokratie zerfällt – die Freiheit, solche Bücher zu schreiben, sehr viel geringer sein wird als sie momentan ist. Also, das kann ich Ihnen nicht versprechen.
Ich glaube, es gibt drei grundsätzliche Szenarien, was in den nächsten Jahrzehnten passieren könnte. Das erste ist, dass Populisten wie in Ungarn und Polen und auch wie in den USA die Demokratie sehr schnell zerstören und wir am Anfang vom Ende des demokratischen Zeitalters stehen. Das ist durchaus möglich, aber so pessimistisch bin ich nicht. Ich glaube, dass die Menschen, die die Demokratie verteidigen wollen, dann doch noch genügend Kraft haben, um zumindest in Westeuropa und Nordamerika diesen Zerfall eine Weile aufzuhalten.
Das zweite Szenario wäre ein optimistisches. Das besagt: Nein, wir werden die Gefahr erkennen. Wir werden uns alle zusammen dagegen engagieren. Und der Populismus wird eine kurze Ära, ein kurzer Einschnitt sein. Und wir werden in 25 Jahren zurückschauen auf die Gespräche, die wir heute geführt haben, und sagen: Das war aber ein seltsamer Moment. Zum Glück ist der Spuk jetzt wieder vorbei.
Das halte ich leider für zu optimistisch. Denn wie wir in diesem Gespräch schon dargelegt haben, sind die Gründe für den Populismus viel langfristiger, viel grundsätzlicher als wir das oft wahrhaben wollen.
Deshalb halte ich das dritte Szenario im Endeffekt für das wahrscheinlichste: Dass wir es nicht schaffen werden, die Antriebskräfte des Populismus wirklich zu meistern und dass die Populisten es Generation um Generation versuchen werden, unser System zu untergraben. Die Gefahr ist, dass das System – so wie im Römischen Reich – über 20, 40, 60 Jahre langsam zu Grunde geht. Das ist die Gefahr, die mich nachts wach hält.
Deutschlandfunk Kultur: Dann hoffen wir, dass wir in 25 Jahren noch Gelegenheit haben, Bilanz zu ziehen. – Vielen Dank, Herr Mounk, für das Gespräch.
Yascha Mounk: Vielen schönen Dank.
Ich glaube, es gibt drei grundsätzliche Szenarien, was in den nächsten Jahrzehnten passieren könnte. Das erste ist, dass Populisten wie in Ungarn und Polen und auch wie in den USA die Demokratie sehr schnell zerstören und wir am Anfang vom Ende des demokratischen Zeitalters stehen. Das ist durchaus möglich, aber so pessimistisch bin ich nicht. Ich glaube, dass die Menschen, die die Demokratie verteidigen wollen, dann doch noch genügend Kraft haben, um zumindest in Westeuropa und Nordamerika diesen Zerfall eine Weile aufzuhalten.
Das zweite Szenario wäre ein optimistisches. Das besagt: Nein, wir werden die Gefahr erkennen. Wir werden uns alle zusammen dagegen engagieren. Und der Populismus wird eine kurze Ära, ein kurzer Einschnitt sein. Und wir werden in 25 Jahren zurückschauen auf die Gespräche, die wir heute geführt haben, und sagen: Das war aber ein seltsamer Moment. Zum Glück ist der Spuk jetzt wieder vorbei.
Das halte ich leider für zu optimistisch. Denn wie wir in diesem Gespräch schon dargelegt haben, sind die Gründe für den Populismus viel langfristiger, viel grundsätzlicher als wir das oft wahrhaben wollen.
Deshalb halte ich das dritte Szenario im Endeffekt für das wahrscheinlichste: Dass wir es nicht schaffen werden, die Antriebskräfte des Populismus wirklich zu meistern und dass die Populisten es Generation um Generation versuchen werden, unser System zu untergraben. Die Gefahr ist, dass das System – so wie im Römischen Reich – über 20, 40, 60 Jahre langsam zu Grunde geht. Das ist die Gefahr, die mich nachts wach hält.
Deutschlandfunk Kultur: Dann hoffen wir, dass wir in 25 Jahren noch Gelegenheit haben, Bilanz zu ziehen. – Vielen Dank, Herr Mounk, für das Gespräch.
Yascha Mounk: Vielen schönen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.