Politikwissenschaftlerin Anja Besand über rechte Bürger in Sachsen

"Politische Bildung ist kein Reparaturbetrieb"

Rechte Demonstranten strecken wutentbrannt ihre Arme in die Höhe.
"Erschütternde Enthemmung": Wutentbrannte rechte Demonstranten in Chemnitz. © AFP
Anja Besand im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
In Sachsen trauen sich die Rechten Dinge, die in keinem anderen Bundesland möglich wären, sagt Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung. Die Politik hätte die Rechten schon viel länger klar in die Schranken weisen müssen.
Stephan Karkowsky: Gestern traf sich Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmar in Chemnitz mit Bürgern zum Dialog. Viele aber wollten ihn und die SPD-Oberbürgermeisterin einfach nur ausbuhen. Warum nur? Immer wieder hört man, man muss mit Wutbürgern reden. Aber bringt das wirklich was, wenn die nur schimpfen und buhen wollen? Das fragen wir Anja Besand, Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der technischen Universität der sächsischen Landeshauptstadt Dresden.
Frau Besand, wenn nach solchen Ereignissen nun tatsächlich mal ein Politiker in die Stadt kommt und sagt, ich stell mich hier auf die Bühne, ihr könnt mir sagen, was euch besorgt, und dann so was – ist da überhaupt noch was zu machen?
Besand: Irgendwas machen muss man ja. Aber interessant, finde ich, ist, dass wir das dann immer Dialogveranstaltungen nennen und dass wir nach solchen schrecklichen Ereignissen dann immer auf die Idee erst kommen, in einen Dialog zu treten. Ich glaube, dass es für Dialoge dann häufig viel zu spät ist. Das heißt nicht, dass Herr Kretschmar nicht nach Chemnitz fahren soll. Aber tatsächlich, mit politischer Bildung hat das relativ wenig zu tun.
Karkowsky: In diesem Fall war es ja so, dass der Termin von Michael Kretschmar tatsächlich schon vorher geplant war und zufällig gerade sich diese Wut angestaut hatte. Was denken Sie, was kann man mit politischer Bildung erreichen, um in einem solchen Fall vielleicht doch einfach den Dampf aus dem Kessel zu nehmen?

"Politische Bildung ist kein Reparaturbetrieb"

Besand: Aber das ist ja nicht Aufgabe politischer Bildung, den Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Mit politischer Bildung erreichen, das ist eine gute Frage, hätte man sehr viel können. Um mal so die Uhr ein bisschen zurückzudrehen: Wir machen in Sachsen aber im Vergleich zu anderen Bundesländern ganz erstaunlich wenig politische Bildung. Denn politische Bildung ist zwar ja keine Feuerwehr und kein Reparaturbetrieb, das muss man immer dazusagen. Aber politische Bildung kann uns schon helfen, auf unsere Fragen und Probleme und auch Sorgen, die wir als Gesellschaft haben, gute Antworten zu finden und nicht immer auf ganz alte Antworten zurückzufallen. Wel das ist ja das, was wir im Moment beobachten können, dass angesichts tatsächlich der herausfordernden Probleme, die wir im Zuge von Globalisierung haben, viele Menschen quasi auf ganz alte Ideen zurückfallen, der nationalen Abschottung, der nationalen Alleingänge. Und das könnte man tatsächlich in einem Bildungsprozess zeigen, weil wir ja Erfahrungen mit solchen Antworten haben.
Karkowsky: Aber wo findet diese politische Bildung denn statt? Wenn sie nur in den Schulen stattfände, würde das ja heißen, dass eine große, breite Schicht von Leuten, die da nicht mehr zu finden sind, gar nicht mehr erreicht wird.

"Politische Bildung ist für alle da"

Besand: Das ist ein Argument, das ich immer wieder höre. Aber ich würde es wirklich gern umdrehen. Wenn wir sagen, politische Bildung ist für alle Menschen da – und ich bin absolut dieser Meinung –, dann müssen wir uns überlegen, wo wir tatsächlich gesellschaftlich betrachtet alle Menschen erreichen, und das ist zunächst mal die Schule. Sie haben natürlich recht, da erreichen wir zunächst nur die jungen Menschen. Aber mit politischer Erwachsenenbildung, also offener, freier Jugend- und Erwachsenenbildung erreichen wir sehr wenige Menschen, und zwar nur die, die freiwillig dahin kommen. Das sind also noch mal weniger. Von daher würde ich schon erst mal immer für die Schule plädieren.
Karkowsky: Wenn man sich mal so die Schlagzeilen der letzten Tage anschaut, da gibt es einen Staatsbeamten, der einen vertraulichen Haftbefehl veröffentlicht, weil seine Gesinnung sagt ihm, das muss jetzt so sein, egal, ob ich damit gegen Gesetze verstoße oder nicht. Es gab diesen LKA-Mitarbeiter, den sogenannten Hut-Bürger, der Dreharbeiten des ZDF behindert hat. Oder es gibt schlicht Bürger, die Seite an Seite mit Neonazis demonstrieren und sich selbst deswegen nicht als Rechte beschimpfen lassen wollen. Das sind so Fälle – das sind ja Menschen, die im Grunde genommen auch mit einer Aufklärung erreicht werden könnten durch politische Bildung. Aber wo könnte die denn stattfinden?

"Man muss das hart ansprechen"

Besand: Die können erst mal durch eine Ansprache erreicht werden. Und die werden ja auch angesprochen. Wir haben das Problem ja nicht erst seit gestern, sondern wir haben es ganz sichtbar seit drei Jahren, und eigentlich ehrlich seit 20. Und das, was da in Sachsen passiert ist, ist ja immer wieder, dass wir und auch das politische Personal sich entschlossen haben, diese Menschen nicht als Rechte anzusprechen, also immer wieder zu sagen, es waren nur ganz wenige, die den Hitlergruß gezeigt haben. Und ihr dürft dann da vielleicht nicht mitgehen, aber natürlich, sie sind nicht rechts. Und da bin ich anderer Meinung. Man muss das hart ansprechen. Man muss sie als Rechte bezeichnen. Sie müssen lernen, sich davon abzugrenzen.

"Warum geht der Ministerpräsident nicht zu Chemnitz Nazifrei?"

Und, weil Sie das ja mit dem Bürgerdialog in Verbindung gebracht haben, ich finde auch vollkommen falsch, immer dann wieder nur auf diese Gruppe zuzugehen. Warum geht der Ministerpräsident nicht zu Chemnitz Nazifrei, warum geht er nicht zu den Menschen, die gejagt worden sind und hört die an? Warum gehen wir eigentlich – sie sind ja erfolgreich – immer auf die Menschen zu, die vermeintlich besorgten Bürger, die nicht verstehen wollen, dass wir in einer pluralen Gesellschaft leben, und dass wir Strategien entwickeln müssen, wie wir in der Einwanderungsgesellschaft zurechtkommen.
Karkowsky: Vielleicht, weil er bei denen die größeren Probleme sieht, und bei den anderen, Chemnitz Nazifrei sagt er, das ist ohnehin Zivilgesellschaft, die brauchen mich gar nicht, die schaffen das schon von allein.
Besand: Das würde mich aber wundern, ehrlich gesagt. Weil solche Einrichtungen wie Chemnitz Nazifrei oder Dresden nazifrei sind ja jetzt nicht Einrichtungen oder Organisationen, die durch die Politik in Sachsen seit Jahren gepflegt würden.
Karkowsky: Haben Sie denn den Eindruck, dass wir hier über ein Ostthema sprechen oder ein sächsisches Thema? Das ist ja ein Eindruck, den der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmar in jedem Fall vermeiden will. Er betont ja an fast jeder Stelle, er möchte nicht, dass sein Land oder die Bürger dieses Landes in einen schlechten Ruf kommen. Ist es tatsächlich überall genauso schlimm wie derzeit in Sachsen?

"Es gibt einen substanziellen Unterschied zwischen Sachsen und dem Rest der Bundesrepublik"

Besand: Ich persönlich komme von meiner Familie her aus Rheinland-Pfalz, bin viele Jahre in Hessen gewesen und bin jetzt seit 2009 in Sachsen. Und ich würde sagen, Menschen, wie wir sie in Chemnitz treffen oder in Dresden auch auf der Straße treffen, gibt es in allen Bundesländern, gibt es in allen Regionen. Aber in Sachsen haben die sich freigeschwommen. In Sachsen haben wir eine Enthemmung, die mich tatsächlich auch erschüttert.
Man traut sich hier, Dinge zu sagen, man traut sich hier auch mittlerweile Dinge zu machen, wie ich das in keinem anderen Bundesland beobachten kann im Moment. Das heißt nicht, dass nicht die Gedanken überall sind. Aber es gibt einen tatsächlich substanziellen Unterschied zwischen Sachsen und dem Rest der Bundesrepublik. Nicht, weil die Menschen hier völlig anders sind und andere Dinge denken und andere Probleme sehen und andere Lösungen favorisieren, sondern weil sie sich ganz anders trauen, das sichtbar zu machen.
Karkowsky: In Chemnitz gerade scheint ja auch leider der Hitlergruß wieder sehr populär zu werden bei einigen. Auch gestern Abend soll es wieder welche gegeben haben, also das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Reicht es denn da eigentlich, einfach zu sagen, aufzuklären, das ist verboten aus den und den Gründen? Oder kommt man mit solchen Fakten schon gar nicht mehr durch?

Hitlergruß - eine Straftat, die hier nicht geahndet wird

Besand: Ich fände es ganz gut, wenn man Veranstaltungen auflösen würde, auf denen das gezeigt wird, also dass es tatsächlich Strafe erfährt. Das ist ein Straftatbestand in der Bundesrepublik, der wird hier nicht geahndet. Von daher wird er immer wieder gezeigt. Und wenn wir tatsächlich sagen, wir haben Probleme mit solchen Versammlungen, dann verstehe ich nicht, dass wir nicht diese vorliegenden Ereignisse nutzen, um die Versammlung aufzulösen.
Karkowsky: Das sagt Anja Besand. Sie ist Professorin für Didaktik der politischen Bildung an der TU Dresden. Frau Besand, herzlichen Dank, und Ihnen noch einen schönen Tag. Tschüs!
Besand: Tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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