Politische Ansichten des "Gruppe 47"-Gründers
Hans Werner Richter war der Gründer und Motor der legendären "Gruppe 47", die die Nachkriegsliteratur und die Nachkriegsrepublik geprägt hat. Richters nun veröffentlichtes Tagebuch zeigt, wie sein tagespolitischer Instinkt funktionierte. Private Enthüllungen bietet es allerdings nicht.
Wer sich von diesem Tagebuch aufregende private Enthüllungen und emotionale Verwicklungen verspricht, hat Hans Werner Richter völlig falsch eingeschätzt. Bei ihm war das Politische privat, und so drehen sich seine Notate hauptsächlich um die Lage der Linken in der Bundesrepublik, die Auseinandersetzungen unter den Intellektuellen und vor allem um das, was Hans Werner Richter berühmt gemacht hat: die Gruppe 47.
Auch als Tagebuchschreiber denkt Richter politisch und verfolgt damit konkrete Absichten. Der Auslöser für seinen Entschluss, entgegen früherer programmatischer Äußerungen ein Tagebuch zu führen, waren unerwartete Angriffe von links gegen die Gruppe 47. Im Jahr 1966 warfen in der Zeitschrift "konkret" die Schriftsteller Robert Neumann und Hans Erich Nossack der Gruppe 47 "Cliquenwirtschaft" und "Opportunismus" vor.
Richter sieht das im Vorfeld der 68er-Bewegung als Signal, er sieht sich an entscheidenden Wendepunkten angelangt und zeichnet im folgenden auf, was er an literatur- und medienpolitischen Aktivitäten entfaltet – offenkundig mit dem Vorsatz, in späteren Rückblicken darauf zurückgreifen zu können.
Überraschende neue Töne gibt es in diesem Tagebuch nicht – nach der mustergültigen Edition des umfassenden Briefwechsels von Richter, die Sabine Cofalla 1997 vorgelegt hat, war das auch nicht mehr zu erwarten. Als zeitgeschichtliches Dokument ist dieser Band dennoch aufschlussreich. Man kann hier genau studieren, wie Richters tagespolitischer Instinkt funktionierte, wie er auf die konkreten Ereignisse unmittelbar reagierte und seine Schlüsse daraus zog.
Das Tagebuch umfasst wenige Jahre, es sind allerdings entscheidende Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik und ihres Literaturbetriebs: zwischen 1966 und 1972 erfolgte nach der ersten Großen Koalition der epochale Machtwechsel unter dem Bundeskanzler Willy Brandt, und die zentrale und in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzende literarische Institution dieser Zeit, die Gruppe 47 trat in ihre Spätphase ein und veranstaltete 1967 ihre letzte Tagung.
Zentral ist Richters Auseinandersetzung mit dem "Meinungsterror" der linken Studenten und den "Radikalinskis" unter den Schriftstellern, vor allem Martin Walser, Peter Weiss und Hans Magnus Enzensberger.
Richter fühlte sich an die Auseinandersetzungen am Ende der Weimarer Republik erinnert, als die Linke sich untereinander bekämpfte und den Nazis dadurch das Feld überließ. Der Ton der Weimarer Republik, die Attitüde linker Dogmatiker – darin sah Richter von Anfang an die Hauptgefahr oppositioneller Bewegungen. Aber er begriff sich als unabhängig und ließ sich auch von der SPD nicht instrumentalisieren – im Gegenteil, zu seinen schärfsten Verurteilungen gehört die von Günter Grass und dessen politischen Allmachtsanspruch.
Durchaus bewegend sind Richters Eintreten für Israel im Sechstagekrieg und sein Schrecken angesichts der Wahlerfolge der rechtsradikalen NPD. Als gesellschaftspolitischer Akteur wirkt Richter von heute aus betrachtet recht hellsichtig. Seine präzisen Analysen von Zeitgenossen sind bei aller Polemik oft überraschend witzig und überzeugend. Auffällig ist jedoch, dass er sich für ästhetische Fragen, für innerliterarische Debatten kaum interessierte.
Es ist deshalb eine ironische Pointe, dass die Gruppe 47 literarisch weitaus bedeutender war, als es sich ihr Gründer vorstellen konnte.
Besprochen von Helmut Böttiger
Hans Werner Richter: Mittendrin. Die Tagebücher 1966-1972
Herausgegeben von Dominik Geppert
Verlag C.H. Beck, München 2012
382 Seiten, 24,95 Euro
Auch als Tagebuchschreiber denkt Richter politisch und verfolgt damit konkrete Absichten. Der Auslöser für seinen Entschluss, entgegen früherer programmatischer Äußerungen ein Tagebuch zu führen, waren unerwartete Angriffe von links gegen die Gruppe 47. Im Jahr 1966 warfen in der Zeitschrift "konkret" die Schriftsteller Robert Neumann und Hans Erich Nossack der Gruppe 47 "Cliquenwirtschaft" und "Opportunismus" vor.
Richter sieht das im Vorfeld der 68er-Bewegung als Signal, er sieht sich an entscheidenden Wendepunkten angelangt und zeichnet im folgenden auf, was er an literatur- und medienpolitischen Aktivitäten entfaltet – offenkundig mit dem Vorsatz, in späteren Rückblicken darauf zurückgreifen zu können.
Überraschende neue Töne gibt es in diesem Tagebuch nicht – nach der mustergültigen Edition des umfassenden Briefwechsels von Richter, die Sabine Cofalla 1997 vorgelegt hat, war das auch nicht mehr zu erwarten. Als zeitgeschichtliches Dokument ist dieser Band dennoch aufschlussreich. Man kann hier genau studieren, wie Richters tagespolitischer Instinkt funktionierte, wie er auf die konkreten Ereignisse unmittelbar reagierte und seine Schlüsse daraus zog.
Das Tagebuch umfasst wenige Jahre, es sind allerdings entscheidende Jahre in der Geschichte der Bundesrepublik und ihres Literaturbetriebs: zwischen 1966 und 1972 erfolgte nach der ersten Großen Koalition der epochale Machtwechsel unter dem Bundeskanzler Willy Brandt, und die zentrale und in ihrer Bedeutung gar nicht zu überschätzende literarische Institution dieser Zeit, die Gruppe 47 trat in ihre Spätphase ein und veranstaltete 1967 ihre letzte Tagung.
Zentral ist Richters Auseinandersetzung mit dem "Meinungsterror" der linken Studenten und den "Radikalinskis" unter den Schriftstellern, vor allem Martin Walser, Peter Weiss und Hans Magnus Enzensberger.
Richter fühlte sich an die Auseinandersetzungen am Ende der Weimarer Republik erinnert, als die Linke sich untereinander bekämpfte und den Nazis dadurch das Feld überließ. Der Ton der Weimarer Republik, die Attitüde linker Dogmatiker – darin sah Richter von Anfang an die Hauptgefahr oppositioneller Bewegungen. Aber er begriff sich als unabhängig und ließ sich auch von der SPD nicht instrumentalisieren – im Gegenteil, zu seinen schärfsten Verurteilungen gehört die von Günter Grass und dessen politischen Allmachtsanspruch.
Durchaus bewegend sind Richters Eintreten für Israel im Sechstagekrieg und sein Schrecken angesichts der Wahlerfolge der rechtsradikalen NPD. Als gesellschaftspolitischer Akteur wirkt Richter von heute aus betrachtet recht hellsichtig. Seine präzisen Analysen von Zeitgenossen sind bei aller Polemik oft überraschend witzig und überzeugend. Auffällig ist jedoch, dass er sich für ästhetische Fragen, für innerliterarische Debatten kaum interessierte.
Es ist deshalb eine ironische Pointe, dass die Gruppe 47 literarisch weitaus bedeutender war, als es sich ihr Gründer vorstellen konnte.
Besprochen von Helmut Böttiger
Hans Werner Richter: Mittendrin. Die Tagebücher 1966-1972
Herausgegeben von Dominik Geppert
Verlag C.H. Beck, München 2012
382 Seiten, 24,95 Euro