Politische Architektur und Raum

Von Reinhard Knodt |
Die Verbindung alter Repräsentationsbauten mit neuer Architektur hat Tradition, wie auch die daraus folgenden Auseinandersetzungen. Die Londoner Nationalbibliothek hat vor einiger Zeit Umbauungen erhalten, die den historischen Lesesaal zur Ikone machen. Am Germanischen Nationalmuseum Nürnberg entstand durch Aufbrechen von der Seite die "Straße der Menschenrechte", wobei der ursprüngliche Eingang des Museums heute wie eine historische Skurrilität anmutet.
Eine Variante dieses Prinzips war der Bau des "Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände" (auch in Nürnberg), bei dem das alte Nazi-Kolosseum seitlich aufgebrochen und mit einem transparenten Keil aus Glas und Stahl durchstoßen wurde – und jetzt wird also endlich auch das Pergamonmuseum seitlich - aufgebrochen.

Der Zweck der Umgestaltung ist klar: Eine Gewichtsverschiebung, weg vom ehemals "Ehrwürdigen" und jetzt eben Fragwürdigen – bei gleichzeitiger Akzentuierung dessen, was man heute als angemessen betrachtet. Dieses Angemessene kommt "leicht", und "transparent" und meist in schlanken Säulen, Glas und Stahl daher. Die eigenartige Verknüpfung solch "transparenten" Bauens mit demokratischem Lebensgefühl hat dabei auch ihre Schlüsselfiguren, seit nämlich Egon Eiermann und Sepp Ruf 1957 den Pavillon der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel eben so gestalteten, und damit Deutschland, wie man heute liest (zum Beispiel Kleihues, u.a.: Bauen in Berlin 1900 – 2000) vom Ruch seiner nationalsozialistisch geprägten Vorkriegsarchitektur befreiten.

Nichts Neues am Kupfergraben also. Schon gar nichts, was mit Athen, Mies van der Rohe oder der "Dignität einer Tempelstadt" zu tun hätte, wie Peter Klaus Schuster, der Generaldirektor der staatlichen Museen jüngst äußerte. Es ist politisch korrekte Mainstream-Architektur mit dem Zweck der Umdefinierung ehemaliger Schwergewichte, und - sie wird auch politisch korrekt durchgesetzt - nämlich diskursiv.

Die Rolle der "Modernen", (bzw. demokratischen Neuerer) übernehmen bei diesem Diskurs diejenigen, die planen, den einstigen Zugang zum Pergamon-Museum zuzumauern. Jenen Eingang, bei dem der Besucher zunächst über eine Brücke und dann über einen offenen Platz tatsächlich auf eine Art "Tempel", (nämlich die Nachbildung des Pergamon-Altars in der Dachsilhouette des Museums) zuschritt. Die undankbare Rolle der Anciens, bzw. Verteidiger des Alten übernehmen die, für deren Empfinden die Zwangsumleitung der Besucher durch ein PR-Gebäude eine Entwürdigung des ehemals Würdigen ist. Eine Verlierer-Rolle natürlich - denn als ästhetische Empfindungsqualität lässt sich Würdigkeit kaum diskursiv gegen so viel gutgemeinte Richtigkeit durchsetzen. Die neue Galerie sei ein "Tempel der Demokratie" so Chipperfield. Wer darf hier noch auf die verstaubte Würde des Pergamon-Altars verweisen!

Dass man es noch anders sehen kann, zeigt ein Rückgriff: In den italienischen Stadtgesellschaften der Renaissance demonstrierten gewisse Familien seinerzeit politischen Einfluss und Reichtum durch den Luxus, mitten in der Stadt vor ihren Häusern große Plätze frei zu lassen. Diese Plätze waren sozusagen eine freizügige Übereignung des an sich kostbaren Stadt-Raumes an die Öffentlichkeit. Auch Chipperfield schien etwas Derartiges im Sinn zu haben, als er in einem Interview zum Planungsprozess sagte: "Während dieses Prozesses haben wir uns immer gefragt: Was ist der Zweck dieses Gebäudes? Der Begriff 'Eingangsgebäude' war ebenso hilfreich wie hinderlich. Wir haben gemerkt, dass wir Funktionalität durch Nichtfunktionales konterkarieren müssen. Es entsteht eine Art positiver Nutzlosigkeit, indem das Gebäude einfach einen Raum bildet...". (Tagesspiegel vom 28.6.07)

"einfach einen Raum bildet...".- Was wäre eigentlich Böses dabei, fragt man sich, wenn man dem Büro Chipperfield die Auflage machte, einfach jenen Raum wieder herzustellen, den die Berliner hier seit mehr als hundert Jahren zur Verfügung hatten? Als Kompromisslösung könnte man fordern, den alten und den neu geplanten Eingang gleichberechtigt zu lassen. Sollen die Menschen doch selbst entscheiden, ob sie das Pergamonmuseum demnächst direkt betreten wollen oder durch Chipperfields Tempel der Demokratie.

Reinhard Knodt, geboren 1951 in Dinkelsbühl, Musikausbildung, Studium der Philosophie (Gadamer, Kaulbach, Riedel) in Heidelberg, Erlangen und Trinity College Dublin; viele Universitätsengagements in Europa und den USA (Collège International Paris, New School New York, Penn-State-University, KH Kassel, HDK Berlin u.a.). Herausgeber der Nürnberger Blätter, Rundfunkautor, freischaffend seit 1992. Begründung der Nürnberger Autorengespräche zusammen mit Peter Horst Neumann. Reinhard Knodt, der mehrere Preise erhielt, verfasste Essays, Kritiken (Architektur, bildende Kunst) und Vorträge sowie über 50 Hörspiele, Hörbilder und Stundensendungen und Aufsätze, Kurzgeschichten, Essays und Kritiken. Reinhard Knodt lehrt seit 2005 an der UDK Berlin Kunstphilosophie. 2007 erhielt er von der bayerischen Akademie der Künste den Friedrich Baur Preis für Literatur zugesprochen.