Politische Einflussnahme

Warum Sportboykotte nichts bringen

Hongkong: Menschen protestieren anlässlich der Olympischen Winterspiele in Sotschi gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Hongkong: Menschen protestieren anlässlich der Olympischen Winterspiele in Sotschi gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. © Philippe Lopez / AFP
Von Günter Herkel |
Sollte der Westen die Fußball-WM 2018 in Russland boykottieren? Nein, meint Günter Herkel. Denn wer Boykotte fordert, verpasst eine Chance zur Einflussnahme.
Schon bei den Winterspielen in Sotschi, also vor der Zuspitzung der Ukraine-Krise, gab es ernsthafte Bemühungen, dieses Sportereignis zu boykottieren – unter anderem wegen der Diskriminierung, der Schwule und Lesben durch den russischen Gesetzgeber und Vorurteile im Alltag ausgesetzt sind.
Mit mindestens dem gleichen Recht hätte man dafür plädieren können, Deutschland eine Zeit lang bei der Vergabe großer Sportereignisse zu übergehen. Schließlich durfte hierzulande eine Neonazi-Bande ein geschlagenes Jahrzehnt lang Mitbürger mit Migrationshintergrund morden, und zwar weitgehend unbehelligt von Justiz und Polizei.
Wenn jetzt aus politischen Gründen abermals Boykottrufe gegen die Fußball-WM 2018 in Russland ertönen, stellt sich also zunächst die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Würden die Boykottfreunde überall gleiches Maß anlegen, wie sähe dann wohl der internationale Sport-Kalender demnächst aus? Vermutlich wie ein Flickwerk mit vielen weißen Flecken.
Verstärkt in den internationalen Fokus
Sportboykotte, das zeigt schon ein flüchtiger Blick auf historische Vorgänger, bringen politisch nichts ein. Der Olympia-Boykott von 1980 in Moskau und der sowjetische Gegenboykott vier Jahre später in Los Angeles spalteten die Olympische Bewegung. Den Schaden hatten nur die Sportler und Athletinnen: Sie wurden um die Früchte mehrjähriger Vorbereitung gebracht.
Boykott ist kontraproduktiv. Wer nach Boykott ruft, verpasst eine Chance zur Einflussnahme. Gab nicht die gerade abgeschlossene Fußball-WM in Brasilien Gelegenheit, über gesellschaftliche Missstände wie Korruption, Verschwendung öffentlicher Mittel und ungerechte Eigentumsverhältnisse zu berichten? Auch die Spiele in Peking boten immerhin die Möglichkeit, die Tibet-Problematik und Menschenrechtsfragen verstärkt in den internationalen Fokus zu rücken.
Wenn die Politik versagt, sind Sportboykotte das falsche Mittel. Ebenso wie mit Sanktionen in der Geschichte selten etwas erreicht wurde. Vor allem wenn man hinterher oder gleichzeitig noch mit demjenigen reden will und muss, den man sanktioniert oder boykottiert.
Verständigung ist wichtiger als Konfrontation
Wandel durch Annäherung, so lautete die Formel, mit der die sozialliberale Koalition vor gut 50 Jahren die neue Ostpolitik einleitete. Schon vergessen? An Stelle von Säbelrasseln und sturem Beharren auf eigene Interessen setzte man darauf, über Verhandlungen zum Ausgleich mit dem politischen Kontrahenten zu kommen. Eine Strategie der Entspannung, die in Gorbatschows Sowjetunion am Ende in Glasnost und Perestroika mündete und zur Auflösung der Blöcke führte.
Die jetzige Ausgrenzungs- und Boykottpolitik könnte dagegen zu einem Rückfall in längst überwunden geglaubte Konfrontationen führen. Daran sollte sich der Sport nicht beteiligen. Er sollte im Gegenteil seine nicht geringen Möglichkeiten nutzen, zur Verständigung der Völker beizutragen.
Nein, die Sportverbände tun gut daran, die Anmaßungen der Politik abzuwehren. Sport, so sagt zu Recht ein Sprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes, könne die Probleme der Welt nicht lösen. Aber er kann dabei helfen. Völlig abwegig erscheint daher auch ein weiteres Argument der Boykottfreunde: Sportverbände, die staatliche Fördergelder erhielten, heißt es, dürften sich jetzt nicht in die politische Neutralität flüchten. Dies sei opportunistisches Verhalten. Im Klartext: Wer kassiert, müsse politisch kuschen. Das allerdings wäre in der Tat Opportunismus.
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