Julya Rabinowich, geboren 1970 in St. Petersburg, entwurzelt und umgetopft 1977 nach Wien. Sie ist Schriftstellerin und Kolumnistin. Von ihr erschienen "Spaltkopf" (2008), "Herznovelle" (2011), "Die Erdfresserin" (2012) und "Krötenliebe"(2016). Mit "Dazwischen: Ich" veröffentlichte sie 2016 ihr erstes Jugendbuch. 2019 folgt ihr Jugendbuch "Hinter Glas".
Worte, die Taten werden
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Können Worte Waffen sein? Politische Morde wie derjenige an Walter Lübcke stehen in direkter Fortführung der verbalen Aufrüstung im Internet, davon ist die Autorin Julya Rabinowich überzeugt. Verantwortlich für die Verrohung seien aber auch Politiker.
Eine Drohung gegen das Leben ist eine Drohung gegen das Leben ist eine Drohung gegen das Leben. Da gibt es nichts zu beschönigen. Menschen, die online bedroht werden, befinden sich oft genug in durchaus realer Gefahr. Auch wenn nicht jeder Gewalttäter zur Tat schreitet, manche es bei verbalen Attacken belassen.
Im Netz fallen Hemmungen und Grenzen. Man sieht sein Gegenüber und seine Reaktionen nicht. Man reagiert schneller gnadenlos, schneller gewaltbereit. Gruppendruck und Hitze des Gefechts führen zu Verrohung. Schneller als im sogenannten Echtzeitleben, diesem unberechenbaren Spiel namens Real Life. Jenes Spiel, das man nicht nach Belieben neu hochfahren kann, wenn es entgleitet. Da gibt es keinen Resetknopf. Keine zweite Chance.
Aber genau hier, in der Realität, nehmen solche angekündigte Taten dann tatsächlich Gestalt an. Jene Kugeln, die sich in den Körper von Politikerin Jo Cox bohrten und ihr Leben nahmen, lassen sich nicht mehr umkehren, sie kehren nie wieder in den Lauf der Waffe zurück, die in den Händen ihres "Britain first" schreienden Mörders zur Tatwaffe wurde.
Verharmlosung krimineller Energie
Auch jene Kugel, die in den Kopf des Politikers Walter Lübcke drang, kann man nicht mehr zurückholen. Das Wort wurde Tat. Und die Tat ist für immer.
Der hinterrücks Ermordete hatte schon lange Drohungen erhalten. Seine Adresse wurde in diversen einschlägigen Foren geteilt. Seine Aussagen zu Flüchtlingspolitik und sein Widerspruch zu der Hetze von Pegida haben ihn das Leben gekostet. Sein mutmaßlicher Mörder hat rechtsextremen Hintergrund und den Mord bereits gestanden.*
Wer bei verbaler Gewalt abwinkt, bei Drohungen, bei rassistischen Ausfällen, wer sagt, man solle sich nicht so anstellen, wenn man davon betroffen ist – der verharmlost die kriminelle Energie, die hinter solchen Aktionen steht.
Aber die kriminelle Energie ist nicht nur dort verortet, wo die Drohung fällt. Man sollte jene, die diesen Boden des Hasses bereiten, nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Wer dazu beiträgt, dass der Aggressionspegel steigt, wer Gewalttaten politisch kleinreden will, wer mit Worten Krieg führt, der darf sich nicht wundern, wenn früher oder später die ausgesäte Ernte eingefahren wird.
Politik schürt dunkelste Triebe
Die Früchte des Zorns. Sie schmecken bitter, sie vergiften die Gesellschaft weiter, sie verschieben die Grenzen erneut. Eine Politik, die auf Hetze und Aufwiegelei aufbaut, macht labile Täter mobil. Sie fühlen sich bestätigt. Manche sogar berufen.
Die Politik, deren Verantwortung es eigentlich gewesen wäre, Menschen ein Vorbild zu liefern, liefert hier stattdessen eine Entschuldigung von Übergriffen. Liefert eine Verharmlosung der Gewaltbereitschaft. Nutzt tiefste Regungen, kanalisiert primitivste Triebe. Diese Triebe führen schneller in den Abgrund, als manche es wahrhaben wollen. Das Wort, das entweicht, wird Tat, die unumkehrbar ist. Das Eis der Zivilisation ist dünn.
Und dennoch, sogar wenn das Schüren dunkelster Triebe Erfolg hatte, hätte man immer noch die Möglichkeit gehabt, die Taten als Folgen seiner eigenen Handlungen einzusehen. Seine Verantwortung einzugestehen. Versuchen, das nicht zu wiederholen. Als mindeste Reaktion.
Wenn Politiker nicht in einer gemeinsamen Linie verurteilen, was hier geschehen ist, dann bereiten sie den Boden vor für weitere Grenzverschiebungen. Bei der Schweigeminute, die für den ermordeten Lübcke abgehalten wurden, standen alle Abgeordneten des bayerischen Landtages im gemeinsamen Gedenken auf. Fast alle. AfD-Politiker Ralph Müller blieb demonstrativ sitzen. "Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit," sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Es hat sich nicht bis zu allen Politikern herumgesprochen. Oder sie nehmen diese Verrohung mit diversen Tabubrüchen bewusst billigend in Kauf.
* Dieser Text wurde geschrieben und aufgezeichnet, bevor uns am Dienstag die Nachricht vom Widerruf des Geständnisses im Mordfall Lübcke erreicht hat.