Der Druck hat zugenommen
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Max Czolleks und Terézia Mora sagen, das politische Zeitgeschehen beeinflusse ihre Themen und ihre Sprache. Die Sprache müsse inklusiver als die der Nazis sein, sagt Mora, und Czolleks Devise lautet: Schreibe so, dass die Nazis dich verbieten würden.
Literatur werde immer seltener um ihrer selbst Willen beurteilt, sondern immer häufiger zunächst mit aktuellen Debatten abgeglichen und damit, ob der Autor auf der richtigen Seite steht, beklagt Frank Meyer in seinem
Kommentar im Deutschlandfunk Kultur. [AUDIO]
Literatur und Widerständigkeit
Der Lyriker und Publizist Max Czollek bezeichnet sich selbst als engagierten und politischen Schriftsteller. Er frage sich, wie Menschen es schaffen, nicht-politisch zu schreiben. Für ihn gelte: 'Schreibe so, dass die Nazis dich verbieten würden'. So nannte er auch einen Essay, in dem er sich Gedanken um die "wehrhafte Poesie" macht. Dabei gehe es darum, Literatur und Widerständigkeit näher aneinanderzurücken.
Czollek erzählt, ihm sei aufgefallen, dass es seit 1945 zwei Tendenzen in der deutschen Literatur gebe: "Die eine versucht, mit Sprache ein neues, besseres Deutschland zu bauen. Und die andere stellt mehr auf Kontinuität scharf. Und das ist vielleicht nicht ganz zufällig eine, die tendenziell mehr in jüdische und nicht-jüdische Autoren einteilt."
Diese Art von 'Sprache als Vergessen' oder 'Sprache als Neuschöpfung' falle nicht nur ihm auf. Er habe über Fritz J. Raddatz' Essay "Wir werden weiterdichten, wenn alles in Scherben fällt" aus den 1970er-Jahren nachgedacht.
Dichter der Weimarer Republik
Raddatz wirft einen Blick auf das Wirken von Dichterinnen und Dichtern der Weimarer Republik. Er schreibt darüber, inwiefern diese in der Nazi-Zeit ohne größere Störungen weitermachen konnten und wie sie nach 1945 in den Nachkriegsliteraturbetrieb eingestiegen sind.
Und Raddatz beobachtet, dass es bei diesen Dichtern offensichtlich keine Widerständigkeit für die wechselnden politischen Systeme gebe, sodass sie im Faschismus die gleichen Gedichte schreiben können wie in der Weimarer Republik oder in der westdeutschen Demokratie nach 1945.
Czollek zitiert den Filmemacher Jean-Luc Godard, der gesagt haben soll, es gehe nicht darum, politische Filme zu machen, sondern darum, politisch Filme zu machen.
Kunst ohne politischen Zusammenhang
Die Schriftstellerin Terézia Mora betont aber, es gehe auch darum, dass das Kunstwerk auch ohne den politischen Zusammenhang noch als Kunstwerk wahrgenommen wird. Doch dies zu erkennen gelinge leider weniger Leuten, als den politischen Inhalt zu entdecken.
Gut in dem zu sein, was man macht, erhöhe die Freiheit gegenüber politischen Übergriffen, sagt sie. "Wenn deine Sprache klarer als die Sonne ist und inklusiver als die der Nazis, dann hast du einen Großteil deiner Aufgabe erfüllt."
Mora wuchs noch zu sozialistischen Zeiten in Ungarn auf. Sie erzählt: Immer wenn in Ungarn politisch etwas passiert, klingele bei ihr das Telefon und Medien würden von ihr wissen wollen, was sie davon halte.
Signal an Ungarn senden
Sie äußere sich dann – auch, weil sie sich doch irgendwie verantwortlich fühle. "Es verletzt mich und regt mich auf, was in Ungarn passiert. Ich schäme mich dafür und empfinde die Notwendigkeit, das zu erklären."
Sie wolle aber auch an die Ungarn das Signal schicken, "schaut her, es wird über euch geredet." Doch für Ungarn spiele das natürlich überhaupt keine Rolle, was sie mache. Dort sei sie eine Ausländerin. Man wisse zwar, wer sie sei, doch sei man nicht erfreut darüber, wie sie sich verhalte.
"Worüber ich mich aber echt gefreut habe, ist, dass ich vor ein paar Jahren in den 'Club der Vaterlandsverräter' aufgenommen wurde."
Natürlich wirkten sich die Nachrichten und das Weltgeschehen auch auf ihr Schreiben aus, erzählt sie. Es sei ihr nicht egal, in welchem Umfeld ihre Texte entstehen. Allerdings dauere es viele Jahre, bis ein Roman fertig sei und das Bild tagesaktueller Themen habe sich bis dahin verändert. Dennoch fließe das Geschehen in ihre Texte ein. Bei ihr sei es so, dass der Anlass, etwas zu erzählen, oft aus einer Irritation heraus entsteht.
In ihrem letzten Roman "Auf dem Seil" ging es um prekäre Arbeitsverhältnisse, prekäre Wohnverhältnisse, Migration und Inklusivität der Gesellschaft.
"Ihr sagt mir nicht, wie ich mich äußere"
"Als ich zu schreiben begann, war der politische Bezug ebenso out wie der Kommunismus", schrieb Czollek einmal. Das habe sich verändert, sagt er heute. Der politische und gesellschaftliche Druck habe insgesamt zugenommen und das spüre auch die Literatur- und insbesondere die Lyrikszene.
Das bestätigt auch Mora. "Ich hatte ein paar Mal das Missvergnügen, von Parteien zu irgendwelchen Abenden eingeladen worden zu sein." Dort habe man sich auch nicht zurückgehalten und sie sei direkt dazu aufgefordert worden, sich zu engagieren und entsprechende Artikel schreiben. "Aber ich dachte mir: Nein, ihr sagt mir nicht, wie ich mich äußere. Das mache ich nicht mit."