Welche Kleidung trägt die Revolution?
Krawatte oder Kampfanzug? Der Schriftsteller Hans Christoph Buch geht der Frage nach, welche Bedeutung Mode in der Politik hat und auch, was sie mit dem Auftreten des griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis zu tun hat.
Alle 20 oder 30 Jahre greift die Politik korrigierend in die Herrenmode ein. Angefangen mit John F. Kennedy, der trotz prekärer Gesundheit so aussah, als käme er direkt vom Golf- oder Tennisplatz, windzerzaust und sonnengebräunt, in Polohemd oder Pullover – ein größerer Kontrast zu Glatzköpfen und Spitzbärten wie Chruschtschow und Ulbricht, aber auch zu Honoratioren wie Adenauer und De Gaulle war schwer vorstellbar.
Dann betraten neue Akteure die politische Bühne, die Kennedy alt aussehen ließen mit ihrem Macho-Gehabe, bärtig und langhaarig, im olivgrünen Kampfanzug, und die auch auf diplomatischem Parkett weder auf die Havanna noch auf den umgeschnallten Revolver verzichten wollten.
Die als Poster reproduzierten Fotos des Che Guevara - mit wehendem Haar und Stern am Barett, den Blick auf die Morgenröte gerichtet - überzeugte mehr Menschen von der kubanischen Revolution als alle Reden Fidel Castros.
Die Revolution, so schien es, hatte Jugend und Sex-Appeal für sich gepachtet. Selbst der alternde Mao avancierte zum Pop-Star, von Andy Warhol gemalt, und es dauerte Jahrzehnte, bis die Ikonen sich abnutzten und ihre Vorbildfunktion verloren: Zusammen mit den Protagonisten alterten auch deren Ideen, und Fidel Castro wurde zum Don Quijote, vergleichbar einem Rock-Opa wie Mick Jagger, der mit "I can't get no satisfaction" noch immer die Fans befriedigt.
Das Foto der jungen Sandinistin, die sich mit umgehängter Kalaschnikow vor dem Toilettenspiegel schminkt, konnte den Verfall der linken Ideale nicht aufhalten; erst der zeitgleiche Einzug der Grünen-Fraktion brachte frischen Wind in den Bonner Bundestag, symbolisiert durch Joschka Fischers Turnschuhe, mit denen er den Latzhosenträgern die Schau stahl.
Paradigmenwechsel durch Newcomer
Nun ist es wieder soweit - ein Paradigmenwechsel findet statt, symbolisiert durch Newcomer mit exotisch klingenden Namen: Alexis Tsipras und Janis Varoufakis - beide bis vor Kurzem nur Eingeweihten bekannt.
Um Missverständnisse auszuschließen: Hier geht es nicht um Reformauflagen, Rettungsschirme und Schuldenschnitte oder um die von Merkel und Schäuble vertretene Austeritätspolitik. Nicht um Sachfragen, sondern um Stilfragen geht es mir beim Blick auf die neue griechische Regierung, deren erste Schritte auf internationaler Bühne nicht verstolpert, sondern genau berechnet waren.
Von Halbstarken-Allüren war die Rede, und damit war die Lederjacke ebenso gemeint wie der hochgeschlagene Kragen und das arrogante Lächeln des griechischen Finanzministers, der nicht wie ein Bittsteller auftrat, sondern als Siegertyp – nicht die EU-Institutionen, aber manche Herzen flogen ihm zu, dem griechischen Dioskurenpaar.
Beide, Tsipras wie Varoufakis, kommen aus linken Milieus: Tspiras aus dem kommunistischen Jugendverband, dem er für ein breites Bündnis linker Gruppen den Laufpass gab, und Varoufakis aus einer marxistischen Kaderschmiede an der University of Essex. Die 1968er Linke, die sich lieber auf Herbert Marcuse berief als auf Karl Marx, hat an englischen Universitäten überwintert, und man darf gespannt sein, welche Überraschungen die Linkspolitiker aus Athen noch in petto haben.
Hans Christoph Buch, 1944 in Wetzlar geboren, wuchs in Wiesbaden und Marseille auf und las im Jahr seines Abiturs (1963) bereits vor der "Gruppe 47". Mit 22 Jahren veröffentlichte er seine Geschichtensammlung "Unerhörte Begebenheiten". Ende der 60er-Jahre gab er theoretische Schriften, Dokumentationen und Anthologien heraus. Mit seinen Essays versöhnte er Politisches und Ästhetisches miteinander. Seit 1984 schreibt er Romane: "Die Hochzeit von Port au Prince", "In Kafkas Schloss", "Wie Karl May Adolf Hitler traf", "Blut im Schuh", "Tanzende Schatten"' "Reise um die Welt in acht Nächten"; zuletzt erschienen 2011 "Apokalypse Afrika" und zuvor 2010 der Essay "Haiti - Nachruf auf einen gescheiterten Staat".