Lisa Herzog: Freiheit gehört nicht nur den Reichen. Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus.
C.H.Beck Verlag, München 2013
207 Seiten, 14,95 Euro
Liberalismus und Gerechtigkeit
In ihrem Buch "Freiheit gehört nicht nur den Reichen" verteidigt die Sozialwissenschaftlerin Lisa Herzog den Liberalismus, indem sie ihm seitenlang die Leviten liest und Fehlentwicklungen markiert. Es ist ein Text, der es in sich hat.
Der Liberalismus, dieser Grundbegriff der politischen Philosophie, hat eines gewiss nicht: scharfe Konturen. Nimmt man "Liberalisierung" und "liberal" hinzu, reicht die Konturlosigkeit bis zur Konfusion. Liberalismus, ist das nicht das mit Deregulierung und FDP? Die Philosophin und Volkswirtschaftlerin Lisa Herzog indessen betont in ihrem Buch "Freiheit gehört nicht nur den Reichen", dass sie für einen Liberalismus eintrete, der sich "an der Idee eines freien Lebens orientiert und diese als Grundlage der Politik sieht". Das klingt so spröde wie der gesamte Text, hat es aber in sich.
Denn die Idee des freien Lebens ist komplex und umschließt weit mehr als jene kapitalistische Freizügigkeit, die der Neoliberalismus predigt. Bei Herzog verteilt der Liberalismus gerade keine Blankoschecks an Individuen, sondern klärt als gesellschaftliches Projekt, "wie zwischenmenschliche Verhältnisse gestaltet werden sollen". Dass es starker Institutionen bedarf, um Freiheitsrechte für alle durchzusetzen, ist ihr selbstverständlich. Dabei bekämpft Herzog ein Feindbild: "Das Bild, gegen das ich anschreibe, ist das einer Frontstellung von Markt und Staat, in der der Markt ausschließlich als Reich der Freiheit und der Staat ausschließlich als Reich von Zwang und Unterwerfung gesehen wird."
Kritik an liberalen Fehlentwicklungen
Das Erstaunliche: Herzog verteidigt den Liberalismus, indem sie ihm seitenlang die Leviten liest und Fehlentwicklungen markiert. Im Kapitel "Liberalismus ohne Psychologie" rechnet Herzog mit der Vorstellung des kaltherzig-blutleeren homo oeconomicus ab. Sie zeigt, dass liberale Vertragstheorien seit Adam Smith und John Locke so taten, als wären die Menschen tatsächlich gleich. Dabei sei das Talent zur Selbstbestimmung (die Befähigung zur Freiheit) ungleich verteilt – weshalb Herzog auf Nachhilfe und Ausgleich durch den Staat dringt. In "Liberalismus ohne Gerechtigkeit" philosophiert sie über die negative, positive und republikanische Freiheit aller und zeigt am beliebten Beispiel entfesselter Finanzmärkte, wie der rücksichtslose Freiheitsgebrauch weniger viele Menschen schädigt und unfrei macht.
Als "Liberalismus ohne Komplexität" tituliert Herzog das Sparprogramm, das über der Fixierung auf die Ökonomie soziale Strukturen, Normen und Machtverhältnisse aus dem Blick verliert. Zuletzt, in "Liberalismus ohne Endlichkeit", beklagt Herzog die Zukunftsvergessenheit vieler Freiheitsjünger, die heute die Freiheitschancen von morgen verbrauchen. Für Herzog ist Nachhaltigkeit liberal und Verantwortung sowieso – die Wachstumsideologie hingegen nicht. "Mehr Freiheit" heißt für sie eben nicht "mehr Markt", "mehr materielle Güter" oder "mehr Moneten".
Spröder Ton, frisches Engagement
Herzog kennt die Ideengeschichte des Liberalismus gut. Bemerkenswert ist die Energie, mit der sie die soziale Dimension liberaler Konzepte kultiviert und die asoziale kritisiert. Ihre Vorschläge für eine neue liberale Politik sind quasi sozialliberal mit grünem Touch, teils allerdings sehr bieder. Dennoch: Herzog, geboren 1983, denkt selbstständig und großräumig. Dem spröden Ton zum Trotz wirkt ihr Engagement frisch. Herzog nimmt sich die individuelle Freiheit, Liberalismus warmherzig und ganzheitlich zu denken. Mit Deregulierung und FDP hat der natürlich nichts zu tun.