Politischer Extremismus im Netz

Von Lars Reppesgaard |
Wie geht man mit Leuten um, die einem Politiker wie Ruprecht Polenz von der CDU oder einem Universitätsprofessor wie Wilhelm Heitmeyer den Prozess machen wollen? Und zwar, weil sie sich laut einer Webseite mit dem perfiden Namen "Nürnberg 2.0" angeblich an der - Zitat: - "rechtswidrigen Islamisierung Deutschlands und der Straftaten linker Faschisten zur Unterdrückung des deutschen Volkes" beteiligen?
Die Mischung aus Dummheit, Selbstgefälligkeit und kaum verhülltem Hass auf dieser Internet-Seite macht mich wütend. Aber auch anderswo wird versucht, rechtsextremes Gedankengut und Methoden wie das Anlegen von Dossiers von politischen Gegnern als Engagement von braven Demokraten zu tarnen, die in Notwehr versuchen, die Gesellschaft zu retten.

Wer wissen will, wie von Endzeitfantasien befeuerte Islamophobe hetzen, kann viel Zeit auf der Webseite "Politically Incorrect" verbringen. Wer lesen mag, wie christliche Fundamentalisten ihrem Hass auf Homosexuelle Luft machen, ist bei der Webseite "kreuz.net" an der richtigen Adresse. Und wer verfolgen will, wie der Durchschnitts-Neonazi argumentiert, wird bei "Altermedia" fündig.

Überall wird dazu aufgerufen, durchzugreifen und nicht länger zuzusehen, weil Europa, das Christentum oder Deutschland gerade Gefahr laufen, von Gutmenschen und Muslimen in den Abgrund geführt zu werden.

Es freut mich, dass nach Anders Behring Breiviks Terroranschlag in Norwegen das Treiben auf derartigen Seiten von Politikern und Ermittlern nun mit sehr viel mehr Interesse verfolgt wird. Denn natürlich darf man sich fragen, ob dieses Dauerfeuer irgendwann vielleicht auch Menschen darin bestärkt zuzuschlagen – so wie man vermutet, dass der narzistische Breivik tatsächlich glaubte, die ansonsten schweigende Masse stehe bei seinen Taten hinter ihm.

Und man darf auch fragen, ob man diesem Hass im Netz nicht ein Ende setzen kann. Laut einer repräsentativen Emnid-Umfrage sind 80 Prozent der Bundesbürger dafür, dass Polizei und Verfassungsschutz das Internet stärker kontrollieren und Gewalt verherrlichende Inhalte soweit möglich löschen oder sperren.

Nur darf man sich nicht an diesen Fragen festbeißen, weil man sonst das Wesentliche aus den Augen verliert. Denn erstens lesen Ermittler die einschlägigen Webseiten schon heute mit. Aber zweitens ist es in der Regel nicht strafbar, wenn Menschen dummes Zeug schreiben oder denken. Und drittens funktioniert die Kontrolle immer nur ein Stück weit. Wer ein wenig technisch trickst, kann Ermittlern meist eine lange Nase drehen, um Verbotenes zu publizieren.

Sollte man also das Internet doch stärker reglementieren und überwachen, so sicherstellen, dass dort nur noch das zu finden ist, was Gesetzgeber und Regierung gestatten? Möglich wäre das. Ein Land, das so vorgeht, ist China.

Dem Beispiel zu folgen aber verbietet sich für eine offene Demokratie. Diese Einsicht ist nicht leicht zu akzeptieren. Doch das Netz nicht noch intensiver als bisher zu kontrollieren, heißt nicht, dass man untätig gegen die Hetzer bleiben muss.

Schon heute kann jeder argumentativ dagegen halten, solange die virtuellen Debatten in einem gerade noch akzeptablen Rahmen verlaufen. Und jeder kann Screenshots von volksverhetzenden oder anderen Hassreden anfertigen und sie zusammen mit den entsprechenden Netzadressen an Ermittlungsbehörden weiterleiten.

Allerdings sollte sich niemand bei seinem Eintreten für Anstand und Courage allein auf das Netz konzentrieren. Sozialforscher wie Wilhelm Heitmeyer verweisen darauf, dass die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Das heißt, dass der Hass auf andere nicht allein am rechten Rand gepflegt wird.

Der Blick ins Netz vielmehr zeigt wie ein unerbittlicher Seismograf, dass der Hass tiefer in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt ist, als es uns lieb ist. Es wird deutlich, in welchem Ausmaß in der Gesellschaft bestimmte Denkweisen verbreitet sind. Diese Haltungen muss man überall in der Gesellschaft bekämpfen – und nicht allein im Netz.


Lars Reppesgaard, Jahrgang 1969, ist freier Wirtschaftsjournalist und Autor des 2008 erschienenen Buches "Das Google-Imperium". Nach dem Studium arbeitete er vier Jahre lang als Reporter und Moderator beim Hörfunk von Radio Bremen. Seit dem Jahr 2000 lebt er in Hamburg und schreibt für Wirtschaftsmedien wie das "Handelsblatt", die "Financial Times Deutschland" oder die "Wirtschaftswoche".
Lars Reppesgaard
Lars Reppesgaard© Asmus Henkel
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