Politischer Nachruf

Griechenland hat sich selbst vernichtet

Eine Seniorin wartet an einer Bushaltestelle in Athen.
Die Banken sind gerettet, doch ganze Bevölkerungsschichten verarmen. © picture alliance / dpa / Socrates Baltagiannis
Von Asteris Kutulas |
Ermöglichen die Neuwahlen auch einen Neuanfang? Der deutsch-griechische Musikproduzent und Autor Asteris Kutulas glaubt nicht daran. Er sieht sein Heimatland auf dem Totenbett. Griechenland, so sein Obduktionsergebnis, habe sich selbst vernichtet: politisch und wirtschaftlich und kulturell.
Meine Heimat war in den letzten Jahrzehnten eine von griechischen Oligarchen beherrschte Bananenrepublik. Sie wurde regiert von einer skrupellosen Politikerkaste, die das Recht beugte und die Demokratie aushöhlte. Die Büros der beiden Staatsparteien PASOK und Nea Dimokratia verkamen seit den 80er-Jahren immer mehr zu "Agenturen für Arbeit auf Lebenszeit". Innerhalb weniger Jahre wurden hunderttausende neue Beamte in den Staatsdienst aufgenommen. Ausschlaggebend dafür waren Parteibuch und Wahlverhalten, nicht persönliche Qualifikationen und öffentliche Stellenausschreibungen. So korrumpierte die Politik durch Klientelismus und Vetternwirtschaft auch Teile der Bevölkerung. Allerdings – der Fisch stinkt vom Kopfe her.
Dieses "System Griechenland" diente nicht nur dem politischen Machterhalt, sondern vor allem der Herrschaft einer Handvoll griechischer Oligarchen. Sie hatten Zugriff auf die Reichtümer des Landes und die Fördergelder der EU. Alltäglicher Betrug, geduldete Steuerhinterziehung und Schmiergeldzahlungen schröpften die griechischen Staatseinnahmen und das Staatsvermögen.
Um das durch und durch korrupte und für sie selbst hoch profitable System aufrechtzuerhalten, baute die Machtelite eine mafiöse Herrschaftsstruktur auf, zu der auch Spitzenfunktionäre der Staatsanwaltschaft, Polizei und Finanzverwaltung gehörten. Die verheerenden Konsequenzen führten zusammen mit der globalen Finanzkrise direkt in die Katastrophe.

Die Banken sind gerettet, doch die Bevölkerung verarmt

Jetzt liegt der leblose Körper der griechischen Gesellschaft auf dem Seziertisch. Und während der Obduktion kann man folgendes feststellen:
Erstens: Griechenland ist kein souveräner Staat, sondern eine Schuldenkolonie. Alle maßgeblichen Gesetze werden in Brüssel verfasst. Ich fände es ehrlicher, wenn Brüsseler Technokraten diese Gesetze in Griechenland auch durchsetzen würden.
Zweitens: Die Demokratie in ihrem ursprünglichen Verständnis existiert in Griechenland nicht mehr. Sie war schon lange sehr beschädigt. Aber in der anhaltenden wirtschaftlichen, moralischen und kulturellen Krise hat das grundlegendste demokratische Prinzip - dass das Volk der Souverän sei - jede gesellschaftspolitische Grundlage verloren.
Drittens: Selbst in dieser größten Not der letzten Jahre konnte sich in Griechenland keine Zivilgesellschaft außerhalb der Parteistrukturen entwickeln. Und das Tragische an dieser Situation ist, dass sich zu Beginn der Krise 2010 die Interessen der mächtigen europäischen Länder Deutschland und Frankreich mit den Interessen des mafiösen griechischen Herrschaftssystems vereinbaren ließen. Weder die deutsche noch die französische Regierung wollte ihren Wählern die Wahrheit zumuten, dass sich ihre Banken in Griechenland verzockt hatten und mit mehr als 100 Milliarden gerettet werden mussten. Die "gierigen und faulen Griechen" bekamen die alleinige Schuld - aber nicht die Rettungsgelder. Diese flossen direkt an die französischen, deutschen und anderen Banken. Diese Transaktion konnte nur zusammen mit den alten korrupten Parteikadern in Griechenland durchgeführt werden, die in ihrem Streben nach Machterhalt und aus ihrer Angst heraus, im Gefängnis zu landen - allem zustimmten und alles durchsetzten, was in Brüssel und Berlin angeordnet wurde. Das oligarchische System Griechenlands wurde also in den ersten Krisenjahren nicht nur verschont, sondern ausgebaut.

Die Bananenrepublik ist tot

Die griechische Bevölkerung ist dramatisch verarmt, die Banken sind gerettet, und die europäischen Steuerzahler haften. Was für eine Bilanz! Festgeschrieben im dritten sogenannten Rettungspaket.
Meine griechische Heimat war jahrzehntelang eine Bananenrepublik. Jetzt ist sie tot.

Asteris Kutulas, 1960 in Oradea (Rumänien) als Sohn griechischer politischer Emigranten geboren; 1968 Übersiedlung nach Dresden; Abitur an der Kreuzschule; 1979 bis 1984 Studium der Germanistik in Leipzig; seit 1986 im europäischen Konzertmanagement tätig; seit 1981 zahlreiche Übersetzungen aus dem Griechischen (Ritsos, Elytis, Kavafis, Seferis, Theodorakis, Engonopoulos u.a.); Herausgeber der inoffiziellen Publikationsreihe Bizarre Städte (1987-1989) und der Zeitschrift Sondeur (1990/91); seit 1989 Musik- und Eventproduzent, Autor und Filmemacher; lebt in Berlin.

Asteris Kutulas
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