Politisches Projekt Airbus

Von Jochen Thies |
Vom Airbus war erstmals auf dem Flugsalon von "Le Bourget" im Jahre 1965 die Rede. Seine Geschichte und Entwicklung waren von Anfang an ein politisches Projekt, von den Franzosen als Konkurrenzunternehmen zum amerikanischen Hersteller Boeing erdacht und damit zur technologischen Selbstbehauptung Europas.
Klaus von Dohnanyi, seinerzeit Staatssekretär unter Karl Schiller, war auf der deutschen Seite der entschlossenste Förderer und hielt die SPD bei der Stange, als diese unter den Kanzlern Brandt und Schmidts wiederholt das Interesse an dem Projekt zu verlieren drohte.

Ein politisches Projekt ist der Airbus bis zum heutigen Tag geblieben, wie auch das gestrige Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten zeigte. Darüber hinaus sagt die Airbus-Debatte etwas über den wirklichen Zustand des europäischen Einigungsprozesses aus, nämlich, dass der Integrationsprozess bei weitem noch nicht da ist, wo ihn die Politiker in ihren Sonntagsreden gern hätten. Im Gegenteil, mancher Redebeitrag aus der zweiten Reihe auf beiden Seiten des Rheins während der letzten Wochen war dazu geeignet, durchaus vorhandene Renationalisierungstendenzen zu befördern und zu stärken.

Ist es ein Zufall, dass der Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen die öffentliche Debatte in Deutschland bislang erstaunlich wenig bewegt hat? Dabei ist es von existentieller Bedeutung für Deutschland, ob Frankreich seine Modernisierungsblockade überwindet oder dieser Zustand anhält.

Wie auch immer die Entscheidungen über Werkschließungen und Verkäufe bei Airbus am Ende ausgehen werden – das Ausmaß der zu treffenden Maßnahmen zeichnete sich ja in dieser Woche schon ab – sicher ist, dass zahlreiche Versäumnisse nun zusammenkommen und das ausgerechnet in der heißen Phase des französischen Präsidentschaftswahlkampfes. Dabei machen die Franzosen eine neue, unliebsame Erfahrung: Die deutsche Seite ist nicht mehr so kompromissbereit wie in den Zeiten von Helmut Kohl und eine neue Generation von deutschen Topmanagern, zumeist durch die Daimler-Chrysler-Schule gegangen, lässt sich weniger durch Sentimentalitäten der deutsch-französischen Freundschaft, durch "savoir vivre" beeindrucken, als durch das, was sie beim Fernduell mit dem amerikanischen Flugzeugbauer Boeing erlernt hat.

Darüber hinaus operieren Thomas Enders und die deutschen Topmanager bei EADS und Airbus mit größerer Staatsferne als ihre französischen Kollegen. Dennoch wird das interne Betriebsklima als gut beschrieben. Es gebe keine Managementkulturmauer zwischen Deutschen und Franzosen, heißt es in informierten Kreisen.

Unangenehm für die deutsche Seite ist in dieser Situation, dass man, vor allem auf Druck der Gewerkschaften, lange Zeit auf Beschäftigung gesetzt hat, also auf große Werkanlagen in der Bundesrepublik. Dabei gerieten die strategischen Fragen und die Visionen, wo die Franzosen klare Vorteile haben, offensichtlich außer Acht.

Die Deutschen saßen auf dem Rücksitz, die Franzosen steuerten und führten die Regie. Somit besteht bei den jetzt anstehenden Schließungsplänen in der Tat die Gefahr, dass die großen Zukunftsprojekte des Konzerns mehrheitlich in Frankreich beheimatet bleiben und dass die deutschen Werke nur eine Atempause bekommen, bevor in den kommenden Jahren weitere harte Einschnitte erforderlich werden.

In Politik und Wirtschaft, aber auch in der vielfach unterschätzten kulturellen Zusammenarbeit zeigt sich somit, dass Deutsche und Franzosen, im Grunde genommen alle Europäer, nun vor der harten, schmerzhaften Phase des Integrationsprozesses stehen. Darauf zu achten, wer mehr verliert als der andere, bringt nichts mehr außer kurzfristigem Zeitgewinn. Die Kosten erhöhen sich unterdessen.

Wenn das mutige, visionäre Projekt einer europäischen Luftfahrtindustrie eine Zukunft haben soll, muss sich die Politik Schritt für Schritt aus dem Unternehmen zurückziehen, um Raum für Managemententscheidungen zu schaffen, die die Entwicklung der Weltmärkte im Auge haben, nicht die nächste Wahl. So gesehen, müssen Angela Merkel und Jacques Chirac in seinen letzten Wochen im Amt Mut haben, Mut, den der Präsident, der kein passionierter Europäer ist, bislang nicht aufbrachte. Auch das, was nach dem Treffen mit Angela Merkel in Meseberg öffentlich gesagt wurde, klang nicht danach.