Pop im Zeitalter von AfD und Pegida
Klar, früher war Pop Rebellion. Und heute? Es gibt ein Revival der politischen Popmusik, beobachtet Journalist Torsten Groß. Doch das braucht Mut: Wer sich als Musiker politisch äußert, riskiert Anfeindungen - mitunter sogar von den eigenen Fans.
Pop und Politik sind in Deutschland eng miteinander verbunden. In den 60er-Jahren trafen sich linke Studenten und Liedermacher wie Franz Josef Degenhardt oder Reinhard Mey auf Burg Waldeck, die Berliner Hausbesetzer-Szene skandierte Anfang der 70er-Jahre "Macht kaputt was euch kaputt macht" von Ton Steine Scherben. Und Anfang der 80er tanzten die jungen Leute, zumindest wenn sie sich für "cool" hielten, zu Songs wie "Computerstaat" oder "Der Mussolini".
Millenials sind nicht so unpolitisch, wie es immer heißt
Dann kam die Generation der Millenials, von der es lange hieß, sie sei unpolitisch und höre unpolitische Musik. Doch auch heute werden politische Songs geschrieben. So veröffentlichte die Band Kettcar im August den Song "Sommer '89", in dem es um einen jungen Aktivisten geht, der wenige Wochen vor dem Mauerfall sächsischen Familien zur Flucht in den Westen verhilft.
Für Reimer Burstorff, dem Sänger und Bassisten von Kettcar, ist es selbstverständlich, dass seine Band auch politische und gesellschaftliche Themen in ihren Songs aufgreift.
"Wir haben für uns erkannt, dass es für uns nicht reicht , was gerade in der deutschsprachigen Musik passiert. (…) Dass es nur noch um Liebeslieder geht und Gesellschaftkritisches, Politisches nicht stattfindet."
150 Fragebögen
Die Mitglieder der Band Kettcar sind nicht die einzigen deutschen Musiker, die Politik zum Thema von Popsongs machen. Auch der Rapper Casper und die Band Jennifer Rostock thematisieren in ihren Songs politische und gesellschaftliche Missstände.
Um herauszufinden, wie politisch die Popszene heute ist, schickte der Musikkritiker Torsten Groß vom Magazin "Musikexpress" kurz vor der Bundestagswahl 150 Fragebögen an deutsche Musiker. Von der Heavy-Metal-Band bis zum Schlagerstar sollten alle befragt werden. Die Musiker sollten angeben, wie sie sich selbst politisch einordnen, ob und welche politischen Themen sie in ihren Songs thematisieren und, warum sie sich gegebenenfalls politisch engagieren.
Nur 29 ausgefüllte Fragebögen erhielt Torsten Groß zurück. Unter anderem von den Fantastischen Vier, Die Sterne, Max Prosa, Silbermond, Kool Savas, Milky Chance, Slime und Egotronic. Auch Clueso beteiligte sich und äußerte sich zum Thema Pop und Politik:
"Jeder Künstler sollte eine politische Meinung haben, diese auch vertreten und Gesicht zeigen."
Musiker wie Andrea Berg, Bushido, Marius Müller-Westernhagen, The Boss Hoss und Sido hingegen nahmen nicht an der Umfrage teil.
Fehlt der Mut, sich politisch zu äußern?
Dass die übrigen Musiker sich an der Umfrage nicht beteiligten, hat vielfältige Gründe, sagt Groß. Sido beispielsweise ließ ausrichten: Er beantworte "grundsätzlich keine politischen Anfragen". Anderen fehlte möglicherweise die Zeit oder sie hatten kein Interesse, mit dem "Musikexpress" zusammenzuarbeiten. Vielleicht aber, so Groß, fehlte einigen Musikern auch der Mut, sich politisch zu äußern.
"Es ist eine Vermutung meinerseits, dass es in Deutschland Leute gibt, die bewusst keine Haltung einnehmen wollen, die sich distanzieren, die vielleicht sogar Angst haben gerade in solchen Zeiten."
Denn während linke Bands wie Egotronic ganz selbstverständlich politische Texte für ein linkes Publikum produzieren, gehen Musiker aus anderen Branchen mitunter ein gewisses Risiko ein, wenn sie sich politisch positionieren. Etwa der Schlagerstar Roland Kaiser. Als er die islamfeindliche Pegida-Bewegung kritisierte und dazu aufrief, der "Angst vor dem Unbekannten" Neugier entgegenzusetzen, erntete er dafür "Buhs" von einigen Fans. Auch Jennifer Weist, die Sängerin von Jennifer Rostock, wurde nach einem kritischen Song über die AfD angefeindet.
Plädoyer für einen politischen Schlager
Torsten Groß hat Verständnis dafür, dass nicht jeder Musiker den Mut hat, sich einem Shitstorm auszusetzen. Dennoch meint er: Auch die Entscheidung, sich als Musiker politisch nicht zu äußern, sei letztendlich politisch.
"Meiner Ansicht nach, ist es vollkommen unmöglich, sich in irgendeiner Form als öffentliche Person zu äußern und gleichzeitig nicht als politische Person betrachtet zu werden. Jede Äußerung ist automatisch politisch."
Dass die meisten Schlagerstars sich in politischen Eskapismus flüchten, findet Torsten Groß deshalb bedauerlich. Gerade jemand wie Helene Fischer, die ein großes Publikum erreicht, könnte möglicherweise auf die zunehmende Spaltung der Gesellschaft Einfluss zu nehmen.
"Helene Fischer würde wirklich Mut beweisen – und zwar viel Mut – würde sie sich da in irgendeiner Form politisch positionieren. Weil sie die Leute erreicht, die viele Andere nicht erreichen."
(mw)
Torsten Groß Essay im "Musikexpress":
Der deutsche Pop und sein Verhältnis zu Politik und Gesellschaft. Ein Essay zur Bundestagswahl 2017.