Politkowskaja vor zehn Jahren getötet

Ungeklärter Mord an einer unermüdlichen Aufklärerin

Ein Porträtbild der russischen Journalistin Anna Politkowskaja hängt im Jahr 2007 in einer Erinnerungs-Ausstellung in einem Moskauer Park.
Die regimekritische Journalistin Anna Politkowskaja überlebte einen Giftanschlag und wurde im Oktober 2006 im Aufzug auf dem Weg zu ihrer Wohnung erschossen. © picture alliance / dpa / epa Chirikov
Von Sabine Adler |
Bis heute ist unklar, wer die Drahtzieher am Mord von Anna Politkowskaja sind: Die Vermutungen reichen von korrupten russischen Offizieren über den Präsidenten Tschetscheniens bis hin zum höchsten Mann im Kreml. Die Journalistin schrieb unermüdlich über den mörderischen Kampf gegen das tschetschenische Volk.
Der 7. Oktober 2006 war ein grauer und verregneter Samstag, den sich Anna Politkowskaja mit Arbeit vollgepackt hatte. Wochenendeinkauf, in die Redaktion, das Manuskript für die Montagsausgabe der Nowaja Gazeta abgeben. Auf ihrem Weg am Nachmittag nach Hause zurück, waren ihr die Mörder bereits auf den Fersen.
Im Treppenhaus am Fahrstuhl feuerten sie mehrfach auf die zierliche Reporterin. Für alle Welt stand fest: Dieser Mord, verübt am 54. Geburtstag Wladimir Putins, geschah im Auftrag, denn die Investigativ-Journalistin war unbequem geworden für den ersten Mann im Staat. Der russische Politologe Wjatscheslaw Nikofonow widerspricht dieser Darstellung, denn Politkowskaja zu töten, wäre ein Schuss ins eigene Knie, der Image-Verlust für Präsident Putin absehbar gewesen.
"Der Schaden für das internationale Ansehen Russlands, vor allem im Westen, war kolossal. Und davon profitierten nur die politischen Kräfte, die mit viel Geld und großen internationalen Aktionen Russland und auch Putin persönlich schaden wollten."
Verhandlungen mehrfach aufgerollt
Anna Politkowskaja hatte gegen alle Regeln verstoßen, die unausgesprochen für jeden Journalisten in Russland galten. Auch die 48-Jährige kannte sie natürlich und benannte sie explizit in einem Filmauftritt:
"Bei uns darf man einige Dinge nicht antasten, denn das liebt der Präsident nicht: Tschetschenien und die Korruption in den Organen des russischen Staatsapparates. Bis heute sind bereits rund eine Million Wehrpflichtige in Tschetschenien eingesetzt worden. Sie konnten stehlen, töten, vergewaltigen, und das geschieht mit unserem Geld, dem Geld der Steuerzahler. Die Menschen in Tschetschenien leben in einem rechtsfreien Raum. Und du verstehst, dass du irgendetwas unternehmen musst, um das zu beenden."
Seit 1999 schrieb Anna Politkowskaja für die heute letzte unabhängige Zeitung Russlands, für die Nowaja Gazeta. Der zweite Tschetschenienkrieg hatte begonnen, mit Bombardements, die Grosny, die Hauptstadt der russischen Teilrepublik, in Trümmer legten.
Blick in die Redaktionsräume der Novaja Gaseta
Blick in die Redaktionsräume der Novaja Gaseta© picture alliance / dpa / Arno Burgi
Die Journalistin interessierten keine militärischen Lageberichte. Sie lenkte die Aufmerksamkeit auf den grausamen Alltag der Zivilbevölkerung. Die tschetschenischen Separatisten wurden von den russischen Soldaten bekämpft und von einer zweiten Macht: der moskautreuen Truppe um Ramsan Kadyrow, die auch die Bevölkerung terrorisierte. Ramsan Kadyrow ist der Sohn von Präsident Achmed Kadyrow, den Wladimir Putin ins Amt gehoben hatte. Anna Politkowskaja hatte immer wieder eindringlich vor ihm gewarnt.
Mord im höchsten Auftrag
"Er ist ein äußerst brutaler Mann. Sein Stabschef ist mindestens genauso grausam. Ich habe verschiedene Leute getroffen, die mir erzählt haben, dass sie von Ramsan Kadyrow höchstpersönlich gefoltert worden sind. Und zwar im Hause der Kadyrows, in Zentaroi, wo der Vater beerdigt worden ist. Und in diesem Zentaroi sollen nach den Folterungen Orgien stattgefunden haben. Auch das haben mir die Opfer persönlich erzählt."
Die fünf Angeklagten im Mordfall Politkowskaja sitzen während der Verhandlungen im Glaskäfig in einem Moskauer Gericht.
Die fünf Angeklagten im Mordfall Politkowskaja.© picture alliance / dpa / Alexey Filippov
Die 1958 in New York geborene Tochter eines ukrainischen Diplomaten gehörte der sowjetischen Nomenklatura an, sie besaß zeitlebens die amerikanische Staatsbürgerschaft und hätte sehr viel komfortabler Karriere machen können. Doch der Krieg in Tschetschenien, die Gewalt der verwahrlosten russischen Soldaten, die Korruption innerhalb der Armee und der Unternehmen, die sie belieferten, wurden ihr Thema. Allein in ihrem Todesjahr 2006 verfasste sie 30 Artikel. Alexander Litwinienko, ein ehemaliger Geheimdienstoffizier, der später Putin-Kritiker wurde, war von der Version "Mord in höchstem Auftrag" überzeugt.
"Eine Journalistin vom Rang Anna Politkowskajas kann in Russland nur einer töten: Putin, sonst keiner. In einem Land, das derart vom Geheimdienst kontrolliert wird, vergreift sich niemand an jemandem wie Anna Politkowskaja, ohne dass das sanktioniert wird."
Wenige Wochen nach dieser Aussage starb Litwinenko in London an einer Polonium-Vergiftung. Wer den Befehl für die Ermordung von Anna Politkowskaja gab, ist trotz mehrfach aufgerollter Verfahren bis heute nicht aufgeklärt.
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