Politologe: Demokraten fehlt eine Vision für die USA
Was kann US-Präsident Barack Obama nach seiner Wiederwahl angehen, was er vier Jahre nicht getan hat? "Da habe ich wenig Hoffnung", sagt der Politologe Thomas Greven. Als Beispiel nennt er den Klimawandel.
Katrin Heise: Ich begrüße den renommierten US-Kenner Thomas Greven, er ist Politologe am Kennedy-Institut der Freien Universität, schönen guten Morgen!
Thomas Greven: Guten Morgen!
Heise: Wir sind hier nicht die erste Station in Ihrem morgendlichen Rundgang: Sie kommen vom Wahlpartyfrühstück beim US-Botschafter Philip Murphy. Die Stimmung war wahrscheinlich super, oder?
Greven: Ich war tatsächlich überrascht, dass es bei der Siegesrede von Herrn Obama keinen Applaus gab - nicht einmal gab es eine Reaktion. Es war ja eine Rede, die ja jetzt versucht, das Land wieder zu einigen. Amerikaner reden ja auch gerne davon und hören auch gerne, dass sie etwas ganz Besonderes sind, auch darauf hat Herr Obama mehrfach angespielt. Man hatte also sozusagen eher Tränen in den Augen vor Rührung über sich selber, als dass man Begeisterungsstürme zeigte.
Heise: Wahrscheinlich weil eben der Hoffnungsträger Obama vor vier Jahren so sehr überlastet worden ist mit dem Gepäck, was man ihm da mit auf den Weg gegeben hat, dass man da jetzt doch sehr vorsichtig ist. In dieser Rede, die Sie gerade erwähnten, da kam es ja zu dem Satz, irgendwie: Jetzt geht die Arbeit erst richtig los, das Beste kommt noch. Was kann, was will Obama jetzt angreifen, was er vier Jahre lang nicht angreifen konnte? Was für Hoffnungen haben Sie da?
Greven: Da habe ich wenig Hoffnung. Also er hat in der Rede heute Morgen zum Beispiel von der Immigrationsreform gesprochen, er hat auch den Klimawandel angesprochen. Beim Klimawandel ist es uns allen klar, wie dringend dieses Problem ist, aber er wird nichts bewegen können. Er wird gar nichts bewegen können, da an dieser Stelle bin ich sehr pessimistisch.
Bei der Reform des Immigrationsrechts könnte es zu gewissen Bewegungen kommen, das hängt ab davon, wie die republikanische Partei jetzt mit ihrer Niederlage umgeht. Das ist eigentlich die spannendste Frage heute, wie die republikanische Partei jetzt diese Niederlage aufarbeitet.
Heise: Mitt Romney hat ja in seiner Rede direkt zum grenzübergreifenden Händereichen, zur Zusammenarbeit aufgerufen. Das ist natürlich auch eine (…) – ich kann mich erinnern, vor vier Jahren haben wir den gleichen Satz gehört, und was dann vier Jahre lang passiert ist, das haben wir ja beobachten können: totale, aber wirklich absolute Blockadehaltung. Glauben Sie, dass sich das jetzt ändern wird?
Greven: Nein, das glaube ich nicht. Ich fürchte, dass der Rechtsruck der republikanischen Partei noch etwas weitergeht, dass also noch nicht der Zeitpunkt gekommen ist, wo die Republikaner in ihrer Breite merken, dass sie - auch aufgrund von demografischen Entwicklungen - mit dem jetzigen Kurs, also quasi zur Partei der weißen Männer zu werden, sozusagen die vormalige deutliche dominante Mehrheit, die jetzt unter Druck ist, sucht sich die republikanische Partei als Vehikel ihrer Verteidigung. Das wird noch etwas dauern, bis die Republikaner merken, dass dieser Kurs nicht zukunftsträchtig ist.
Heise: Warum wird das noch dauern? Hat man da heute nicht eigentlich das schon gespiegelt bekommen?
Greven: Ja, also offensichtlich, was die Präsidentschaftswahlen anbelangt und wohl auch, was den Senat anbelangt. Aber im Repräsentantenhaus hat man die Mehrheit verteidigen können, und die Zahl und die Quote der sicheren Sitze, der auch aus demografischen Gründen sicheren Sitze nimmt halt immer weiter zu, und da gibt es dann eine Tendenz, dass in den Vorwahlen die Kandidaten gewinnen, die die extremsten Positionen einnehmen.
Im Senat hat man jetzt gesehen, dass das dann manchmal dazu führt, dass diese Kandidaten zu extrem sind für das Mittel in dem Staat. Bei den Wahlkreisen im Repräsentantenhaus ist es wohl im Moment noch so, dass diese extremen Positionen tatsächlich dann auch zu Wahlsiegen dieser Kandidaten führen. Deswegen glaube ich, dass auch ein Präsident Romney hätte Schwierigkeiten mit dem Repräsentantenhaus bekommen, weil diese ...
Heise: Obwohl er die gleiche Farbe hat?
Greven: Genau, weil eben diese sehr ideologisierten, sehr kompromisslosen Kandidaten auf der Rechten, also Amtsinhaber, Abgeordneten auf der Rechten der republikanischen Partei tatsächlich auch bereit sind, für eine kompromisslose Haltung auch quasi die Kreditwürdigkeit der USA in Geiselhaft zu nehmen. Es kommt ja jetzt diese große Entscheidung über das sogenannte Fiscal Cliff.
Heise: In sechs Wochen, der 31.12. ist Stichtag, da müssen sich die beiden Parteien entweder geeinigt haben oder ein automatisches Sparprogramm greift, dazu kommen wir auch noch. Ich wollte Sie noch ansprechen, Sie hatten vor einiger Zeit in der Zeitung "Freitag" einen Artikel, "No, you can’t" war der überschrieben, und Sie zeigten sich sehr enttäuscht: Es sei egal, ob Obama noch mal gewählt wird, haben Sie da gesagt. Von heute aus betrachtet, sind Sie noch der gleichen Meinung? Egal?
Greven: Ja, ich glaube, dass ich nicht ganz so die Position hatte und habe, dass es egal ist, es macht schon einen Unterschied. Vor allen Dingen macht es einen Unterschied für bestimmte Leute, also für untere und Mittelschichten macht es schon einen Unterschied, weil die republikanische Partei eben so weit nach rechts gedriftet ist und weil die Steuersenkungen, die die Republikaner vorhaben, ja auf Kosten staatlicher Leistungen gehen, von denen bestimmte Menschen profitieren.
Was ich gemeint habe, und was ich auch nach wie vor meine, ist, dass die Demokraten eigentlich keine Vision entwickelt haben dafür, wie die USA aussehen sollen. Das, was die Demokraten noch tun, vor allen Dingen noch tun, ist Restbestände des alten Wohlfahrtsstaates, des alten in die Wirtschaft etwas eingreifenden Staates zu verteidigen.
Aber eine große, eine großangelegte Vision, die auch parteiübergreifend geteilt wird, darüber, wie denn, in welche Richtung die USA im 21. Jahrhundert gehen soll, also was die Rolle des Staates anbelangt. Die ist nicht entwickelt worden – wenn man sich die Gesundheitsreform anschaut, wo ja viele sagen, das ist das, der Erfolg Obamas in der ersten Amtszeit, das ist ein republikanisches Programm, das ist keine sozialdemokratische Politik.
Heise: Er hat es aber umgesetzt, er hat es durchgesetzt.
Greven: Ja, gegen ... erstaunlicherweise hat er es gegen den Widerstand der republikanischen Partei durchsetzen müssen, die sich eigentlich dieses Programm ausgedacht haben.
Heise: Ja, ja, weil sie es ja blockieren müssen, weil es ja von ihm jetzt kam.
Greven: Genau so ist es.
Heise: Der Politologe Thomas Greven erklärt seine sehr eingeschränkten Hoffnungen, was eine zweite oder was die zweite Amtszeit von Barack Obama in den USA angeht. Herr Greven, in den letzten Tagen war ja immer wieder die Rede hier in Europa vom Ende des amerikanischen Traums, die Rede vom Ende des Führungsanspruchs eigentlich auch der amerikanischen Nation. Letztes Indiz vielleicht sogar dieser Wirbelsturm, der die Nation Nummer eins ja jetzt in Teilen immer noch lähmt. Kann es sich eben also noch um die Nation handeln, die mit moderner Technik in der Lage ist, den Zeichen der Zeit zu entsprechen?
Lassen wir uns doch mal mit diesem amerikanischen Traum beginnen, also der eben auch offenbar zu Ende gegangen ist, oder wo viele sagen, der ist zu Ende gegangen. Die Freude darüber, dass ein Schwarzer es ins Weiße Haus geschafft hat, die ist historisch, aber wenn wir jetzt an Mittelstandskinder beispielsweise denken, die sich ein Collegestudium schon nicht mehr leisten können inzwischen, geschweige denn einen Master, und deswegen vom Studium letztendlich auch gar nichts mehr haben können, was wird sich für die jetzt ändern? Was muss sich für die ändern, oder was wird sich tatsächlich ändern?
Greven: Ja, also erst mal ganz grundsätzlich: Ich glaube in der Tat, dass dieser American Dream nicht mehr als Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, funktioniert im Moment.
Heise: Also, das kann nicht mehr die Vision sein?
Greven: Ja, es kann vielleicht wieder die Vision werden, das hängt dann auch von der Politik ab, aber im Moment ist der amerikanische Traum nicht in der Lage dazu, diesen Kitt zu bilden, weil die Gesellschaft so gespalten ist, und zwar entlang tatsächlich dieser Linie, eine ihre Macht verlierende weiße Gruppe und der Rest der Gesellschaft. Also die Konfliktlinien sind da schon sehr stark – was jetzt nicht heißt, dass alle Weißen auf der einen und alle anderen auf der anderen Seite sind, aber das ist die Spaltungslinie, die jetzt doch deutlich wird, und es muss eigentlich eine Diskussion darüber erfolgen, was die Gesellschaft, was die amerikanische Gesellschaft bei all ihren Unterschieden in Zukunft zusammenhalten soll.
Vielleicht kann der amerikanische Traum wiederbelebt werden, das würde zum Beispiel jetzt für diese, was sie angesprochen haben, für die Studenten bedeuten, dass der Staat es wieder möglich macht, dass man studiert, ohne sich über alle Maßen zu verschulden, dass man selbstverständlich auch Aussichten darauf hat, eine Arbeit zu finden, mit der man die Schulden, die man während des Studiums gemacht hat, zurückzahlen kann, dass man nicht, wie es jetzt vielfach der Fall ist, nach Ende des Studiums wieder zu den Eltern zurückziehen muss und irgendwelche Billigjobs annehmen muss.
Heise: Die Hoffnung darauf, dass es da eine Lösung gibt, sind bei Ihnen aber relativ klein. Das zweite Feld ist das der Technologie, der Infrastruktur, wurde jetzt auch immer wieder beklagt. Wir haben gestern gerade von dem Soziologen Norman Birnbaum hier eine Schilderung bekommen, wie eine Zugfahrt zwischen Washington und New York ein schreckliches Erlebnis sein kann. Also Infrastruktur, wird sich natürlich auch wenig ändern, weil das Geld ist natürlich auch jetzt nicht da, und Sie haben den 31.12. schon angesprochen.
Greven: Na, eigentlich müsste man ja denken, die Probleme sind so offensichtlich, die Probleme mit der amerikanischen Infrastruktur waren ja bekannt. Jetzt gibt es diese Großwetterereignisse, diese Großereignisse, die katastrophischen Ereignisse, und man merkt, die Infrastruktur ist angeschlagen, die staatlichen Funktionen sind eingeschränkt – eigentlich scheint es offensichtlich, hier ist eine staatliche Aufgabe, hier ist eine Aufgabe, darüber hat Herr Obama heute Morgen auch gesprochen, die wir jetzt gemeinsam anpacken müssen.
Aber dieses Offensichtliche übersetzt sich nicht in eine handlungsfähige Politik und eine handlungsfähige Gesellschaft, weil für diese Anstrengungen auch dem Staat Mittel gegeben werden müssen. Man hat da so eine Gleichzeitigkeit von großen Problemen, von einer auch traditionellen Staatsskepsis und wirklich der Verweigerung, Steuern zu bezahlen, das ist eigentlich das große Thema. Und auch da haben die Demokraten keine grundsätzliche Diskussion geführt. Wenn der Staat funktionieren soll, wenn diese Infrastruktur funktionieren soll, dann braucht der Staat Steuereinnahmen.
Heise: Ein Punkt, warum mein Studiogast skeptisch eigentlich in die amerikanische Zukunft blickt, trotz oder auch nach der Wiederwahl Barack Obamas - Thomas Greven, Politologe am Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Besuch hier im Studio!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Thomas Greven: Guten Morgen!
Heise: Wir sind hier nicht die erste Station in Ihrem morgendlichen Rundgang: Sie kommen vom Wahlpartyfrühstück beim US-Botschafter Philip Murphy. Die Stimmung war wahrscheinlich super, oder?
Greven: Ich war tatsächlich überrascht, dass es bei der Siegesrede von Herrn Obama keinen Applaus gab - nicht einmal gab es eine Reaktion. Es war ja eine Rede, die ja jetzt versucht, das Land wieder zu einigen. Amerikaner reden ja auch gerne davon und hören auch gerne, dass sie etwas ganz Besonderes sind, auch darauf hat Herr Obama mehrfach angespielt. Man hatte also sozusagen eher Tränen in den Augen vor Rührung über sich selber, als dass man Begeisterungsstürme zeigte.
Heise: Wahrscheinlich weil eben der Hoffnungsträger Obama vor vier Jahren so sehr überlastet worden ist mit dem Gepäck, was man ihm da mit auf den Weg gegeben hat, dass man da jetzt doch sehr vorsichtig ist. In dieser Rede, die Sie gerade erwähnten, da kam es ja zu dem Satz, irgendwie: Jetzt geht die Arbeit erst richtig los, das Beste kommt noch. Was kann, was will Obama jetzt angreifen, was er vier Jahre lang nicht angreifen konnte? Was für Hoffnungen haben Sie da?
Greven: Da habe ich wenig Hoffnung. Also er hat in der Rede heute Morgen zum Beispiel von der Immigrationsreform gesprochen, er hat auch den Klimawandel angesprochen. Beim Klimawandel ist es uns allen klar, wie dringend dieses Problem ist, aber er wird nichts bewegen können. Er wird gar nichts bewegen können, da an dieser Stelle bin ich sehr pessimistisch.
Bei der Reform des Immigrationsrechts könnte es zu gewissen Bewegungen kommen, das hängt ab davon, wie die republikanische Partei jetzt mit ihrer Niederlage umgeht. Das ist eigentlich die spannendste Frage heute, wie die republikanische Partei jetzt diese Niederlage aufarbeitet.
Heise: Mitt Romney hat ja in seiner Rede direkt zum grenzübergreifenden Händereichen, zur Zusammenarbeit aufgerufen. Das ist natürlich auch eine (…) – ich kann mich erinnern, vor vier Jahren haben wir den gleichen Satz gehört, und was dann vier Jahre lang passiert ist, das haben wir ja beobachten können: totale, aber wirklich absolute Blockadehaltung. Glauben Sie, dass sich das jetzt ändern wird?
Greven: Nein, das glaube ich nicht. Ich fürchte, dass der Rechtsruck der republikanischen Partei noch etwas weitergeht, dass also noch nicht der Zeitpunkt gekommen ist, wo die Republikaner in ihrer Breite merken, dass sie - auch aufgrund von demografischen Entwicklungen - mit dem jetzigen Kurs, also quasi zur Partei der weißen Männer zu werden, sozusagen die vormalige deutliche dominante Mehrheit, die jetzt unter Druck ist, sucht sich die republikanische Partei als Vehikel ihrer Verteidigung. Das wird noch etwas dauern, bis die Republikaner merken, dass dieser Kurs nicht zukunftsträchtig ist.
Heise: Warum wird das noch dauern? Hat man da heute nicht eigentlich das schon gespiegelt bekommen?
Greven: Ja, also offensichtlich, was die Präsidentschaftswahlen anbelangt und wohl auch, was den Senat anbelangt. Aber im Repräsentantenhaus hat man die Mehrheit verteidigen können, und die Zahl und die Quote der sicheren Sitze, der auch aus demografischen Gründen sicheren Sitze nimmt halt immer weiter zu, und da gibt es dann eine Tendenz, dass in den Vorwahlen die Kandidaten gewinnen, die die extremsten Positionen einnehmen.
Im Senat hat man jetzt gesehen, dass das dann manchmal dazu führt, dass diese Kandidaten zu extrem sind für das Mittel in dem Staat. Bei den Wahlkreisen im Repräsentantenhaus ist es wohl im Moment noch so, dass diese extremen Positionen tatsächlich dann auch zu Wahlsiegen dieser Kandidaten führen. Deswegen glaube ich, dass auch ein Präsident Romney hätte Schwierigkeiten mit dem Repräsentantenhaus bekommen, weil diese ...
Heise: Obwohl er die gleiche Farbe hat?
Greven: Genau, weil eben diese sehr ideologisierten, sehr kompromisslosen Kandidaten auf der Rechten, also Amtsinhaber, Abgeordneten auf der Rechten der republikanischen Partei tatsächlich auch bereit sind, für eine kompromisslose Haltung auch quasi die Kreditwürdigkeit der USA in Geiselhaft zu nehmen. Es kommt ja jetzt diese große Entscheidung über das sogenannte Fiscal Cliff.
Heise: In sechs Wochen, der 31.12. ist Stichtag, da müssen sich die beiden Parteien entweder geeinigt haben oder ein automatisches Sparprogramm greift, dazu kommen wir auch noch. Ich wollte Sie noch ansprechen, Sie hatten vor einiger Zeit in der Zeitung "Freitag" einen Artikel, "No, you can’t" war der überschrieben, und Sie zeigten sich sehr enttäuscht: Es sei egal, ob Obama noch mal gewählt wird, haben Sie da gesagt. Von heute aus betrachtet, sind Sie noch der gleichen Meinung? Egal?
Greven: Ja, ich glaube, dass ich nicht ganz so die Position hatte und habe, dass es egal ist, es macht schon einen Unterschied. Vor allen Dingen macht es einen Unterschied für bestimmte Leute, also für untere und Mittelschichten macht es schon einen Unterschied, weil die republikanische Partei eben so weit nach rechts gedriftet ist und weil die Steuersenkungen, die die Republikaner vorhaben, ja auf Kosten staatlicher Leistungen gehen, von denen bestimmte Menschen profitieren.
Was ich gemeint habe, und was ich auch nach wie vor meine, ist, dass die Demokraten eigentlich keine Vision entwickelt haben dafür, wie die USA aussehen sollen. Das, was die Demokraten noch tun, vor allen Dingen noch tun, ist Restbestände des alten Wohlfahrtsstaates, des alten in die Wirtschaft etwas eingreifenden Staates zu verteidigen.
Aber eine große, eine großangelegte Vision, die auch parteiübergreifend geteilt wird, darüber, wie denn, in welche Richtung die USA im 21. Jahrhundert gehen soll, also was die Rolle des Staates anbelangt. Die ist nicht entwickelt worden – wenn man sich die Gesundheitsreform anschaut, wo ja viele sagen, das ist das, der Erfolg Obamas in der ersten Amtszeit, das ist ein republikanisches Programm, das ist keine sozialdemokratische Politik.
Heise: Er hat es aber umgesetzt, er hat es durchgesetzt.
Greven: Ja, gegen ... erstaunlicherweise hat er es gegen den Widerstand der republikanischen Partei durchsetzen müssen, die sich eigentlich dieses Programm ausgedacht haben.
Heise: Ja, ja, weil sie es ja blockieren müssen, weil es ja von ihm jetzt kam.
Greven: Genau so ist es.
Heise: Der Politologe Thomas Greven erklärt seine sehr eingeschränkten Hoffnungen, was eine zweite oder was die zweite Amtszeit von Barack Obama in den USA angeht. Herr Greven, in den letzten Tagen war ja immer wieder die Rede hier in Europa vom Ende des amerikanischen Traums, die Rede vom Ende des Führungsanspruchs eigentlich auch der amerikanischen Nation. Letztes Indiz vielleicht sogar dieser Wirbelsturm, der die Nation Nummer eins ja jetzt in Teilen immer noch lähmt. Kann es sich eben also noch um die Nation handeln, die mit moderner Technik in der Lage ist, den Zeichen der Zeit zu entsprechen?
Lassen wir uns doch mal mit diesem amerikanischen Traum beginnen, also der eben auch offenbar zu Ende gegangen ist, oder wo viele sagen, der ist zu Ende gegangen. Die Freude darüber, dass ein Schwarzer es ins Weiße Haus geschafft hat, die ist historisch, aber wenn wir jetzt an Mittelstandskinder beispielsweise denken, die sich ein Collegestudium schon nicht mehr leisten können inzwischen, geschweige denn einen Master, und deswegen vom Studium letztendlich auch gar nichts mehr haben können, was wird sich für die jetzt ändern? Was muss sich für die ändern, oder was wird sich tatsächlich ändern?
Greven: Ja, also erst mal ganz grundsätzlich: Ich glaube in der Tat, dass dieser American Dream nicht mehr als Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, funktioniert im Moment.
Heise: Also, das kann nicht mehr die Vision sein?
Greven: Ja, es kann vielleicht wieder die Vision werden, das hängt dann auch von der Politik ab, aber im Moment ist der amerikanische Traum nicht in der Lage dazu, diesen Kitt zu bilden, weil die Gesellschaft so gespalten ist, und zwar entlang tatsächlich dieser Linie, eine ihre Macht verlierende weiße Gruppe und der Rest der Gesellschaft. Also die Konfliktlinien sind da schon sehr stark – was jetzt nicht heißt, dass alle Weißen auf der einen und alle anderen auf der anderen Seite sind, aber das ist die Spaltungslinie, die jetzt doch deutlich wird, und es muss eigentlich eine Diskussion darüber erfolgen, was die Gesellschaft, was die amerikanische Gesellschaft bei all ihren Unterschieden in Zukunft zusammenhalten soll.
Vielleicht kann der amerikanische Traum wiederbelebt werden, das würde zum Beispiel jetzt für diese, was sie angesprochen haben, für die Studenten bedeuten, dass der Staat es wieder möglich macht, dass man studiert, ohne sich über alle Maßen zu verschulden, dass man selbstverständlich auch Aussichten darauf hat, eine Arbeit zu finden, mit der man die Schulden, die man während des Studiums gemacht hat, zurückzahlen kann, dass man nicht, wie es jetzt vielfach der Fall ist, nach Ende des Studiums wieder zu den Eltern zurückziehen muss und irgendwelche Billigjobs annehmen muss.
Heise: Die Hoffnung darauf, dass es da eine Lösung gibt, sind bei Ihnen aber relativ klein. Das zweite Feld ist das der Technologie, der Infrastruktur, wurde jetzt auch immer wieder beklagt. Wir haben gestern gerade von dem Soziologen Norman Birnbaum hier eine Schilderung bekommen, wie eine Zugfahrt zwischen Washington und New York ein schreckliches Erlebnis sein kann. Also Infrastruktur, wird sich natürlich auch wenig ändern, weil das Geld ist natürlich auch jetzt nicht da, und Sie haben den 31.12. schon angesprochen.
Greven: Na, eigentlich müsste man ja denken, die Probleme sind so offensichtlich, die Probleme mit der amerikanischen Infrastruktur waren ja bekannt. Jetzt gibt es diese Großwetterereignisse, diese Großereignisse, die katastrophischen Ereignisse, und man merkt, die Infrastruktur ist angeschlagen, die staatlichen Funktionen sind eingeschränkt – eigentlich scheint es offensichtlich, hier ist eine staatliche Aufgabe, hier ist eine Aufgabe, darüber hat Herr Obama heute Morgen auch gesprochen, die wir jetzt gemeinsam anpacken müssen.
Aber dieses Offensichtliche übersetzt sich nicht in eine handlungsfähige Politik und eine handlungsfähige Gesellschaft, weil für diese Anstrengungen auch dem Staat Mittel gegeben werden müssen. Man hat da so eine Gleichzeitigkeit von großen Problemen, von einer auch traditionellen Staatsskepsis und wirklich der Verweigerung, Steuern zu bezahlen, das ist eigentlich das große Thema. Und auch da haben die Demokraten keine grundsätzliche Diskussion geführt. Wenn der Staat funktionieren soll, wenn diese Infrastruktur funktionieren soll, dann braucht der Staat Steuereinnahmen.
Heise: Ein Punkt, warum mein Studiogast skeptisch eigentlich in die amerikanische Zukunft blickt, trotz oder auch nach der Wiederwahl Barack Obamas - Thomas Greven, Politologe am Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Ich bedanke mich ganz herzlich für Ihren Besuch hier im Studio!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.