Politologe Greven: Von Tea-Party-Bewegung geht "konkrete Gefahr" aus

Stephan Karkowsky im Gespräch mit Thomas Greven |
Die antistaatliche Tea-Party-Bewegung werde die Vorwahlen der republikanischen Partei in den USA massiv beeinflussen und in der US-Politik einen Rechtsruck erzeugen, befürchtet der Berliner Politikwissenschaftler Thomas Greven.
Stephan Karkowsky: Der Privatdozent Dr. Thomas Greven vom John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der FU Berlin konnte die Entstehung der neuen Tea-Party-Bewegung in den USA mitverfolgen. Herr Greven, uns in Europa erschreckt ja zunächst die verbale Radikalität dieser Bewegung. Wie haben Sie das vor Ort erlebt?

Thomas Greven: Ja, sehr aggressiv. Also bei Versammlungen von Tea Partys wie auch vorher bei den Town-Hall-Meetings, wo ja diese Aktivisten zuerst auftauchten, herrschte eine extrem aggressive Stimmung – einerseits in den Reden gegen die Regierung und dann vor allen Dingen, wenn es Widerspruch gibt. Also wenn sich tatsächlich jemand aus dem Publikum traut, einen Widerspruch zu äußern, dann kann es passieren, dass auf einmal drei, vier muskelbepackte Menschen um ihn herum stehen und erst mal versuchen, ihn sozusagen niederzustarren, dann aber auch durchaus – ich habe es selbst erlebt – sozusagen physisch zu werden. Also es herrscht eine sehr aggressive Stimmung.

Karkowsky: Also haben Sie den Eindruck, das geht über Stammtischparolen hinaus, was da passiert?

Greven: Klar, auf jeden Fall, weil es knüpft an einen Bodensatz der amerikanischen Politik, der amerikanischen Bevölkerung an. Eben im Beitrag wurden 18 Prozent genannt, E. G. Dionne spricht so von einem 20-prozentigen Anteil, ein Fünftel der amerikanischen Bevölkerung, das diese sehr antistaatliche, vor allen Anti-Washington-Haltung vertritt, die eben in unterschiedlichen Ausprägungen immer mal wieder hervortritt. Der Historiker Richard Hofstadter sprach mal von dem "Paranoid Style of American Politics", also so ein paranoides Element, verschwörungstheoretisch angehaucht. Also das, was da in Washington passiert, das ist uns ganz fremd, das ist ganz fern. Und jetzt hat man noch dazu eine Wirtschaftskrise, die sozusagen viele Menschen in Absturzängste versetzt, und einen schwarzen Präsidenten, sodass also auch ganz klar hier auch noch ein rassistisches Element vorhanden ist.

Karkowsky: Gilt denn hier wie so oft, Hunde, die bellen, beißen nicht, oder erzeugt diese Bewegung Ihrer Ansicht nach tatsächlich auch die Gewalt, die sie predigt?

Greven: Doch, ich glaube, dass das tatsächlich eine konkrete Gefahr ist. Waffenverkäufe nehmen seit Obamas Amtsantritt zu, massiv zu, das offene Tragen von Waffen, dort wo das erlaubt ist, nimmt zu. Die noch radikalere extreme Rechte hat Zulauf, also die Militia-Bewegung, die auf Webseiten und in den Internetforen der extremen Rechten, da tummeln sich mehr Menschen. Im Beitrag wurde ja auch gesagt: I want my country back – ich will mein Land zurück. Bei dem Tea-Party-Ereignis, was ich besuchte, hatte das auch jemand aufm Plakat stehen, hat da aber einen kleinen Fehler gemacht, er hatte nämlich geschrieben: I want my county back, also ich will meinen Kreis zurück. Das zeigt so ein bisschen dieses Paralleluniversum, in dem diese Menschen leben, also eine Ignoranz von Fakten, ein wirkliches Nichtinteresse daran, Fakten zur Kenntnis zu nehmen. Das hat man ja auch schon bei Frau Palin gesehen, bis hin sogar auch schon bei George W. Bush, das schwappt also in den Mainstream der Republikaner durchaus herüber. Und in diesem Paralleluniversum kann es dazugehören, dass tatsächlich auch die Aktionen dann gewalttätig werden.

Karkowsky: Es hat ja bereits politische Morde gegeben, ein Abtreibungsarzt wurde erschossen, unlängst ein Wachmann in einem Holocaust-Museum. Würden Sie das zurückführen auf diese Tea-Party-Bewegung?

Greven: Das kann man nicht ganz genau sagen. Es ist dieser Bodensatz in der amerikanischen Kultur, in der amerikanischen politischen Kultur und in der Bevölkerung, der das immer mal wieder hervorbringt, durchaus nicht nur von rechts. Deutlich wird es jetzt vor allen Dingen von rechts, aber man sieht ja auch in den Argumentationsfiguren jetzt auch so einen Populismus der Privilegierten, wie E. G. Dionne gesagt hat, weil es eben, wie im Beitrag auch zu hören war, weiße Männer, mittelalt, mittelreich sind. Aber da steckt auch eine Ökonomiekritik darin, der Bankenrettungsplan wird massiv angegriffen. Das heißt, das greift sozusagen auch noch weiter über dieses Fünftel der Bevölkerung hinaus, findet Unterstützung, mit einem allerdings bedenklichen, auch antisemitischen Element, also Wallstreet, steht, die Ostküste. Das sind so Chiffren in der extremen Rechten auch für ein jüdisch beherrschtes Kapital, und die Wallstreet ist Territorium der Demokraten, sodass man da auch eine parteipolitische Komponente drin hat.

Karkowsky: Zur neuen außerparlamentarischen Tea-Party-Bewegung in den USA hören Sie im "Radiofeuilleton" den Berliner Politologen Thomas Greven. Herr Greven, man hat den Eindruck, der Wahlkampf hat seit Obamas Wahl erst richtig begonnen. Obamas Wahlsieg wird von vielen Tea-Party-Bewegten schlicht nicht anerkannt, indem etwa bezweifelt wird, er sei gar nicht in den USA geboren, habe also gar keine Voraussetzung gehabt für die Wahl zum Präsidenten. Wie erklären Sie sich das, dass diese Bewegung versucht, den Präsidenten so stark zu delegitimieren?

Greven: Ja, also Obama leidet jetzt unter dem Element der amerikanischen Politik, was ihn aber umgekehrt auch mit ins Amt gebracht hat. Also diese große Skepsis gegenüber Washington erlaubt es immer wieder Außenseitern, ins Amt zu kommen. Ich meine, man muss sich überlegen, Obama ist ein Frischling in der amerikanischen Bundespolitik gewesen und marschiert durch zum Präsidentenamt. Das hat er der Krise zu verdanken, das hat er aber sicherlich auch diesem Element zu verdanken. Was Obama versäumt hat zu tun, ist sehr schnell zu agieren, initiativ zu sein, um der breiten Bevölkerung ein großes Angebot zu machen und zu sagen, hier, diese Regierung kann für euch arbeiten. Das ist versäumt worden, anderthalb Jahre hat es gebraucht, bis eine relativ bescheidene Gesundheitsreform mit Hängen und Würgen durchgekommen ist. Jetzt muss man sehen, ob die Menschen in der Mitte der amerikanischen Politik, die Unabhängigen, die jetzt schwanken, ob die jetzt sich sozusagen anstecken lassen von dem Extremismus, von diesem antistaatlichen Extremismus und möglicherweise entweder nicht wählen gehen oder sogar extreme Kandidaten ins Amt bringen, oder ob sie die Segnungen des bisschen, was Obama auf den Weg gebracht hat, sozusagen honorieren und tatsächlich sich bei den Zwischenwahlen, die jetzt anstehen, auch für demokratische Kandidaten entscheiden.

Karkowsky: Eine kurze Einschätzung zum Schluss noch: Glauben Sie, wie wird sich die Tea Party weiter entwickeln, wird man sie eines Tages wählen können?

Greven: Nein, ich glaube, was passieren wird, ist, dass die Tea Party die Vorwahlen der republikanischen Partei massiv beeinflussen wird, das heißt Tea-Party-unterstützte Kandidaten, die bestimmte Bekenntnisse ablegen, werden gegen moderate Republikaner gewinnen und dann eben sozusagen insgesamt in der amerikanischen Politik einen Rechtsruck erzeugen.

Karkowsky: Purified ist der Begriff, ne?

Greven: Genau, die …

Karkowsky: Was heißt das?

Greven: Na, also die Reinen, die reine Lehre. Da gibt es so einen Katalog von …

Karkowsky: Gegen Abtreibung …

Greven: … gegen Ab…

Karkowsky: … fürs Recht auf Waffen …

Greven: … genau, niedrige Steuern – der Dauerbrenner der amerikanischen Politik sind niedrige Steuern –, aber durchaus auch, und das spricht die Außenpolitik wieder an, durchaus auch außenpolitische Themen. Und die schlagen dann in eine andere Richtung. Also eine entschlossene Unterstützung der amerikanischen Außenpolitik im Irak bis zum Sieg in Afghanistan, bis zum Sieg und so weiter und so fort. Dafür müsste es natürlich eigentlich einen starken Staat geben, um das zu erreichen. Also eine gewisse Widersprüchlichkeit ist da durchaus drin.

Karkowsky: Zur neuen Tea-Party-Bewegung in den USA, die nicht so harmlos ist, wie ihr Name klingt, der Berliner Politikwissenschaftler Thomas Greven. Ihnen vielen Dank für das Gespräch!