"Er hat die bundesdeutsche Demokratie in Bewegung gebracht"
Wie würde Konrad Adenauer heute Politik betreiben - in Zeiten von Trump, Brexit, Nationalismus? Pragmatisch, sagt der Politologe und frühere bayerische Kultusminister Hans Maier. Trotz fester Grundsätze sei der erste bundesdeutsche Kanzler taktisch stets beweglich gewesen.
Nach Auffassung Maiers bleibt von Konrad Adenauer, dessen 50. Todestag heute begangen wird, vor allem eines: Deutschland verdanke ihm die Westbindung. Adenauer habe eine "Brückenfunktion", das Pendeln zwischen Ost und West abgelehnt: Er sei vielmehr ein entschiedener "Westdrifter" gewesen, wie ihn Rudolf Augstein einmal genannt habe:
"Adenauer hat diesen Weg nach Westen nicht nur für sich persönlich eingeschlagen. Er hat ihn auch in der CDU durchgesetzt, und er hat ihn für die ganze Bundesrepublik durchgesetzt. Wenn heute Deutschland unzweifelhaft zum Westen gehört, dann ist das die Hauptwirkung, die von Adenauer übrig geblieben ist."
Maier ist überzeugt, dass Adenauer auch heute pragmatisch Politik betreiben würde: "Er hatte feste Grundsätze, aber er war in seiner taktischen Beweglichkeit ein richtiger Fuchs." Und er habe sich auf unterschiedliche Menschen einlassen können. Gleichwohl habe der Kanzler im Wahlkampf "scharf formuliert", so Maier:
"Für uns war Europa das Licht am Ende eines langen Tunnels"
"Er war kein Mann großer Koalitionen, (…) kein Mann des Sowohl-als-auch, sondern ein Mann des Entweder-oder. Er hat damit eigentlich die bundesdeutsche Demokratie erst in Bewegung gebracht."
Nach Auffassung Maiers entwickelt sich die Welt mit dem Wiederaufleben des Nationalismus gegenwärtig rückschrittlicher als zu Adenauers Zeiten, für den der Nationalstaat der Vergangenheit angehörte. Der Politikwissenschaftlicher sieht einen Grund in der Globalisierung, die zu Rückschlägen geführt habe: "Auf der einen Seite ist alles allgegenwärtig rund um den Erdball, auf der anderen Seite zieht man sich auf das Gewohnte und Bekannte zurück." Das sei auch in Europa zu erleben:
"Für uns (…) war Europa das Licht am Ende eines langen Tunnels. Daher bleiben wir emotional immer mit der europäischen Bewegung verbunden, auch wenn man manches an Brüssel (…) kritisieren mag."
(bth)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Geboren wurde er 1876 in Köln, und gestorben ist er 91 Jahre später, vor genau 50 Jahren nämlich, am 19. April 1967 starb Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Wir werden seinen heutigen Todestag mehrfach zum Anlass nehmen, um zurückzublicken. Wir wollen aber auch nach vorne blicken auf die Frage, was die politischen Grundsätze, für die Konrad Adenauer stand und steht, was die uns heute eigentlich noch bedeuten, welchen Einfluss sie heute noch in der Bundesrepublik Deutschland haben.
Wir wollen darüber jetzt reden mit Professor Hans Maier, Politologe, langjähriger bayerischer Kultusminister, ein Mann, der selbst immer wieder publiziert hat zu Konrad Adenauer und seiner Politik und dann natürlich auch selbst Politik in Bayern und darüber hinaus gestaltet. Schönen guten Morgen, Professor Maier!
Hans Maier: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Die Adenauerzeit wird heute sehr häufig als bleiern, als dumpf, als ultrakonservativ beschrieben. Sie sind selbst Jahrgang 1931, Sie haben diese Zeit also schon bewusst als junger Mann miterlebt. Haben Sie sie auch so in Erinnerung?
"Eine Zeit der Öffnung, des Auf- und Ausatmens"
Maier: Nein, ganz und gar nicht. Es war sicher eine strenge Zeit, es waren ja die ersten Nachkriegsjahre, und wir mussten uns sehr mühsam wieder rappeln nach der völligen Abschließung in der Nazizeit, nach dem Zusammenbruch, der Katastrophe von 1945, aber es war für uns, für uns junge Leute, auch eine Zeit der Öffnung, des Auf- und Ausatmens. Zum ersten Mal kamen wir wieder mit dem Ausland in Berührung, wir konnten wieder die ersten Reisen machen. Also es gab so viele Anregungen, dass wir die Strenge, die damals noch herrschte, gar nicht so empfunden haben.
Kassel: Adenauer hat selbst gesagt, 1955 zum Beispiel, wörtlich, Zitat: "Wir haben nur noch die Wahl zwischen Untergang und Einigung." Er hat festgestellt, für ihn sei die Zeit des Nationalstaats vorbei. Heute erleben wir zum Teil ein Wiederaufleben des Nationalismus in vielen europäischen Staaten, auch in manchen Kreisen in Deutschland. Sind wir vielleicht heute weniger weltoffen teilweise als zur Adenauerzeit?
Maier: Das glaube ich schon. Also die Globalisierung hat ja auch zu Rückschlägen geführt. Auf der einen Seite ist alles allgegenwärtig rund um den Erdball, auf der anderen Seite zieht man sich dann auf das Gewohnte und Bekannte zurück, und in dem Zusammenhang werden dann auch internationale, übernationale Zusammenschlüsse infrage gestellt.
Das erleben wir ja in der gegenwärtigen Europabewegung. Für uns, für unsere junge Generation war nach dem Krieg Europa das Licht am Ende eines langen Tunnels. Daher bleiben wir emotional immer mit der europäischen Bewegung verbunden, auch wenn man manches an Brüssel und manches an zu strengen Regulierungen und zu weit greifender Bürokratisierung kritisieren mag.
Kassel: Was ist denn für Sie von den politischen Grundsätzen Konrad Adenauers heute wirklich noch übrig in dieser Bundesrepublik des Jahres 2017?
"In seiner taktischen Beweglichkeit ein richtiger Fuchs"
Maier: Ich glaube, ganz entscheidend waren zwei Dinge, wenn man es negativ ausdrückt: Die Weimarer Zeit pendelte immer in ihrer Außenpolitik zwischen Ost und West, und Deutschland wollte sich weder dem Westen noch dem Osten anschließen, und das hat sich in gewissem Sinn fortgeführt nach dem Krieg bei Politikern der älteren Generation. Auch Heinrich Brüning, der ja zeitweise in Köln lehrte, gehörte dazu. Man sprach von einer Brückenfunktion Deutschlands.
Adenauer war gegen diese beiden Festlegungen. Er war ein entschiedener "Westdrifter", wie Rudolf Augstein es kritisch im "Spiegel" vermerkt hat. Rudolf Augstein gehört ja auch eher zu den Nationalisten. Adenauer hat diesen Weg nach Westen nicht nur für sich persönlich eingeschlagen, er hat ihn auch in der CDU durchgesetzt, und er hat ihn für die ganze Bundesrepublik durchgesetzt. Wenn heute Deutschland unzweifelhaft zum Westen gehört, dann ist das die Hauptwirkung, die von Adenauer übriggeblieben ist.
Kassel: Und wenn wir wagen, ein bisschen zu spekulieren – ich glaube, an so einem Jahrestag wie heute kann man das: Wenn Adenauer heute noch lebte und regierte, wie würde er denn mit den Gegebenheiten jetzt umgehen, mit einem Donald Trump in Washington, mit einem bevorstehenden Brexit, auch mit den Entwicklungen in Osteuropa?
Maier: Er war ja ein Pragmatiker. Er hatte feste Grundsätze, aber er war in seiner taktischen Beweglichkeit ja ein richtiger Fuchs. Er wurde ja auch der Fuchs von Bonn genannt, und er konnte sich auf unterschiedliche Menschen einlassen. Zum Beispiel Schumacher war sicher das äußerste Gegenstück, ein Westpreuße, ein Sozialist, aber als Adenauer mit ihm verhandeln musste – Schumacher war ja der Führer der Opposition –, da hat er sich eingehend mit Hunden beschäftigt. Warum mit Hunden: weil Schumacher ein großer Hundefreund war.
Oder später mit Mendès France, dem französischen Ministerpräsidenten, da hörte er, der sei Jude, und prompt hat sich Adenauer mit jüdischer Praxis, mit jüdischem Ritual beschäftigt. Also Adenauer konnte auf andere Menschen zugehen. Er hatte das wohl aus seiner Oberbürgermeisterzeit in Köln mitgebracht. Dort hatte er ja mit den verschiedensten Menschen zu tun und hat Umgang gepflegt mit allen, mit Freunden und Feinden.
"Adenauer war kein Mann großer Koalitionen"
Kassel: Aber er hat andererseits auch öffentlich, im Bundestag zum Beispiel, immer ganz deutlich gesagt, eine Regierungsbeteiligung oder gar eine Regierung der Sozialdemokraten, das wäre das Ende der Bundesrepublik. Da müssen auch Sie als Unionspolitiker doch jetzt mal zugeben, da hat er nun nicht so ganz recht gehabt, oder?
Maier: Ja, natürlich. Er hat überhaupt im Wahlkampf sehr scharf formuliert. Er war kein Mann großer Koalitionen. Ich glaube, man wird einmal die Adenauerzeit, von den späteren Zeiten nach Kiesinger und den großen Koalitionen, die wir seit den 90er-Jahren erleben, scharf abheben. Adenauer war ein Mann, der eher dem englischen Regierungssystem folgte, also eine knappe Mehrheit, die zur Geschlossenheit, zur Disziplin zwingt, zum Ausarbeiten des eigenen Standpunkts und eine starke Opposition, die durchaus die Möglichkeit hat, bei der nächsten Wahl Regierung zu bilden und die jetzige Regierung in die Opposition zu schicken.
Also er war kein Mann der großen Koalition, kein Mann des Sowohl-als-auch, sondern ein Mann des Entweder-oder, und er hat damit eigentlich die bundesdeutsche Demokratie erst in Bewegung gebracht, denn die Weimarer Zeit war ja gekennzeichnet durch eine fast ununterbrochene Folge großer Koalitionen.
Kassel: Hans Maier, Politikwissenschaftler und langjähriger ehemaliger bayerischer Kultusminister über Konrad Adenauer, seine Zeit und die Wirkung seiner Politik bis heute. Professor Maier, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Maier: Ja, ich danke auch!
Kassel: Schönen Tag noch in München!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.